Trump will die US-Flagge zum Mars tragen. Musk träumt von Kolonien dort, in denen man allen Erdenplunder hinter sich lassen kann. Ähnliche Phantasien verbanden sich vor 200 Jahren mit Amerika. Auch bei Deutschlands größtem Dichter. Was das mit „Alterspessimimus“ zu tun hatte.
Der Mars wird die neue Grenze, der neue Westen, das neue Amerika. Donald Trump hat angekündigt: „Wir werden unser Schicksal zu den Sternen tragen und amerikanische Astronauten losschicken, um die US-Flagge auf dem Mars zu platzieren.“ Erwartungsgemäß hat der Präsident dafür besonders ekstatischen Applaus vom Weltraum-Unternehmer Elon Musk bekommen.
Bei Musk ist die Idee der Mars-Besiedlung mit einer gesellschaftlichen Utopie verbunden. Den Roten Planeten stellt er sich vor als jungfräuliches Land, in dem auch gedanklich ein totaler Neuanfang möglich wäre. Allen ideologischen Plunder, allen Gruppenhader, alle Geschichte könnte man dort hinter sich lassen.
Interessant daran ist, dass jemand, der den amerikanischen Aufstiegstraum so verkörpert wie Musk, davon fantasiert, das reale Amerika hinter sich zu lassen und draußen im Weltraum ein neues zu gründen. Denn seine Mars-Fantasien ähneln frappierend denjenigen, die sich vor 200 Jahren am „jungen“ und „unberührten“ Kontinent entzündeten.
Deren berühmtester Ausdruck ist Goethes Xenie „Den Vereinigten Staaten“ aus dem Jahre 1827, in der es heißt: „Amerika, du hast es besser/ Als unser Kontinent, das alte,/ Hast keine verfallene Schlösser/ Und keine Basalte. Dich stört nicht im Innern/ Zu lebendiger Zeit/ Unnützes Erinnern/ Und vergeblicher Streit.“
Das Gedicht war Ausdruck von Goethes Amerikasehnsucht, die eben noch befeuert worden war durch die Reisebeschreibung von Carl Bernhard, dem Sohn des Weimarer Herzogs, der 1826 von einem zweijährigen Trip durch Nordamerika zurückgekehrt war. Die Neigung zur „Neuen Welt“, so interpretiert es der Germanist Klaus F. Gille, entsprach Goethes „Alterspessimismus“. Dieser resultierte einerseits aus seinem skeptischen Blick auf die Folgen der Französischen Revolution, andererseits aus dem Unbehagen, mit dem er den Aufstieg der literarischen Romantik sah. Der „Basalt“ steht in Goethes geologisch-politischem Weltbild für die „vulkanische“ Revolution, die „Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten“, vor denen ein „gut Geschick“ Amerika bewahren soll, stehen für die Romantik mit ihrem Mittelaltergetue.
Goethes Hoffnung auf eine wirklich „neue“ Welt hat sich bekanntlich nicht erfüllt. Die alten religiösen Konflikte wurden nach Amerika bekanntlich genauso mitgenommen, wie die um 1800 erst neu konstruierten Rassentheorien. Amerikanische Amtsgebäude schmücken sich mit römischen Säulen. Und „Ritter-, Räuber- und Gespenstergeschichten“ hat Hollywood viel mehr erzählt, als es die bescheidene kleine Verlagsindustrie Europas 1827 konnte. Die böse Königin in „Schneewittchen“ wurde nach dem Vorbild Uta von Naumburgs gestaltet und das Disney-Schloss sieht aus wie Neuschwanstein.
Source: welt.de