Nach französischen Maßstäben war dieser Korruptionsprozess präzedenzlos. In der Welt der Demokratien war er einzig vergleichbar mit einer Handvoll Gerichtsverfahren gegen Figuren wie Silvio Berlusconi, Alejandro Toledo oder Jacob Zuma. Ein früherer Staatspräsident und drei ehemalige Minister fungierten unter den elf Angeklagten. Gestern nun wurde der prominenteste von ihnen zu fünf Jahren Gefängnishaft (mit baldiger Einkerkerung) verurteilt: Der Pariser Strafgerichtshof befand Nicolas Sarkozy der kriminellen Vereinigung für schuldig. Der seinerzeitige französische Innenminister hatte laut Urteilsbegründung im Vorfeld der Kampagne für die Präsidentenwahl 2007 einen „Korruptionspakt“ mit dem libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi geschlossen: illegale Zuschüsse in Millionenhöhe für Gegenleistungen nach dem erhofften Wahlsieg.
Die Mitglieder des Kassationshofs verglich er mit „aufgereihten Erbsen“
Damit ist Sarkozy einer von jenen, die er selbst als Innenminister (zwischen 2002 und 2007), dann als Präsident (von 2007 bis zu seiner Abwahl 2012) unablässig gegeißelt hatte: ein Wiederholungstäter. Bereits in der sogenannten Bismuth-Affäre wurde er letztinstanzlich zu drei Jahren Gefängnishaft verurteilt: Er hatte 2014 im Gegenzug für Informationen über den Stand ihn betreffender Untersuchungen einem hohen Justizbeamten einen Posten in Monaco versprochen. Im sogenannten Bygmalion-Skandal wurde Sarkozy in erster und zweiter Instanz ebenfalls zu einem Jahr Gefängnishaft verurteilt: Versessen auf Wiederwahl, hatten der Kandidat und seine Equipe bei der Präsidentenwahl 2012 den erlaubten Höchstbetrag für die Finanzierung der Kampagne um über 90 Prozent überschritten – und zwecks Vertuschung gefälschte Rechnungen vorgelegt. Dieser Fall harrt noch des Entscheids des Kassationshofs: Sarkozy legt bei Verurteilungen stets Berufung ein.
Doch bedeutet nicht nur die abermalige Verurteilung Sarkozys wegen dem, was die Medien mit ihm verbündeter Magnaten wie Vincent Bolloré gern zu „gerichtlichem Ungemach“ verniedlichen, ein Gift für die Demokratie. Er unterminiert seit gut zwei Jahrzehnten die republikanischen Grundwerte. In der Justiz führte der Politiker Mindeststrafen für Wiederholungstäter ein, was dem Prinzip der Individualisierung der Strafmaße widerspricht, und suchte, die Funktion des Untersuchungsrichters abzuschaffen. Die Mitglieder des Kassationshofs verglich er mit „aufgereihten Erbsen“ – „selbe Farbe, selbe Größe, selber Mangel an Geschmack“ –, betraute dieselben aber wenig später mit dem Finden von Mitteln und Wegen, ein ihm missliebiges Urteil des Verfassungsgerichts auszuhebeln.
Frankreich rutschte auf Platz 44 des Pressefreiheits-Indexes
In der Sicherheitspolitik baute Sarkozy Buhmänner auf wie den „gefährlichen Irren“ oder den „schlechten Immigranten“; nach jedem aufsehenerregenden Mordfall ließ er ein neues Gesetz verabschieden. Ordnungshüter hatten Quoten zu erfüllen, etwa was die Zahl der Polizeigewahrsame anging. Razzien auf illegale Einwanderer zeitigten schockierende Szenen.
Seine Erziehungspolitik war vor allem eine Sparübung. Innerhalb von fünf Jahren wurden rund 80.000 Posten gestrichen. Überhaupt erschöpfte sich die sogenannte Generalrevision der öffentlichen Politiken im Abbau des „service public“. Im Medienbereich rutschte Frankreich 2010 wegen ständiger Interventionen der Regierenden und aufgrund von deren Verfilzung mit Moguln auf Platz 44 des Pressefreiheits-Indexes von Reporter ohne Grenzen hinab, gleich nach Papua-Neuguinea und weit hinter Namibia und Mali. Eine „große Debatte über nationale Identität“ führte 2009 erwartungsgemäß zur Fremdenhetze.
Erst jüngst räumte er den rechtsextremen Parteien Frankreichs einen Platz im „republikanischen Bogen“ ein und plädierte für eine Koalition zwischen „den Anhängern von Macron, Ciotti und Zemmour“, das heißt zwischen zunehmend konservativen Zentristen, Muslimhassern und Pétain-Verteidigern. Der Führerin des rechtsextremen Rassemblement National (RN), Marine Le Pen, ist der Wiederholungstäter aufgrund von deren eigenem gerichtlichem Ungemach in Solidarität zugetan; bereits 2012 stellte er ihr den Persilschein der „Kompatibilität mit der Republik“ aus.
Einer der Slogans von Le Pens Partei lautet „saubere Hände, erhobener Kopf“. Sarkozys Bewegung, Les Républicains, tritt ihrerseits seit Juni unter dem Motto „Das Frankreich der ehrlichen Leute“ an, uneingedenk der gerichtlich verurteilten zwei Präsidenten und zwei Premierminister, die sie hervorgebracht hat.
Source: faz.net