Der Berliner Kultursenator Joe Chialo war sehr stolz, dass sein Etat die Eine-Milliarde-Euro-Marke übersprungen hat. Das war vor gut einem Jahr. Jetzt muss er gewaltig sparen. Und der Aufschrei auf allen Ebenen ist groß. Sogar die Klassikstars gehen auf die Barrikaden.
Und wieder geht es los in der Kulturszene Berlins: Das große Zähneklappern, die Angst vor der Sparschlange, die Kürzungen und womöglich auch Sterben bringt. Dabei war doch bis eben alles gut: Die Inflation galoppiert zwar schon des Längeren, die Corona-Nachwirkungen halten auch finanziell durchaus noch an, die Welt taumelt von einer Krise in die nächste.
Doch die Gewerkschaft mit dem eigentlich musikaffinen Namen Ver.di fordert schon wieder unbeirrt Lohnerhöhungen. Und noch im Dezember 2023 verkündete der immer noch amtsfrische, bella figura machende, aber nicht auf Anhieb erfolgreiche Kultursenator Joe Chialo (CDU), er habe die Eine-Milliarde-Euro-Marke für den Berliner Kulturetat geknackt – und das für die kommenden zwei Jahre.
Die Kulturszene – dauerhaft aktivistisch bewegt, aber im Augenblick in einigen Bereichen nicht unbedingt mit Spitzenleistungen glänzend und Premierenfortüne gesegnet – lehnte sich beruhigt zurück. Dann freilich ging es plötzlich ganz schnell. Es muss gespart werden.
Marode Theaterbauten
Im Sommer, alle sind schon im Urlaub, wird mal von der CDU um den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner die Komische Oper zur Disposition gestellt. Dort ist ihr strahlender Regieheld und Intendant Barrie Kosky abgetreten, und sie wird gerade renoviert. Seit 30 Jahren steht das an – wie bei so vielen deutschen Nachkriegstheaterbauten in diesen Jahren.
Schon wird frech gezündelt und ein gemeingefährlicher Versuchsballon aufsteigen gelassen. Und das Haus, das im Ewig-Ausweichquartier Schiller Theater untergekommen ist, und seine Renovierung wird mal eben so zur Disposition gestellt. Nur probeweise natürlich. Die Empörung macht sich Luft, alles nur Spaß, Versuch beendet.
Und nirgendwo mehr eine nüchtern rechnende Kulturexpertin wie einst die unermüdlich kämpfende Alice Ströwer von den Grünen. Immerhin hat die aktuelle Regierung – weder CDU noch SPD haben wirklich Kulturenthusiasten in ihren Reihen – inzwischen eingesehen, dass weniger Renovierung des Opernhauses bei verlängerter Bauphase nur noch mehr Geld kosten würde.
Doch dann wurde vor drei Wochen den Kulturverantwortlichen von ihrem Senator mitgeteilt, dass im Rahmen der allgemeinen Haushaltskürzungen mindestens 110 Millionen Euro aus dem laufenden Etat geschnitten werden müssen. Für viele kleine Player wäre das das Ende, die Großen wären auf ihr schieres Dasein, ohne neuen, weiteren Output, reduziert. Denn wie alle immer vorrechnen: Etwa 80 Prozent ihres Etats sind Personalfixkosten, fünf Prozent gehen für Energie und Unterhalt drauf. Bleiben zehn bis 15 Prozent freie Mittel für die eigentliche Kunst.
Doch mit denen werden bloß die laufenden Vorstellungen bezahlt. Werden die weniger, gibt es auch weniger Einkünfte und wegen der Umwegrentabilität von etwa acht Euro pro ausgegebenem Steuer-Euro auch weniger Einnahmen in der Staatskasse. Schnelle Kürzungen nach dem Rasenmäherprinzip gehen sowieso nicht, Verträge sind auf mindestens drei Jahre im Voraus abgeschlossen. Sparen in der Kultur ist erst mal gar nicht möglich und bringt ohnehin wenig. Doch ausgetrocknete Institutionen sind unwiderruflich tot.
So geht in Berlin also das große Klagen wieder los, bevor konkrete Maßnahmen bekannt geworden sind. Während die bei stetigen Kostensteigungen absurd anmutende Infragestellung der notwendigen Sanierung der Komischen Oper samt Rückkehr Unter die Linden vom politischen Tisch scheint (auch wenn das Schreckensgespenst der „Verschlankung“ flattert), meldeten sich jetzt der Bühnenverein wie (leider nur einige) der Berliner Spitzendirigenten per offenen Briefen zu Wort.
Eine Milliarde Euro, das ist sicherlich viel Geld. Aber der Berliner Kulturetat hat derzeit einen Anteil von 2,1 Prozent am Gesamthaushalt des Landes – „eine geringe Investition, die einen maximalen Imagegewinn für die Stadt Berlin generiert. Kürzungen in der Kultur – das wichtigste Alleinstellungsmerkmal der Stadt – werden die Ausstrahlung Berlins drastisch mindern“ – damit meldeten sich die Spitzen der Berliner Klassik zu Wort.
„Kulturelle Vielfalt Berlins erhalten“
Joana Mallwitz, die noch neue Chefin vom Konzerthausorchester, beschwört „unsere kulturelle Identität“ und den niedrigschwelligen Zugang, den es weiterhin geben muss, will man nicht ausschließlich dem Vergnügen der Besserverdienenden dienen. Philharmoniker-Meister Kirill Petrenko möchte „die so wichtige kulturelle Vielfalt Berlins erhalten“, während der eben an der Staatsoper als Generalmusikdirektor installierte Christian Thielemann von Berlin als einem „Synonym für kulturelle Exzellenz“ schwärmt, das bleiben muss.
Und natürlich werden bekannte Argumente aufgefahren, die aber trotzdem richtig sind: „In Berlin ist die Kultur ein wichtiger Wirtschaftsfaktor – als Arbeitgeber in der Kreativbranche ebenso wie im Tourismus. Mehr als die Hälfte der Berlin-Gäste kommt nachweislich wegen des attraktiven Kunst- und Kulturangebots in die Stadt. Kürzungen in der Kultur würden dieses Angebot stark beschneiden und damit zu massiven Einnahmeausfällen für die gesamte Stadt Berlin führen.“
Der Bühnenverein, unterstützt durch die Kulturprominenz von Daniel Barenboim bis Angela Winkler, haut in dieselbe Kerbe und sieht durch drastische Finanzeinschnitte den „Arbeitsplatz Kultur unmittelbar und in großem Umfang von Entlassungen und dem beruflichen Aus Vieler bedroht. Immerhin arbeiten allein 8,2 Prozent der Erwerbstätigen in Berlin im Kulturbereich“.
Und man fährt ganz nüchtern fort: „Die institutionell geförderten Opern-, Konzert- und Theaterhäuser wären durch Kürzungen dieser Größenordnung gezwungen, den bereits geplanten und vertraglich verabredeten Produktions- und Spielbetrieb weitestgehend auszudünnen. Denn mit hohen Fixkosten für Personal und Gebäudeunterhaltung besteht der einzige budgetäre Spielraum im künstlerischen Programm.
Die Auswirkungen auf das kulturelle Angebot der Stadt wären drastisch – allein die 29 Mitgliedsbetriebe im Bühnenverein erreichen jährlich rund drei Millionen Besucher. Privatrechtlich organisierten Häusern drohte die Insolvenz, Kürzungen bei den projektbezogenen Förderungen träfen die verletzlichsten Bereiche der freien Szene und der Performing Arts, der Literatur, der Bildende Kunst, des Tanzes und der kulturellen Bildung.“
Nirgendwo aber ist Erlösung in Sicht. Und ob Joe Chialo, der anscheinend längst bemüht ist, sich als zu dieser Zeit passender Bundeskulturbeauftragter des CDU-Schattenkanzlers Friedrich Merz zu positionieren, sich messiashaft für die Kultur aufzubäumen vermag?
Eben jedenfalls kam er erst nach der Konzertpause in die Staatsoper, um später auf der Bühne Christian Thielemann nach dessen „meisterhaftem Schöneberg“ zu seinem Antrittskonzert zu gratulieren und dem äußerst hinfälligen Daniel Barenboim die schon im Frühjahr verkündeten Ehrungen als Ehrenmitglied der Staatsoper und Ehrenchefdirigent der mehr als 30 Jahre lang von ihm geleiteten Staatskapelle in Urkundenform zu überreichen. Der einstige Kämpfer, nur noch ein Schatten seiner selbst, flüsterte danach kaum hörbar, er werde „wenigstens heute Nacht gut schlafen“.
Barenboim muss sich verdientermaßen um nichts mehr kümmern, er hat seine Schuldigkeit getan. Die finanziell vergleichsweise gut aufgestellte Staatsoper sucht also, darin hat sie Erfahrung, den ostentativen Schulterschluss mit den Mächtigen. Wie aber wird es den schwächeren Kulturkettengliedern ergehen?
Source: welt.de