Der Bürgerkrieg im Suden hat zehn Millionen Menschen entwurzelt

Hajer Sulaiman, eine 32-jährige IT-Spezialistin, lebte einst in der Hauptstadt Khartum, als am 15. April 2023 ein schon Monate schwelender Machtkampf zwischen der Armee und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) offen ausbrach. „Meine Mutter erzählte mir später, dass sie an diesem Morgen zum Markt gehen wollte“, erinnert sich Sulaiman. „Sie konnte laute Explosionen hören, aber dachte, es läge an Demonstranten und nicht daran, dass gerade ein ganzes Land in einen Bürgerkrieg abglitt.“

Man rechnete nicht damit, dass die Kämpfe lange andauern würden. Viele Sudanesen gingen davon aus, dass die Generäle ihre Rivalen an einen Tisch holen, um einen Deal auszuhandeln. Doch das Dröhnen von Mörsern und Kampfflugzeugen hörte nicht mehr auf und ein paar Tage später, Anfang Mai 2023, beschloss die Familie von Hajer Sulaiman, dass sie gehen müsse. Heute lebt sie in Port Sudan, einer kleinen Stadt an der Küste des Roten Meeres, und gehört zu den Millionen von Vertriebenen, deren Leben durch einen brutalen, scheinbar unlösbaren Konflikt auf den Kopf gestellt wurde. Konservativen Schätzung zufolge starben bisher mindestens 14.000 Zivilisten, resümieren die unabhängigen Kriegsbeobachter der Organisation ACLED. „Ich habe meinen Laptop und mein Telefon nur mitgenommen, weil ich dachte, wir wären in ein paar Wochen zurück“, so Hajer Sulaiman.

Doch haben sich solche Hoffnungen längst zerschlagen. Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks UNHCR gibt es im Sudan mittlerweile zehn Millionen Binnen-Vertriebene, so viele wie nirgendwo sonst in Afrika oder anderen Weltregionen. Unter den Betroffenen befinden sich gut vier Millionen Kinder. „Deren Vertreibung geht mit zahlreichen anderen Krisen als Folge des Krieges einher“, sagt Mandeep O’Brien, Ländervertreter von UNICEF, des UN-Kinderhilfswerks für den Sudan. „Kinder sind besonders von Krankheiten und Hunger betroffen unter den fast 8,9 Millionen Menschen, denen akute Ernährungsunsicherheit zu schaffen macht.“ Weitere zwei Millionen sind in die Nachbarländer ausgewichen. Tschad (781.700) und Südsudan (699.330) haben die meisten Menschen aufgenommen, gefolgt von Ägypten (514.800) und Äthiopien (133.600).

Sulaiman lebt mittlerweile in einer kleinen Wohnung, die sie mit sechs Frauen teilt. Die stetig wachsende Bevölkerung von Port Sudan hat zu einem Anstieg der Mieten geführt. „Früher zahlten die Leute hier 200 oder 300 Dollar im Monat, nun sind mancherorts die Mieten auf bis zu 1.500 Dollar gestiegen“, sagt Sulaiman während eines Videoanrufs. Aber sie schätze sich glücklich, viele andere, die in der Stadt ankämen, müssten in Schulen, Zelten oder auf der Straße ausharren ohne Zugang zu Strom oder sonstigen Annehmlichkeiten.

Hunger auch im Tschad

El Fasher, die letzte große, von der Regierung kontrollierte Stadt in der riesigen westlichen Region Darfur wurde in ähnlicher Weise zur Zuflucht für Zehntausende von Flüchtlingen, die vor den überall aufflackernden Kampfhandlungen geflohen sind. In den vergangenen Monaten mussten die dort lebenden Menschen eine Belagerung durch die Rapid Support Forces (RSF) ertragen und waren täglich wahllosen Beschießungen ausgesetzt. Die Hilfsorganisation Médecins Sans Frontières gab bekannt, dass sie ihr letztes Hospital in El Fasher wegen der ständigen RSF-Angriffe geschlossen habe.

In Äthiopiens nordwestlichem Amhara-Bezirk, der an den Sudan grenzt und mit einem eigenen Konflikt zwischen Aufständischen und Regierungstruppen zu kämpfen hat, mussten schätzungsweise 8.000 Flüchtlinge nach wiederholten Angriffen und Entführungen die eingerichteten UN-Lager wieder verlassen. Eine Massenvertreibung mehr, die erkennen lässt, was humanitärer Notstand alles bedeuten kann. Hilfsorganisationen schlagen Alarm und beschreiben einen Mangel an Medikamenten, Nahrungsmitteln und Unterkünften, da die Zahl der Menschen in Flüchtlingscamps und provisorischen Siedlungen weiter wächst. Laut der Integrated Food Security Phase Classification, eines von den Vereinten Nationen unterstützten Instruments, um weltweit Notstandsgebiete zu beobachten, seien 14 Regionen mit hoher Konzentration an Binnenvertriebenen von Hungersnöten bedroht.

Tom Perriello, US-Sondergesandter für den Sudan, sagte jüngst, dass Unterernährung selbst in bisher als sicher geltenden Gegenden im Osten des Tschad anzutreffen sei, in denen sich hauptsächlich Sudanesen aus Darfur niedergelassen hätten. Es müsse etwas unternommen werden, „um Hilfsgüter durchzubringen“.

Eine Tante von Hajer Sulaiman, die an Diabetes litt und in ein Dorf im Osten des Landes geflohen war, hatte dort keinen Zugang zu Insulin. Ohne dieses Medikament konnte sie nicht überleben. In Gedanken gehe sie die Situation immer wieder durch, erzählt Hajer Sulaiman, und frage sich: Was wäre, wenn sie zu uns gekommen wäre? „Wir haben jeden Tag mit ihr telefoniert. Sie war die beste Freundin meiner Mutter.“

Faisal Ali ist Korrespondent des Guardian für Ostafrika

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