Der Fall Epstein: Die Angst des Königs

Der Mythos von Aschenputtel und dem Prinzen ist ein Märchen, das in gemeinsamem Glück endet. Die Wirklichkeit zerstört hingegen beide – das Mädchen Virginia und Andrew, der jetzt kein Prinz mehr ist. Er hatte sie einst, nachdem sein Freund, der sexuelle Missbrauchstäter Jeffrey Epstein, sie ihm zugeführt hatte, ja auch nicht aus der Armut retten, sondern sie nur benutzen wollen.

Und sie hatte schon in ihrer Kindheit Schlimmeres erlebt als eine böse Stiefmutter: sexuellen Missbrauch durch den Vater und dessen Freund; später kam dann die sexuelle Ausbeutung durch ihren Arbeitgeber Epstein. Wenn es stimmt, was Virginia in ihren Memoiren angibt, dann war der Auftritt des Prinzen glanzvoll genug, um sie zu veranlassen, rasch nach ihrer Kamera zu suchen. So sei das Foto entstanden, das Andrew mit ihr im Arm zeigt, gedacht als Souvenir für ihre Mutter.

Der öffentliche Zorn

Epstein drückte damals auf den Auslöser. Auch weil er, das eigentliche Ungeheuer, heute nicht mehr haften kann für seine Untaten, richtet sich der öffentliche Zorn nun gegen die Marionetten, mit denen er einst spielte. Jüngst brachte das den Labour-Politiker Lord Mandelson zu Fall und raubte jetzt dem Bruder des Königs Ansehen und Titel. Beide haben ihr Unglück auch selbst verschuldet, indem sie es Epstein gestatteten, ihre Charakterschwächen – Anspruchsdenken, Eitelkeit, Gier – für sich auszunutzen.

Andrew behält auch nach der Aberkennung aller Ehren seinen (achten) Platz in der britischen Thronfolge. Dies zu ändern, hätte eines Gesetzgebungsaktes bedurft – und das auf ewigen Erbfolgeregeln ruhende Fundament der Monarchie weiter geschwächt.

Stattdessen ließ der Buckingham-Palast halblaut wissen, der König habe auch die Entkleidung seines Bruders von dessen Ehren lieber selbst vollzogen, statt die Abgeordneten darüber entscheiden zu lassen. Man habe die kostbare Zeit des Parlaments nicht in Anspruch nehmen wollen, hieß es. Es ist aber nicht Rücksicht, die aus dieser Formulierung spricht, sondern Angst.

Source: faz.net