Das Logbuch geht wieder los: – Willkommen zwischen den Zeitenwänden, 5.09

Bereits vor meiner Abreise war mein geliebtes FKK-Areal am Südschnellweg zu einem Freikörper-Zoo mutiert: Freier Blick für freie Fahrer auf freie Körper (… oder lassen wir mal ein bis zwei “F”s weg). Mir war das egal – Hauptsache, ich musste die Gesichter der Autoinsassen nicht sehen.

Nach meiner Rückkehr finde ich die FKKler als Insassen wieder – Insassen einer Art “Freikörperkonzentrationszentrum” (FKKZ). Das fünfzig Meter vor diesem Bereich stehende Hinweisschild, früher dezent aus üppigen Brombeersträuchern lugend, wirkt nun, mutterseelenalleine in einer Wüste stehend, trotz unverändertem Text wie ein Warnhinweis auf konterminiertem Boden – als wolle es sagen: “Achtung, Sie verlassen die Zivilisation und treffen gleich auf Aussätzige!” Am Ende eines Weges, der nicht nur aufgrund der auffallenden Kettenspuren an eine ausgebombte Panzerstraße erinnert, liegt die ehemals von Bäumen umsäumte Sonnenwiese, die nun willkürlich durch einen mit schwarzer Plastikfolie zugehängten Gitterzaun durchzogen und dadurch empfindlich beschnitten wird. Abgesehen davon, dass die Autofahrer erhöht auf einem Damm fahren und weiterhin auf die Badegäste glotzen können, ist die Absperrung nicht nur hässlich, sondern auch provokativ – und zwar für uns, die Besucher des früheren Naherholungsgebietes, das sich nun mehr und mehr in ein Demarkationsgebiet verwandelt. Man fühlt sich auf dem Feld naturverachtender Verwüstung als Badegast regelrecht diskriminiert und ausgeladen. Deutlicher kann eine Stadt nicht demonstrieren, dass ihr das Wohl der eigenen Bürger sch…egal ist. Andererseits verständlich: Die Autofahrer sind schließlich in der Überzahl und sollen es bleiben. Denn wenn man den Leuten ihre Autos wegnähme, würden sie schnell merken, was sie wirklich sind: Fußvolk. Und Fußvolk könnte womöglich für oder gegen etwas marschieren – und das will niemand riskieren.

Äußerte ich mich bereits vor zwei Wochen recht kritisch zu jungen Leuten in der Leinemasch, werden diese Woche meine Eindrücke vom “Tag des Baumes” weit übertroffen: Am sogenannten “Männertag”, der im Zuge zunehmender weiblicher Beteiligung eigentlich in “Deutscher Trinker*innentag” umbenannt werden müsste, dröhnt und wummert es von unzähligen Bollerwagen, auf denen übel klingende Big-Boomer namens “Soundboks” (nein, das ist kein Tippfehler) festgezurrt sind, und hinter denen dümmlich dreinschauende Proleten mit Bierkästen hertrotten. Ihnen scheint es nicht das Geringste auszumachen, ihr sinnentleertes Gegröle zu sich überlagernden Boxen-Outputs in einer verwüsteten Landschaft zu zelebrieren – Hauptsache die Pegel stimmen (… der im Blut und der auf den Ohren). Und hey: Ohne Bäume schallt es ja auch viel weiter. Erschreckend ist hier nicht nur das Fehlen jeglichen Geschmacks (wenn nicht gar das Fehlen von Hirnkapazitäten generell), sondern auch, dass all diese Grüppchen gleich aussehen und sich bevorzugt primatenhaft aufführen – lediglich in Anzahl und Konfektionsgrößen der mitgeführten Mädchen unterscheiden sie sich etwas.

Auf unserem Opernplatz findet am Himmelfahrtstag traditionell ein Jazz-Konzert statt. Ganz früher war auf diesem Event passenderweise “When The Saints …” zu hören, zwischenzeitig lud man Größen wie “Doldingers Passport” ein, heuer einigt man sich auf gefällige Showbands in schwarzen Anzügen mit schwarzer Soul-Sängerin. Im urbanen Raum ist von der Musik (im Gegensatz zum Bum-Bum-Lego im Landschaftsschutzgebiet) bedauerlicherweise sehr wenig zu hören – zu überfüllt ist der Platz mit auch hier erstaunlich ähnlich aussehenden Menschen. Lediglich deren Altersschnitt liegt schätzungsweise zwanzig bis dreißig Jahre über dem an den Boxen auf Rädern. Irgendwo in dieser Stadt soll es auch Veranstaltungen für die Menschen dazwischen und daneben geben. Doch dahin zieht es mich heute nicht mehr – den Beleg, dass ich auch zu den “Anderen” nicht (mehr) gehöre, möchte ich mir an diesem sonnig schönen Tag ersparen.

Nächstes Jahr werde ich zum Schwimmen an einen See am Stadtrand fahren und danach eine der Umlandveranstaltungen besuchen: Burgdorf, Altwarmbüchen oder Langenhagen – klingt das nicht sexy?

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