Seit gut zwei Wochen protestieren Tausende Menschen in Madagaskar gegen die Regierung. Nun solidarisierte sich eine wichtige Armeeeinheit mit den Protestierenden und installierte einen neuen Militärchef in dem ostafrikanischen Land. Präsident Andry Rajoelina sprach von einem „Versuch der illegalen Machtübernahme“.
Die Armeeeinheit Capsat schloss sich am Samstag den Protestteilnehmern im Zentrum der Hauptstadt Antananarivo an. Beobachter werteten dies als eine bedeutende Wende. Vor dem Eintreffen der Soldaten hatte die Polizei laut Berichten von Reportern der Nachrichtenagentur AFP Blendgranaten und Tränengas gegen die Demonstranten eingesetzt, um sie auseinanderzutreiben.
Capsat-Soldaten lieferten sich vor einer Kaserne Auseinandersetzungen mit der Polizei und fuhren dann mit Armeefahrzeugen in Antananarivo ein, wo sie den AFP-Reportern zufolge von Tausenden Demonstranten mit Jubel und Dankesrufen empfangen wurden. Die Armeeeinheit hatte zuvor in Onlinediensten mitgeteilt, dass sie „Schießbefehle verweigern“ werde. Sie rief zugleich das gesamte Militär sowie Gendarmerie und Polizei zur Befehlsverweigerung auf.
Neuer Armeechef ernannt
Zunächst war unklar, wie viele Militärangehörige sich dem Aufruf anschlossen. Am Sonntag teilten die Capsat-Offiziere schließlich in einer Videobotschaft mit, dass „von nun an alle Befehle der madagassischen Armee – zu Lande, in der Luft oder zur See – vom Capsat-Hauptquartier ausgehen werden“.
Später wurde bei einer Zeremonie im Beisein von Streitkräfteminister General Deramasinjaka Manantsoa Rakotoarivelo der von Capsat nominierte General Demosthene Pikulas zum neuen Armeechef ernannt. Pikulas sagte, die Armee müsse dafür sorgen, „Ruhe und Frieden in ganz Madagaskar wiederherzustellen“. Die an Präsident Rajoelina gerichteten Rücktrittsforderungen wollte er nicht kommentieren.
Die Capsat-Soldaten sind in einer Kaserne in Soanierana stationiert, in der bereits 2009 Streitkräfte während eines Volksaufstands gegen die Regierung gemeutert hatten. Im Zuge des damaligen Putsches kam der heutige Staatschef Rajoelina an die Macht; Ende 2023 wurde er bei einer von der Opposition boykottierten Wahl für eine dritte Amtszeit bestätigt.
Gendarmerie räumt „Fehler und Exzesse“ ein
Rajoelina sagte am Sonntag: „Die Präsidentschaft der Republik möchte die Nation und die internationale Gemeinschaft darüber informieren, dass derzeit auf nationalem Gebiet ein Versuch unternommen wird, die Macht illegal und mit Gewalt zu übernehmen, was gegen die Verfassung und die demokratischen Grundsätze verstößt.“ Der Dialog sei „der einzige Weg nach vorn und die einzige Lösung für die Krise, mit der das Land derzeit konfrontiert ist“.
Während am Sonntag in Antananarivo erneut eine Kundgebung und ein Gottesdienst stattfanden, räumten Beamte der Gendarmerie „Fehler und Exzesse während unserer Einsätze“ ein. In einer Videobotschaft riefen sie zu „Brüderlichkeit“ zwischen der Armee und den Gendarmen auf.
Stromausfälle als Auslöser der Proteste
Die Proteste in Madagaskar hatten am 25. September begonnen. Auslöser waren regelmäßige Stromausfälle von mehr als zwölf Stunden pro Tag sowie Probleme bei der Wasserversorgung. Nach UN-Angaben wurden seit Beginn der Proteste mindestens 22 Menschen getötet und mehr als einhundert weitere verletzt.
Die unter dem Namen Gen Z zusammengeschlossene Protestbewegung fordert den Rücktritt von Rajoelina, die Auflösung des Senats, des Verfassungsgerichts und der Wahlkommission sowie die strafrechtliche Verfolgung des Geschäftsmannes Mamy Ravatomanga, der Rajoelinas wichtigster Geldgeber sein soll.
Das vor der afrikanischen Ostküste liegende Madagaskar gehört trotz seiner vielen Rohstoffe zu den ärmsten Ländern der Welt. Fast 75 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze.