Deutsche Bahn: Der digitale Zug lässt gen sich warten

Es ist nur ein kleines Indiz, sagt aber doch einiges aus: Ausgerechnet auf einer Homepage der Deutschen Bahn, die sich mit der Zukunft der Eisenbahn beschäftigt, ist Richard Lutz immer noch Bahnchef. Das Impressum der Seite „Digitale Schiene Deutschland“ weist ihn offiziell als Vorstand aus, ebenso wie Berthold Huber und Sigrid Nikutta. Keiner der genannten Manager ist noch im Amt, zum Teil schon seit zwei Monaten nicht mehr. Vielmehr schrumpfte das oberste Leitungsgremium des Staatskonzerns nach der Inthronisierung von Evelyn Palla als neuer Vorstandsvorsitzender kräftig zusammen. Auch andere neue Köpfe sollen es nun richten.

Man darf nur hoffen, dass sich die auf der Internetseite proklamierte digitale Bahnzukunft nicht ebenso verspätet wie die DB-Züge tagtäglich und eine Impressumsbereinigung. Sicher ist das nicht. Vergangene Woche wurde die angepeilte Fertigstellung des milliardenschweren Infrastrukturprojekts Stuttgart 21 für 2026 wieder einmal vertagt – auf unbestimmte Zeit. Das geplante große Bürgerfest in der Landeshauptstadt dürfte erst einmal entfallen. Bahnchefin Palla weigert sich, ein neues Datum für den Abschluss von Stuttgart 21 zu nennen. Termine, die es nicht gibt, können auch nicht gerissen werden.

Stuttgart 21: mehr als ein regionales Problem

Der Bahnhof Stuttgart 21 ist nicht nur ein regionales Problem und das wiederum nicht nur, weil er ins Schema problematischer Infrastrukturgroßprojekte wie dem Berliner Großflughafen oder Hamburger Elbtower passt. S 21 hat Bedeutung weit über den Südwesten hinaus: Zum reinen Bauvorhaben, innerhalb dessen aus einem Kopfbahnhof ein Durchgangsbahnhof gemacht wird, der die Reisezeiten im Regional- wie im Fernverkehr deutlich verkürzen soll durch eine Vielzahl neuer Brücken, Gleise und Tunnel, gesellt sich eine virtuelle Facette mit bundesweiter Relevanz. Denn zu Stuttgart 21 gehört seit 2020 der „Digitale Knoten Stuttgart“, kurz DKS. Dieses Pilotprojekt setzt nach dem Willen der Deutschen Bahn „Maßstäbe für die Digitalisierung der Eisenbahn in Deutschland“. Erstmals wird ein großer deutscher Eisenbahnknoten komplett mit einem digitalen Stellwerk, mit dem europäischen Zugbeeinflussungssystem ETCS Level 2 und mit weiteren darauf aufbauenden Techniken ausgerüstet.

Was heißt das? Die Deutsche Bahn verspricht sich davon vor allem zweierlei: mehr Züge mit weniger Verspätungen fahren zu lassen. Die Kapazität auf der Schiene soll um 20 bis 30 Prozent steigen – ohne dass dafür ein Kilometer neue Schiene gebaut werden muss. Die Beschreibung der neuen Leit- und Sicherungstechnik klingt nicht mehr nach Eisenbahnromantik, nach Lokstahl oder schweren Kuppelarbeiten, sondern nach Künstlicher Intelligenz, Serverräumen und PCs: „Über verschlüsselte Datenverbindungen steht ein hochsicheres Computersystem mit Außenelementen wie Sensoren oder Weichen in Verbindung.“

Ein Schlaglicht auf die Entwicklung

Wie sonst in der Wirtschaft sind auch in der Bahnwelt die Erwartungen an die Digitalisierung hoch. Doch die jüngsten desaströsen Stuttgart-21-Nachrichten werfen ein negatives Schlaglicht auch auf diese Entwicklung. Denn die Terminverschiebung hat mit der komplizierten Technologie zu tun. Häufig sind es Technikpremieren, vieles wird erstmals eingebaut. Planung, Installation, Evaluierung und Abnahme brauchen ihre Zeit. Erfahrungen fehlen und müssen noch gesammelt werden. Zwar blieb die Bahn einen konkreten Grund für die jüngste Stuttgart-21-Terminverschiebung schuldig. Doch genau das viele Neue dürfte das Problem gewesen sein, denn zu hören war von Schwierigkeiten mit Zulassung und Freigabe der Technik eines Zulieferers.

Wenn es schon im Pilotprojekt im Kleinen stockt, was geschieht dann erst im großen Maßstab im mehr als 30.000 Kilometer langen Schienennetz in Deutschland? Nur sträflich naive Optimisten dürften noch davon ausgehen, dass die bisher verkündeten Fristen gehalten werden können. Schon in mancher laufender Generalsanierung, zum Beispiel auf der Strecke Hamburg–Berlin, fährt die DB nur mit gebremstem Tempo. Die Ausrüstung mit dem Zugsicherungssystem ETCS erfolgt zunächst nur auf einem Viertel der Strecke. Konventionelle Systeme bleiben vorerst in Betrieb.

Bis also alle Segnungen der Digitalisierung am Gleis ankommen, ist Geduld gefragt. Es ist ähnlich wie mit der generellen Frage, wann es endlich besser wird mit der Bahn in Deutschland. Das sei ein Marathon und kein Sprint, gibt Bahnchefin Palla immer wieder zu verstehen. Man muss sich wohl mit dem Gedanken anfreunden: So schnell die Entwicklung in der digitalen Welt generell voranschreitet – bei der Bahn dauert alles etwas länger.

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