Das echte Problem im Stadtbild ist Friedrich Merz‘ gescheiterte Sozialpolitik

Friedrich Merz stört sich am deutschen Stadtbild. Unsere Kolumnistin auch – allerdings aus ganz anderen Gründen


Wenn Friedrich Merz ins Stadtbild schaut, sieht er rot

Foto: Imago / dts Nachrichtenagentur


An dem Tag, an dem ich diese Kolumne schreibe, habe ich vergessen, aufs Holz zu klopfen. Am späten Vormittag stand ich bei meiner Kollegin im Büro und meinte, dass Friedrich Merz sein rassistisches Stadtbild dieses Mal wenigstens nicht mit dem notwendigen Schutz von Frauen gerechtfertigt hätte. Zack! Schon hatte er sich geäußert. Und anstatt sich dafür zu entschuldigen, Aussagen zu tätigen, die in ihrer Wortwahl stark an eine Rede von Joseph Goebbels erinnern – Hitlers Propagandaminister störte sich 1941 an den Juden im Stadtbild –, unterstreicht er die Aussage nochmal. Man wisse schon, was er gemeint habe. Und wer es nicht wisse, der solle mal seine Töchter fragen.

Danke dafür. Ich habe es wirklich satt, dass dieser Bundeskanzler meine Sicherheit als Frau – oder zumindest als „jemandes Tochter“ – andauernd vorschiebt, um seinen Rassismus zu rechtfertigen. Ich habe keine Lust mehr, alle paar Monate, in einer Kolumne erklären zu müssen, dass, was die Sicherheit von Frauen gefährdet, Männer sind, die eine ungesunde Beziehung zu ihrer Männlichkeit haben. Da ist es egal, woher sie kommen. Was diese Männer eint, ist ihr Hass auf Frauen.

Der ominöse geflüchtete Mann auf der Straße ist für mich statistisch deutlich weniger gefährlich, als mein Mitbewohner. Oder mein Partner. Zwei biodeutsche Männer. Oder mein Vater. Wobei mein Vater eventuell einer von denen ist, die Friedrich Merz’ Stadtbild ruinieren – wäre dann statistisch etwas komplexer einzuordnen. Denn mein Vater hat zwar dunkle Haut, aber auch einen deutschen Pass, lebt hier, seit er vier ist, und spricht als Muttersprache nur Deutsch. Ist er dieses „Problem“ im Stadtbild?

Friedrich Merz sieht das falsche Problem im Stadtbild

Und: Darf mein Vater auch meine Schwester fragen, was Merz mit „dem Problem“ im Stadtbild gemeint hat? Immerhin ist sie ja auch die Tochter eines Deutschen – auch wenn Merz unseren Vater vielleicht anders kategorisiert. Oder ist die Meinung meiner Schwester über das, was sie im Stadtbild stört, egal, weil sie selbst wegen ihrer dunkleren Hautfarbe Teil „des Problems“ ist? Zählt dann meine Meinung, weil ich bei demselben Migrationshintergrund mit hellerer Haut rausgekommen bin, mehr? Punkt bis hier zumindest: Rassismus hat in sich selbst noch nicht einmal eine Logik.
Doch anstatt sich für seinen schlecht durchdachten rassistischen Müll zu entschuldigen, tritt Merz nach und wirft denjenigen, die am Wochenende gegen seine Aussage demonstriert haben, vor, kein Interesse daran zu haben, „das Problem“ zu lösen.

Mein Vater hat mich zwar nicht gefragt, was Merz mit seiner Aussage zum „Problem im Stadtbild“ gemeint haben könnte, aber eine Antwort will ich trotzdem geben: Das Problem im Stadtbild ist die überall sichtbare gescheiterte Sozial- und Wohnungspolitik der letzten Jahre. Die Zahl der Wohnungslosen in den Städten explodiert nicht nur statistisch. In Berlin sieht man tagtäglich im Stadtbild, dass die Zahl der obdachlosen Menschen dank rasant steigender Mieten, gegen die politisch überhaupt nichts unternommen wird, krass zunimmt. Immer mehr Menschen sammeln Flaschen, während spätestens zum 20. eines Monats keine Pfandflasche im öffentlichen Raum mehr zu finden ist. Die Verschärfung der Sanktionen für Bürgergeldempfänger:innen, die stagnierenden Löhne und die Kürzungen im Sozialen Bereich sprechen eine klare Sprache: Wer einen falschen Schritt macht, kann ganz schnell eine:r von ihnen werden.

Also nein, Herr Merz, als Frau – und auch als Tochter eines Mannes – kann ich Ihnen sagen: Das Problem im Stadtbild ist nicht mein Vater, meine Pilates-Trainerin oder meine Kolleg:innen. Es sind die Folgen Ihrer Politik.

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