
Gottfried Wilhelm Leibniz war vielleicht das größte Universalgenie, das Deutschland je hervorgebracht. „Heimat“-Regisseur Edgar Reitz hat einen Film über den alten Denker gedreht. Auf der Berlinale überraschte das Kammerspiel damit, wie kurzweilig Philosophie sein kann.
Philosophen sind im Umgang nicht immer ganz einfach. Das bemerken auch die Maler schnell, die den alternden Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz im Jahr 1704 porträtieren sollen – damit dessen intellektuelle Ziehtochter, Königin Charlotte von Preußen, in Gedanken die Grundsatzdebatten ihrer Kindheit mit dem Abbild ihres Lehrmeisters fortführen kann. Doch der Philosoph kann nicht aus seiner Haut und treibt den ersten Porträtkünstler so lange mit Fragen in den Wahnsinn, bis dieser Reißaus nimmt. Was stellt ein Bildnis eigentlich dar? Sind zwei identische Pinsel auch dieselben Pinsel? In welchem Verhältnis steht die Kunst zur Wahrheit?
„Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ setzt geschickt die theologischen Grundsatzdebatten über Gottes Unfehlbarkeit und die „beste aller Welten“ in Szene, arrangiert als Kammerspiel, das weitgehend in Leibniz‘ Arbeitszimmer spielt – und trotz ausgewalzter Gespräche über Gott und die Welt viel Raum für Humor bietet. Der von Lars Eidinger gespielte Maler Pierre-Albert Delalandre, der gleich ein paar Porträtvorlagen mitgebracht hat, die nur noch um Leibniz’ Gesichtszüge ergänzt werden müssen, nervt mit seltsamen Anweisungen an sein Motiv. Er solle zum Beispiel „neutral“ gucken.
Man sieht dem noch schweigenden Leibniz förmlich an, wie sein ratterndes Gehirn darüber nachdenkt, was Neutralität in diesem Zusammenhang bedeuten solle. Hauptdarsteller Edgar Selge glänzt mit und ohne juckende schwarze Perücke. Seine Mimik stellt mal das Genie des Grüblers dar, mal gibt er den verspielten Debattierer, aber auch den aufmerksamen Zuhörer – wenn ihn dann doch einmal jemand vom Wert der Kunst überzeugen kann.
Dieser jemand ist die junge holländische Malerin Aaltje Van De Meer, gespielt von Aenne Schwarz, die weit weniger schablonenhaft vorgeht als Delalandre – und im Spiel mit Licht und Dunkelheit versucht, eine Wahrheit im Leibniz-Porträt zu finden, die er selbst der Kunst nicht zutraut.
Regisseur Edgar Reitz ist mit „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ ein ausgeruhter und kurzweiliger Film gelungen. Es gibt kaum einen nennenswerten Vorspann, wenige Charaktere und wenige Handlungsorte. Doch trotz der minimalistischen Inszenierung und des eher zähen Themas beweist Reitz, dass Philosophie als Filmmotiv umsetzbar ist – ohne schwerfällig oder platt zu wirken. Und man lernt viel über Gottfried Wilhelm Leibniz.
Source: welt.de