Wenn die Kanzlerpartei einen Kanzler hat, dann ist er auch ihr Kanzlerkandidat, oder? Bei der SPD ist das nicht so eindeutig. Der Frust über Olaf Scholz ist groß, die Umfragen und seine Persönlichkeitswerte hängen schon zu lange im Keller fest. Wäre also Verteidigungsminister Boris Pistorius doch der bessere Kandidat? Diese Frage will die SPD nun rasch klären. Das sind die fünf Männer, auf die es in der K-Frage jetzt ankommt:
Lars Klingbeil
Die Bedeutung des Parteivorsitzenden ist in den vergangenen Wochen noch mal größer geworden. Klingbeil nimmt für sich in Anspruch, die Wahlkampagne der SPD entscheidend mitzugestalten. Aber Klingbeil hat eine entscheidende Sache nicht gemacht: Unmittelbar nach dem 6. November, als die SPD voller Euphorie für Olaf Scholz war nach dem Rauswurf von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), wäre ein geeigneter Zeitpunkt gewesen, um einen Parteivorstandsbeschluss für Scholz herbeizuführen.
Ob das jede Diskussion über die K-Frage erstickt hätte, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Aber es wäre ein Signal gewesen. Genauso wenig hat er offenbar ein Machtwort gegenüber Pistorius gesprochen, dass der eine Kandidatur ausschließen soll.
In der Sache steht Klingbeil zu Scholz. Warum tut er das, wo es für ihn als Wahlkämpfer doch auch gute Argumente gibt, auf den beliebtesten Sozialdemokraten, also Pistorius, umzuschwenken? Klingbeil wurde bundespolitisch geprägt durch die Chaoszeit nach dem Sturz von Andrea Nahles. Damals war er Generalsekretär und verstand, dass Geschlossenheit zwar eine Floskel ist, aber auch ein Wert an sich.
Es war eine der Voraussetzungen für die erfolgreiche Kandidatur von Scholz 2021. Deswegen ist Klingbeil kein Freund der nun offenen K-Debatte. Das kommt auch seinem Politikverständnis entgegen: Klingbeil glaubt, dass sich Wahlsiege planen lassen, mit Themen, Kampagnen und Slogans. Und nicht nur von Beliebtheitswerten abhängen. Einen kurzfristigen Kurs- und Kandidatenwechsel findet er deswegen gefährlich.
Hinzu kommen persönliche Ambitionen. Pistorius kommt wie Klingbeil aus Niedersachsen. Der SPD-Chef darf sich Hoffnungen machen, der kommende Sozialdemokrat hinter Scholz zu sein. Müsste er Pistorius den Vortritt lassen, etwa weil der nach einem passablen Ergebnis als Kandidat wieder ins Kabinett käme, würde ihn das ausbremsen.
Rolf Mützenich
Der Fraktionsvorsitzende ist der andere starke Mann der SPD. Mützenich ist bei den SPD-Abgeordneten enorm beliebt und kann sie im Zweifel auch in Stellung bringen gegen den Kanzler. Zumindest hat er Scholz schon mehrfach spüren lassen, wer hier das Tempo bestimmt. Etwa, als er ihn morgens um sieben Uhr zur Fraktionssitzung vorgelud und damit das Ende der Haushaltsgespräche festlegte.
Dabei ist Mützenich loyal, ein Putsch gegen Scholz ist nicht sein Stil. Er hat den Kanzler zwar wissen lassen, welche Schmerzen er bei manchem Ampelkompromiss hatte. Aber noch größere Schmerzen hätte Mützenich wohl, wenn Pistorius Kanzlerkandidat würde. Denn die beiden stehen in der wichtigen Frage der Ukrainepolitik für unterschiedliche Pole: hier der Abrüstungsfreund Mützenich, dort der „kriegstaugliche“ Pistorius. Mützenich hat gerade erst angekündigt, wieder für den Bundestag zu kandidieren. Er wird also ein Machtfaktor bleiben.
Matthias Miersch
Die Aufgabe von Generalsekretären ist es, den politischen Gegner zu attackieren und Wahlkämpfe zu organisieren. Matthias Miersch hatte bislang nur wenig Zeit, das zu tun, weil er nach dem Rücktritt von Kevin Kühnert überraschend ins Amt kam. Miersch ist noch nicht einmal von einem Parteitag gewählt. Dafür kann er auf die Arbeit des Willy-Brandt-Hauses, das er nun führt, zurückgreifen. Allerdings war man dort mit der Arbeit von Kühnert unzufrieden, der den Europawahlkampf vergeigt hatte.
Es ist also davon auszugehen, dass Miersch nicht allzu viele Alleingänge unternimmt, sondern sich eng mit den beiden Parteivorsitzenden, Saskia Esken und Lars Klingbeil, abstimmt. Eskens Stimme hat dabei immer weniger Gewicht. Zwar gehört sie inzwischen zu den glühendsten Scholz-Unterstützern, aber das macht nicht den Unterschied. Die enge Abstimmung wird Miersch mit Klingbeil machen. Da passt es, dass sie dieselbe politische Heimat haben: Beide kommen aus Niedersachsen. So stark vertreten war der Landesverband an der SPD-Spitze selten.
Olaf Scholz
Der Bundeskanzler würde gerne die Debatte über seine eigene Kandidatur beenden, aber er kann es nicht. Zu groß sind inzwischen die Zweifel in Teilen der Partei, dass mit ihm noch ein Aufschwung bis zum 23. Februar möglich ist. Er hat an Autorität verloren.
Was Scholz sehr wohl noch könnte: die Debatte beenden, indem er selbst zurückzieht und Pistorius die Kandidatur überlässt. Die Unterstützer des Verteidigungsministers hoffen auf genau das, weil niemand Freude hat an einem Kanzlersturz. Das würde das Licht der Intrigen auf die SPD werfen, aus dem sie vermutlich lange nicht würde treten können.
Aber ist das Scholz zuzutrauen? Bisher machte er den Eindruck, sich nur selbst die Aufgabe des Kanzlerseins zuzutrauen und auch wieder antreten zu wollen. Gleichwohl wurde registriert, dass sein Werben in eigener Sache zuletzt etwas leidenschaftsloser ausfiel. Aber ein Rückzug wäre ein sehr großer Schritt für Scholz. Es könnte eine Situation entstehen, die es noch nie gab in der Bundesrepublik: Ein amtierender Bundeskanzler wäre bis zur Bildung einer neuen Koalition im Amt, aber über die Geschicke der Zukunft entschiede ein anderes Parteimitglied.
Boris Pistorius
In der Rückschau fällt auf, dass Boris Pistorius viel Abstand hielt zum Ampelchaos. Als Scholz in Berlin den Finanzminister rauswarf, war er gar nicht im Land. Auch das trägt dazu bei, dass in den Augen nicht weniger Pistorius als der Anti-Scholz leuchtet: ein sympathischer, klar kommunizierender, hemdsärmeliger Typ.
Der Verteidigungsminister ist enorm beliebt, hat das bislang aber nicht als Pfund gegen den Kanzler eingesetzt. Seine Bilanz als Minister ist bescheiden. So konnte er sich nicht durchsetzen, einen größeren Etat zu erstreiten. Womöglich auch, weil Scholz spürte, was für ein Publikumsliebling Pistorius ist und welche Gefahr ihm damit wächst.
Nun fühlt sich Pistorius offensichtlich geschmeichelt von den Gerüchten und Forderungen rund um seine Person. Es ist nachvollziehbar, wie er vorgeht: Er äußert sich loyal zu Scholz, ohne eine eigene Kandidatur auszuschließen. Denn das könnte er, es wäre ein mächtiges Wort in der schwelenden Debatte. So aber wartet Pistorius ab, wie laut er noch gerufen wird. Aber inzwischen zweifeln auch einige in der SPD daran, ob Pistorius’ Vorgehen klug ist – selbst solche Leute, die Sympathien für ihn haben. Denn mit seiner abwartenden Haltung schade er sich selbst und auch der SPD, heißt es.
Gerhard Schröder
Man kann sich seine Feinde nicht aussuchen, aber, noch schlimmer vielleicht, seine Unterstützer auch nicht. Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sich für Scholz ausgesprochen. „Jede Debatte über einen amtierenden Bundeskanzler, den man nicht austauschen kann, schadet allen“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. „Die Partei kann doch nicht den eigenen Bundeskanzler demontieren.“ Scholz habe einen „ordentlichen Job“ gemacht. Es sei für ihn mit der Ampelkoalition noch schwerer gewesen als für ihn, Schröder, zu Zeiten der rot-grünen Koalition von 1998 bis 2005.
Diese mitfühlenden Worte von Ex-Kanzler zu Nochkanzler kommen in der SPD nicht gut an. Zwar hatte der neue Generalsekretär Matthias Miersch kürzlich noch gesagt, dass für Schröder ein Platz in der Partei sei. Aber inhaltlich versucht man größtmöglichen Abstand zum Putin-Freund Schröder zu halten. Der wiederum versucht mit Aussagen wie diesen über Scholz, sich seinen Platz in der deutschen Sozialdemokratie langsam, aber stetig zurückzuerkämpfen.
Source: faz.net