Martina Hefters Roman, er heißt Hey guten Morgen, wie geht es Dir?, ist mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden, der am Montag zum 20. Mal vergeben wurde, und das war, zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse, ein hervorragender Grund zum Feiern.
Auch wurde es sehr rührend, nachdem die Nachricht im Kaisersaal des Römers verkündet wurde. Die von ihrem Glück offenbar schwer überwältigte Autorin fiel zuerst ihrem Mann um den Hals, es ist der Schriftsteller Jan Kuhlbrodt, der aufgrund einer Multiplen Sklerose im Rollstuhl sitzt. Ihre anschließende Danksagung nutzte Martina Hefter zu einem politischen Appell. Es sei der Wille einer Partei, deren Namen sie gar nicht erst aussprechen wolle, dass bestimmte Menschen, und zwar solche mit einer Behinderung oder der falschen Hautfarbe, nicht in der Mitte der Gesellschaft stehen sollten. Da heiße es, wach zu sein und laut zu werden. All das passte zum Inhalt und den Figuren ihres Buchs, auch wenn der Ton dort viel verhaltener ist.
Die Jury hat hier einen schmalen, aber großen Roman prämiert: Ohne Kitsch und schlechtes Pathos, aber mit einer präzisen Sprache gesegnet, erzählt Martina Hefter von einer aus Einsamkeit geborenen Sehnsucht und einer Realitätsflucht in die Chaträume des Internets. Dort entspinnt sich eine Boy-Meets-Girl-Geschichte, bei der es um falsche Identitäten und leere Versprechungen geht, sowie um einen Trickbetrug durch Verführung. Technisch gesagt: um Love-Scamming, ein Phänomen aus der schmuddeligsten Schmuddelecke der sozialen Medien. Irgendwo in Nigeria sitzt Benu, ein junger Mann mit Smartphone und Fake-Profil. Der kontaktiert ältere, weiße und verzweifelte Europäerinnen auf WhatsApp und verstrickt sie peu à peu in ein Liebesgeflüster, bis diese Frauen ihm all das Geld schicken, um das er sie bittet.
Davon zumindest ist Juno überzeugt, die Schriftstellerin aus Leipzig. Sie kennt die Masche, schließlich hat sie das Tränental sämtlicher Spiegel-TV-Reportagen durchschritten, in denen zutiefst gedemütigte Frauen davon berichten, wie sie, sogar wider besseres Wissen, solchen Betrügern auf den Leim gegangen sind. Trotzdem lässt sich Juno auf Benu ein und tischt ihm nun ihrerseits allerhand Lügen über sich auf. Ein Gespräch wie mit ihr hat der Love-Scammer Benu wohl noch mit keiner weißen Frau geführt. Hat Juno den Spieß nun umgedreht? Doch wozu eigentlich? Auf Spiegel TV hatte ein Love-Scammer zumindest für seine Seite eine Rechtfertigung des Betrugs vorgetragen: Die von ihm ausgenommenen Frauen seien die Erbinnen der europäischen Herrschaft über Afrika, es sei nun an der Zeit, dass endlich einmal jemand die Rechnung bezahle.
Soll man diesen Roman als postkoloniale Literatur lesen, als Klage über die Ungerechtigkeit zwischen dem saturierten Norden und dem in Hoffnungslosigkeit erstarrten Süden? So ließe sich das Geschäft der Love-Scammer vielleicht begründen. Das trifft es, zumindest in Junos Augen, aber wohl längst noch nicht. Juno weiß vor allem, dass das Leben mit dem Tod zu Ende geht. Was auch für Benu gilt: „Leute wollten nicht wahrhaben, dass sie sterblich waren, aber zuvor wollten sie nicht wahrhaben, dass sie einsam waren. Die Love-Scammer wollten nicht wahrhaben, dass sie sich in Wirklichkeit klein machten und sich westlichen Mechanismen von Ausbeutung und Gier genauso beugten, weil sie Menschen ausnahmen und wegwarfen. Außerdem waren auch sie sterblich, trotz des guten Gewinns, den viele von ihnen machten.“
Die Frage, wer hier wen ausbeutet oder betrügt, weicht allmählich einer anderen: Könnte es nicht doch passieren, dass sich hier jemand verliebt, und sei es nur aus Versehen? Gut möglich, dass Juno, die Schriftstellerin, ihrem eigenen Geschichtenerzählertrick auf den Leim geht. So wie auch Martina Hefter ihre Leser vielleicht an der Nase herumführt. Dies nämlich wäre die Poetologie zur Trickbetrügerverführung: Die Literatur selbst ist die trickbetrügerischste Verführerin von allen. So treibt Martina Hefter ein virtuoses Spiel mit der Wahrheit und dem, was man dafür halten soll – oder will. Geschichten machen süchtig, und so ist Juno, wenn sie da nachts im bläulichen Schimmer des Smartphones sitzt und Nachrichten aus dem Orbit empfängt, auch eine Scheherazade im Kampf gegen das Unausweichliche.
Womit noch nichts darüber gesagt ist, was diese Heldin eigentlich tagsüber tut. Und dass es im Roman zu Juno, der Göttin, auch einen Gott gibt, der Jupiter heißt. Ein in Leipzig-Plagwitz, und zwar relativ prekär lebendes Schriftstellerpaar. Sie: vor 59 Jahren im Allgäu geboren, Autorin mehrerer Romane und Lyrikbände, außerdem Tänzerin und Performancekünstlerin. Also schon länger dabei, doch immer unter dem Radar der großen literarischen Öffentlichkeit. Außerdem pflegt sie ihren Mann. Der ist ebenfalls Lyriker und Romancier, ein Jahr jünger als seine Frau, und sitzt mit Multipler Sklerose im Rollstuhl. All das trifft, und zwar im Detail, auch auf Martina Hefter und Jan Kuhlbrodt zu. Und hat hier mit Sicherheit nichts weiter zu bedeuten. Man darf sich doch von einer Trickbetrügerin keinen Schlüsselroman andrehen lassen.
Im Roman sind es Götter, die ihr eigenes Geschick lenken. Sie künden von einer Wahrheit, die es nur im Erzählen gibt und in riesigen Lettern an die gegenüberliegende Hauswand gesprüht ist. Hier steht: TRUTH. „Die Wahrheit ist übergroß, wie das Graffito, denkt Juno. Ihre Wahrheit, aber die allgemeine, umfassende Wahrheit. Man kann sie von jedem Punkt der Erde aus sehen.“ Sogar in Nigeria. Wo in diesem ins Kosmische abhebenden Roman Benu mit seinem Smartphone sitzt. Und der ist auch ein Gott. Kann man auf Wikipedia nachlesen.
Martina Hefters Roman, er heißt Hey guten Morgen, wie geht es Dir?, ist mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden, der am Montag zum 20. Mal vergeben wurde, und das war, zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse, ein hervorragender Grund zum Feiern.
Auch wurde es sehr rührend, nachdem die Nachricht im Kaisersaal des Römers verkündet wurde. Die von ihrem Glück offenbar schwer überwältigte Autorin fiel zuerst ihrem Mann um den Hals, es ist der Schriftsteller Jan Kuhlbrodt, der aufgrund einer Multiplen Sklerose im Rollstuhl sitzt. Ihre anschließende Danksagung nutzte Martina Hefter zu einem politischen Appell. Es sei der Wille einer Partei, deren Namen sie gar nicht erst aussprechen wolle, dass bestimmte Menschen, und zwar solche mit einer Behinderung oder der falschen Hautfarbe, nicht in der Mitte der Gesellschaft stehen sollten. Da heiße es, wach zu sein und laut zu werden. All das passte zum Inhalt und den Figuren ihres Buchs, auch wenn der Ton dort viel verhaltener ist.