Die Qualität deutscher Weine wird heute oft gelobt – doch das war nicht immer so. Vor Jahrzehnten saßen die Produzenten nach Rekordernten mehrfach auf Unmengen unverkaufter Ware. Und zur heutigen Vorliebe für trockene statt süßer heimischer Weißweine trug ein Skandal der 1980er bei.
Alle Wege führen nach Rom. Und das gilt auch für den deutschen Wein. Denn es waren die Römer, welche dessen Anbau einst in Deutschland etablierten. Zwar gab es Wildreben in Mitteleuropa schon seit Millionen Jahren. Stämme wie die Kelten pressten und vergärten diese Reben bereits, aber erst mit den Römern begann die Geschichte des professionellen Weinanbaus in den deutschen Weinregionen.
Historiker gehen heute davon aus, dass die Eroberer aus dem Süden es schlicht leid waren, schwere Amphoren aus der Heimat massenhaft über die Alpen zu schleppen. Die Elite bevorzugte zwar weiterhin ihre gewohnte Ware aus dem Süden, aber für breite Schichten, die ebenfalls fern der Heimat nicht auf den Weingenuss verzichten wollten, brachten sie heimische Rebstöcke in den Norden und starteten dort die Produktion.
Im Mittelalter bekamen Klöster große Bedeutung für die weitere Entwicklung des deutschen Weinbaus, der für viele eine Haupteinnahmequelle darstellte. Auch weltliche Fürsten begannen zu dieser Zeit, an ihren Burgen im größeren Stil Weinberge zu kultivieren. Diverse noch heute bekannte Weinlagen in Deutschland gehen auf die damalige Arbeit von Mönchen und Fürsten zurück.
Deren Fortbestand gefährdete im 19. Jahrhundert die Reblaus stark. Mehrere gebietstypische Sorten wurden durch ihren Befall vernichtet. Die Rettung brachte das Verfahren der Pfropfrebe, bei dem heimische Rebsorten auf eigens dafür importierten, amerikanischen Wurzelstöcken gezüchtet wurden, die resistent gegen die Reblaus waren.
Erzeugnisse aus deutschen Weinregionen stehen heute international unter großem Konkurrenzdruck. „Deutschland hat sich in den letzten 75 Jahren zweifellos zu einem der größten und bedeutendsten Weinmärkte der Welt entwickelt“, sagt etwa Gergely Szolnoki von der Hochschule Geisenheim im Rheingau. Mit 13,7 Millionen Hektolitern sei Deutschland nach wie vor der weltweit größte Weinimporteur. Für die deutschen Erzeuger bedeute dies eine Konkurrenzsituation, für die Verbraucher einen heterogenen Markt mit Weinen aus aller Welt.
„In keinem anderen Land kämpfen so viele verschiedene Weinbaunationen um Marktanteile“, beschreibt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut (DWI) die Lage. „Von 100 Flaschen eingekauftem Wein kommen derzeit 58 aus dem Ausland.“ Die Herstellungskosten für heimischen Wein steigen zugleich, die Verbraucher kauften aber preisbewusster und somit häufiger günstigeren ausländischen Wein. „Als im internationalen Vergleich kleine Weinbauregion können wir uns nur über Qualität und nicht über Mengen definieren“, sagt die Geschäftsführerin des DWI, Monika Reule. Das war nicht immer so.
Von teils „grausamen Jahrgängen“, spricht Reules Vorgänger Franz Werner Michel in Erinnerung an die 1960er-Jahre. Seither habe es eine unglaubliche Qualitätssteigerung gegeben. Vor allem seit den 1970- und 1980er-Jahren sei eine bedeutende Verbesserung festzustellen. Rebsortenwahl, Ertragsreduzierung und neue Technologien hätten zur Qualitätsverbesserung beigetragen.
1960 war die Ernte mit 7,4 Millionen Hektolitern Most so riesig, dass sogar Schwimmbäder zeitweise als Weintanks genutzt wurden, wie Michel berichtet. Die Preise fielen in den Keller, die Not der heimischen Winzer wurde immer größer. 1962 wurde ein Stabilisierungsfonds für die Weinwirtschaft gegründet, um die stark schwankenden Erträge auszugleichen.
Nach zwei noch größeren Ernten 1982 und 1983 (mit 15 und 13 Millionen Hektolitern) kamen zu den Schwimmbecken noch gemietete Eisenbahn-Waggons dazu, die auf Abstellgleisen in Rheinhessen geparkt und bewacht wurden. Die Preise stürzten ab.
Derlei hatte es bereits zu früheren Zeiten gegeben. Nach einem Rekordweinjahr 1934 saßen die deutschen Weinbauern auf Unmengen unverkaufter Ware. Bereits seit dem Ersten Weltkrieg hatten sie immer wieder massive Absatzprobleme gehabt. In dieser Situation erinnerten Winzer die NS-Machthaber an ihre Wahlversprechen, in denen diese beteuert hatten, dem deutschen Weinanbau helfen zu wollen.
1935 fand daraufhin das erste „Fest der deutschen Traube und des Weins“ statt – zeitgleich in mehr als 200 Städten des Deutschen Reichs. Die „Deutsche Weinzeitung“ beschrieb es im militärischen Jargon jener Zeit als eine „allgemeine Mobilmachung der Weintrinker“. Die „Patenstädte“ der Weinorte feierten mit Umzügen, Theaterstücken und Feuerwerk. Girlandengeschmückte Lastwagen oder Eisenbahnwaggons voller Wein wurden mit Musik und Tanz verabschiedet, Patenurkunden ausgetauscht, Weinlotterien veranstaltet und Ausflugsfahrten organisiert. Alles, was den Absatz erhöhte, war erwünscht.
So entstand 1935 die „Deutsche Weinstraße“ in der Pfalz. Sie wirbt heute damit, die erste und bekannteste Weintouristikroute der Welt zu sein. Auf 85 Kilometern führt sie durch das Weinbaugebiet.
Mitte der 1980er-Jahre erschütterte der Glykol-Skandal die deutsche Weinwirtschaft. Österreichische, mit dem Frostschutzmittel Diethylenglycol versetzte Weine wurden von Handelsunternehmen mit deutschen Weinen verschnitten. Die Folge: Das Vertrauen in deutschen Wein sank rapide.
Der Skandal befeuerte auch den Trend zu trockenen Weinen, sie wurden in den 1990er-Jahren immer beliebter: „Weil in Österreich ausschließlich liebliche Weine mit Glykol versetzt wurden, sind die Verbraucher auf den Konsum trockener Weine umgestiegen“, erläutert Reule. Inzwischen seien mehr als die Hälfte der deutschen Tropfen trocken. Riesling wurde die Leitrebsorte, dazu kamen der Spät- und dann auch Weiß- und Grauburgunder. Die Generation Riesling sei inzwischen ein Erfolgsrezept und der deutsche Spätburgunder stehe im Preis-Leistungs-Verhältnis international gut da.
Mit der Wiedervereinigung kamen die kleineren Anbaugebiete Saale-Unstrut und Sachsen dazu, aus 11 wurden 13. „Die Rebfläche hat sich seit 1948 verdoppelt“, sagt Szolnoki. Inzwischen sind es fast 103.000 Hektar. Damit gehört Deutschland international aber immer noch zu den kleinen Weinbaunationen: Spanien etwa hat fast das Zehnfache der Anbaufläche, und Italien füllt fünfmal so viel Wein in Flaschen.
Die globalen Weinflächen sollten nach Monika Reules Ansicht nicht mehr ausgeweitet werden. Denn inzwischen wird weltweit mehr Wein produziert als getrunken. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Wein geht Ernst Büscher zufolge zurück, von 20 bis 21 Litern viele Jahre bis zur Jahrtausendwende auf 19,2 Liter im vergangenen Jahr.
Martin Klemrath ist Managing Editor bei WELTGeschichte. Zu seinen Themenschwerpunkten zählen die Geschichte der USA, Technikgeschichte, Kulturgeschichte und Zeitgeschichte.
mit dpa/epd
Source: welt.de