Ganz Mutige führten Sigrid Nikutta tatsächlich auf ihrer Kandidatenliste für die Nachfolge von Richard Lutz. Eine Frau, eine langjährige und erfahrene Führungskraft im Schienenbereich, eine schon im Konzernvorstand des Staatsunternehmens sitzende Managerin und damit gut passende interne Lösung – völlig abwegig wäre ihre Wahl zur neuen Bahnchefin nicht gewesen. Oder doch? Letztlich entschied sich Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder mit Evelyn Palla ebenfalls für eine Frau. Aber für eine, die viel weniger polarisiert als Nikutta. Und für eine, die in ihrem einstigen Wirkungsbereich DB Regio um Längen ökonomisch erfolgreicher agierte als Nikutta mit ihrer Bahngütersparte.
Denn DB Cargo gehört zu den größten Sorgenkindern der Deutschen Bahn . Das wird auf jeder Bilanzpressekonferenz deutlich, wenn die Rede auf die einzelnen Segmente kommt. Mit unschöner Regelmäßig liegt der Frachtbereich wirtschaftlich weit hinten – und nur mit den Verlusten weit vorne. Nun kommt erheblicher zeitlicher Druck vonseiten der europäischen Politik. Nach dem Willen der Brüsseler Kommission muss die Sparte bis Ende 2026 eigenständig profitabel werden. Quersubventionen im Konzern soll es nicht mehr geben. Ansonsten droht eine Zerschlagung.
Jetzt geht es ums Ganze
Das weiß Sigrid Nikutta, die seit 2020 an der Spitze der Sparte steht, nur zu gut. Und sie will dies verständlicherweise mit allen Mitteln verhindern. Seit Wochenbeginn ist bekannt, dass dazu auch äußerst rabiate Maßnahmen mit Blick auf die Mitarbeiter gehören. Nach Informationen aus Bahnkreisen soll die Anzahl der DB-Cargo-Beschäftigten in Deutschland drastisch sinken. 2023 waren es rund 19.000. 2030 sollen es nur noch 10.100 sein. Noch vor zwei Jahren hatte Nikutta Berichte über einen massiven Stellenabbau empört zurückgewiesen. Solche öffentlichen Spekulationen verunsicherten Arbeitnehmer und Kunden. „Sie schaden auch unserem Ziel, mehr Güter von der Straße auf die Schiene zu bringen.“
Heute ist man in der Cargo-Chefetage nicht mehr so feinfühlig. Nikutta ist sich bewusst, dass es jetzt ums Ganze geht – und da setzt sie lieber auf das Prinzip klotzen statt kleckern. Im Arbeiternehmerlager kommt das denkbar schlecht an. Die mächtige Eisen- und Verkehrsgewerkschaft EVG hat jetzt sogar einen Brandbrief an DB-Vorstandschefin Palla und Aufsichtsratschef Werner Gatzer abgeschickt, der es in sich hat. Auf gut zwei Seiten lässt die stellvertretende Vorsitzende Cosima Ingenschay in jeder Zeile durchblicken, was die Gewerkschaft noch von Nikutta hält – nämlich gar nichts.
Eine verheerende Bilanz
Ihre Bilanz sei verheerend. Die anfangs angekündigte Wachstumsstrategie funktioniere „schlicht nicht“. Nach knapp sechs Jahren sei von der anfangs auch unter Mitarbeitern herrschenden Hoffnung, dass Nikutta das Unternehmen wieder wettbewerbsfähig machen und in eine wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft führen werde, „nichts geblieben“. Die EVG wirft der Cargo-Chefin vor, „eine Strategie des kopflosen Schrumpfens, Kleinmachens und Zerstückelns“ zu betreiben. „Die Zahlen sprechen für sich: Ein Minus von über 3,1 Milliarden Euro (Ebit) seit Amtsantritt.“ Die EVG geht sogar so weit, die DB-Cargo-Führungsspitze als „Standortrisiko für unser Land mit potenziell verheerenden Folgen“ abzukanzeln.
Selbst wenn man solche Formulierungen als Gewerkschaftsrhetorik verbucht – ungewöhnlich ist, dass die Arbeitnehmerorganisation auch vor persönlicher Attacke nicht zurückschreckt. Sie trete als Influencerin in eigener Sache mit markigen Statements und Posts auf, heißt es. Ihre Energie fließe in Schlagzeilen, nicht in Lösungen. Beschäftigte und Kunden hätten längst erkannt, „dass Nikutta nicht für DB Cargo, sondern nur für sich selbst ‚brennt‘“.
„Andere sind gut. Wir sind güter.“
Diese Anwürfe kommen nicht aus dem vollkommen luftleeren Raum. Die am 1. April 1969 in Polen geborene oberste Schienenfrachtmanagerin ist zwar promovierte Psychologin. Doch wissenschaftliche Zurückhaltung und feine Differenzierung sind im tagtäglichen Umgang nicht ihr Ding. Die Frau, die in ihrer Karriere mit schmucken Titeln wie „Managerin des Jahres“ oder „Top-Business-Frau“ bekränzt wurde, gibt sich lieber resolut. Das zelebrierte sie schon während ihrer gut neun Jahre als Vorstandsvorsitzende der Berliner Verkehrsbetriebe. Die bis dahin als dröge geltende BVG hatte mit frechen Werbungs- und Social-Media-Aktivitäten danach ein fast hippes Image. Auch DB Cargo wollte sie mit Sprüchen wie „Andere sind gut. Wir sind güter“ ein aufpoliertes Selbstbild verpassen. Konflikte scheute Nikutta selten. „Ich bin dafür bekannt, lieber zu machen als zu reden. Aber ganz ehrlich: Das liegt vor allem daran, dass ich meist den Mund voller Gummibärchen habe.“ So stellt sie sich und ihre kulinarische Schwäche im Berufsnetzwerk Linkedin vor.
Das alles kann man für erfrischend halten inmitten einer sich häufig allzu steif präsentierenden Männermanagerwelt. Für die Kritiker hat Nikutta jedoch ihren Kredit verspielt. „Eine Zukunft für die DB Cargo kann es nur geben, wenn Frau Nikutta dort keine Zukunft mehr hat“, heißt es am Ende des EVG-Briefes an Palla und Gatzer.
Diesen Brief wird, obwohl er kein direkter Adressat ist, auch der Verkehrsminister aufmerksam zur Kenntnis nehmen. Denn Patrick Schnieder hat mit der EVG schon kurz nach Amtsbeginn äußerst unangenehme Erfahrungen gemacht. Sein öffentlich gemachter Vorschlag, Dirk Rompf zum neuen Leiter der Infrastruktursparte DB Infra GO zu machen, stieß in der Gewerkschaft auf scharfe Ablehnung. Sogar die Wahl von Schnieders Topkandidatin für den obersten Bahnposten, Palla, stand damit zeitweise auf der Kippe. Am Ende zog sich Rompf selbst zurück, und Palla konnte Bahnchefin werden. Seitdem weiß Schnieder, dass mit der EVG nicht zu spaßen ist.