Ein Lichtermeer gegen rechts war das Ziel der Demonstrierenden, die in der letzten Woche auf die Straße gingen. Doch mit Haltung, Gesang und einer Licht-Show verhindern wir nicht den Rechtsruck, meint unser Autor. Dafür müssen wir mehr tun
Die Lichtermeer-Demonstration am Brandenburger Tor in Berlin, 25.01.2025
Foto: Imago/Pic-One
Dunkel ist es schon, um fünf Uhr nachmittags am Brandenburger Tor im Januar. Dunkel und kalt. Aber die Masse an Menschen lässt eine leichte Wärmewolke entstehen. Sie haben wieder gebastelt, Schilder, Laken, Fahnen: „Nie wieder Nazis – keine Stimme für die AfD“, „AfD-Verbot jetzt“, „Alice aus dem Fascho-Land“. Es ist Samstagnachmittag und schwer zu sagen, wie viele Leute hier sind. Die Kundgebung war schon angekündigt, als Friedrich Merz verlauten ließ, im Zweifel auch mit der AfD zusammen für Anträge zur Migrationspolitik stimmen zu wollen.
Vor einem Jahr war es im Nachgang zu einem Bericht über ein AfD-Treffen zu den größten Demonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik gekommen. Am Ende sollen bundesweit über drei Millionen gegen Rechts und „für die Brandmauer“ auf der Straße gewesen sein. Die Proteste an diesem Samstag fielen verhaltener aus: 35.000 Teilnehmer*innen nennt die Polizei für Berlin, 100.000 der Veranstalter.
Dabei ist der Rechtsdrift in Deutschland im vergangenen Jahr spürbarer geworden. Kurz vor der vorgezogenen Bundestagswahl befindet sich die AfD im Umfrage-Höhenflug, die sogenannten Volksparteien überbieten sich in der Übernahme derer Positionen oder liebäugeln gar mit Zusammenarbeit. Auf die Straße gehen dagegen weniger. All das Demonstrieren, all das Kundgeben, Schilderbasteln, Lichtermeeren, es scheint bestenfalls einen kurzfristigen, beruhigenden Effekt auf jene gehabt zu haben, die auch vorher schon nicht rechts waren. Geändert hat es wenig.
„Sie haben Hass, wir haben Haltung“, tönt es am Brandenburger Tor durch die Lautsprecher. Klimaaktivistin und Grünen-Mitglied Luisa Neubauer verliest eine Rede. Sie spricht langsam, klingt toll, kämpferisch. Immer wieder wird der Kehrreim mit Applaus komplimentiert: „Sie haben Hass, wir haben Haltung“. Dann heben alle ihre Smartphone-Taschenlampen in die Luft, vorn singt jemand Hejo, spann den Wagen an mit alternativen Zeilen über Faschismus und Widerstand vor, die Menge summt mit, erst verhalten, dann laut.
Über Differenzen hinwegsehen
In mir zieht sich etwas zusammen. Die pseudo-heroische Performance finde ich nicht nur ästhetisch, sondern auch ideell peinlich: Was ist „Haltung“, wenn aus ihr keine Konsequenzen folgen? Alle machen hier einen auf Weimarer Republik, inklusive mir, nachher gehen sie nach Hause und werfen ihren Widerstand ins Altpapier. Kann ich es meinen Freund*innen verübeln, dass sie ihren Samstagnachmittag lieber mit etwas Schönerem verbringen anstatt mit Fremden in der Kälte gegen den Faschismus zu dichten? Wir basteln und singen, und rechts von uns lacht man sich nicht tot, sondern lebendig.
Warum bin ich trotzdem hier? Damit ich das Gefühl habe, „etwas“ getan zu haben? Damit mein Selbstbild, meine interne Geschichtsschreibung – „Faschismus 2025, ich war dagegen!“ – noch konsistent ist? „Wir sind mehr“, das habe ich 2018 in Chemnitz aufrichtig gefühlt, letztes Jahr im Januar zumindest noch geahnt.
Zur Mehrheit zu gehören ist ein gutes Gefühl. Und es ist politisch irreführend: Es sollte egal sein, wie ich Luisa Neubauers Rede finde. Oder ob die Partei, für die ich im Februar stimmen werde, mir persönliche Vorteile verschafft. Was Rechte so stark gemacht hat, ist auch, dass sie über Differenzen hinwegsehen, wenn für sie die Richtung stimmt. Linke haben das zuweilen verlernt.
Ich verlasse die Wärmewolke der vielen Menschen und ihrer Smartphone-Lichter. Es wird sofort wieder kalt. Und dunkel.