Démocratie française: Wahlsieger werden zu Wahlverlierern gestempelt

Die Ernennung von Michel Barnier durch Emmanuel Macron ist ein schlechter Witz. Der Vorgang sollte es nicht wert sein, kommentiert zu werden. Andererseits spiegelt sich in dieser Entscheidung vieles von dem, was gegenwärtig für repräsentative Demokratien im Westen ausschlaggebend und identitätsstiftend ist. Man ignoriert das Ergebnis von Wahlen und übergeht den Willen des Souveräns, sobald Abstimmungen auf eine Umverteilung von politischer Macht hinauslaufen oder vorhandene Machtgebäude erschüttern, die offenbar als elektorale Erbhöfe angesehen werden.

Allgemeine Wahlen als Wesenskern der parlamentarischen Demokratie werden zu anrüchigen Vorgängen, sobald die Falschen gewinnen. In Frankreich war das am 7. Juli der Fall, als Millionen Franzosen der Neuen Volksfront zum Sieg verhalfen und ihr als Linksallianz quasi einen Regierungsauftrag erteilten. Der wird nun gerade für null und nichtig erklärt.

Kohabitation mit Marine LePen

Frankreichs designierter Premier Michel Barnier gehört zur Partei Les Républicains, die mit sechs Prozent und noch 39 von insgesamt 577 Mandaten in der Nationalversammlung zu den klaren Verlierern dieses Votums zählte. Was prädestiniert ihn, eine Regierung zu bilden? Eigentlich nichts, läge dieser Nominierung nicht die Annahme zugrunde, dass Barnier als schwache Figur an relativer Stärke gewinnt und politisch überlebt, weil ihn der rechtsnationale Rassemblement National (RN) toleriert, wenn nicht stützt. Dafür ist besonders ausschlaggebend: Sollte von den Linksparteien versucht werden, Barnier im Parlament mehrheitlich das Vertrauen zu entziehen, werden sie nicht zuletzt an den 125 Abgeordneten des RN scheitern. Macron dürfte entsprechende Zusagen von Marine Le Pen erhalten haben. Schwer vorstellbar, dass er sich sonst auf das riskante Manöver mit Barnier eingelassen hätte. Seine Präsidentschaft ist in einem Maße erodiert, dass er sich weitere Fehlschläge kaum leisten kann. Eine Konsequenz dieser Degeneration ist nunmehr eine informelle Kohabitation zwischen dem Élysée und der Rechtsaußen-Partei.

Die linke Volksfront hingegen wird als Wahlgewinner zum Wahlverlierer herabgestuft. Verheerender kann der Umgang mit der repräsentativen Demokratie und den Erwartungen von Wählern nicht sein. Aber Barnier ist nun einmal die Gewähr dafür, dass es bei der per Dekret durchgesetzten, in weiten Teilen der französischen Gesellschaft abgelehnten Rentenreform bleibt. Lucie Castets, die Kandidatin der Linksallianz für das Amt der Regierungschefin, wollte genau hier einen Politikwechsel, die Mindestlöhne anheben und die Solidaritätssteuer auf große Vermögen wieder einführen. Macrons Antwort auf den eher moderaten Versuch der Linksparteien, dem neoliberalen Umbau des Landes Grenzen zu setzen, ist eine konservative, rechte Regierung jenseits des Wählerwillens.

Emmanuel Macron bereitet Rechtsextremen den Weg

Bereits vor der Präsidentenwahl 2017 tauchte in Paris Graffitis mit der Formel auf: Macron 2017 = Le Pen 2022. Dies war der Vorahnung geschuldet, dass Macron der Wegbereiter eines Rassemblement National in Regierungsverantwortung oder -teilhabe sein könnte. Dies reflektierte nicht allein gegebene Kräfteverhältnisse, sondern ebenso wirtschaftspolitische Interessen.

Sieben Jahre später ist daraus Gewissheit geworden. Die Ignoranz demokratischer Entscheidungen zeugt davon, wie sehr dabei auf den autoritären Staat und eine autoritäre Amtsführung zurückgegriffen wird. Alle, die gerade nicht genug über das Aufkommen eines „neuen Faschismus“ klagen und lamentieren können, sollten sich zunächst fragen, wie der längst in staatlichen Institutionen nistet. Das ist keine neue Erkenntnis oder Erfahrung. Neu ist, das rechtsextreme Parteien in Tuchfühlung mit einer Regierungsübernahme wissen, woran sie sich halten können und sich mit der Demontage von Demokratie nicht groß aufhalten müssen.

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