Daniel Brühl qua Karl Lagerfeld: Er läuft, qua seien ihm die Schuhe zu stummelig

Das Ikonische kam spät in seinem Leben. Zopf, Sonnenbrille, Fächer, große Klappe, jene Symbole, an denen die Kunstfigur Karl Lagerfeld zu erkennen ist und die noch heute als Logo die Marke zieren, mussten erst entstehen. Davor musste sich zunächst ihr Schöpfer entwickeln. Wie diese Genese vonstattenging, das erzählt Becoming Karl Lagerfeld.

Die Serie steigt 1972 ein, der 38-jährige Lagerfeld (Daniel Brühl) wirkt schon lange in Paris – er ist Chefdesigner des renommierten Modehauses Chloé, dessen Gründerin Gaby Aghion (Agnès Jaoui) einst die Prêt-à-porter-Mode als Gegensatz zur Haute Couture erfand. Dieser Unterschied ist wichtig, er spiegelt das Kernthema der Serie: Es geht um Hierarchien. Denn wer in Paris in den exklusiven Club der Haute Couture will, der muss strenge Auflagen erfüllen. „Haute Couture ist eine Religion, keine Technik“, sagt die Chefin des Boards irgendwann. Lagerfeld, der die Sprache bis zur Perfektion beherrscht und bereits in den 1950ern ob seines Ideenreichtums in Paris als Mode-Wunderkind gefeiert wurde, erscheint trotz seiner Talente deutsch: Er ist fleißig, pünktlich, feiert nie, arbeitet von morgens bis abends, trägt das Haar noch vage aus dem brillenlosen Gesicht gekämmt und wirkt angemessen unsexy. Zudem reichte ihm seine Position bei Chloé lange aus.

Brühl spielt den Designer mit beeindruckender körperlicher Präzision und Detailtreue – wenn er mal deutsch spricht, etwa mit seiner Mutter (Lisa Kreuzer) oder Marlene Dietrich (Sunnyi Melles), hört man ein Löffelchen Schleswig-Holstein. Wenn er sich bewegt, nimmt man die zunehmende Schwere seines Körpers wahr. Und wenn er geht, hat man das Gefühl, seine Schuhe seien zu klein.

Die Beziehung mit dem adeligen, jüngeren Dandy Jaques de Bascher (Théodore Pellerin), die in der ersten Folge beginnt und als roter Faden durch die Geschichte leitet, ist ebenso hierarchisch geprägt: Der ehemalige Steward und Möchtegern-Schriftsteller Bascher erscheint wie ein Hedonist aus einem feuchten Schwulentraum – attraktiv, charmant und partyfreudig. Auch Lagerfelds Designgenie-Konkurrent Yves Saint Laurent (Arnaud Valois) verfällt Bascher – zum Ärger von YSLs Geschäfts- und Liebespartner Pierre Bergé (Alex Lutz). Zwischen Bascher und YSL entspinnt sich eine obsessive Liaison. YSL, damals auf dem Haute-Couture-Höhepunkt, scheint bei Baschers Lifestyle mühelos mitzuhalten. Anders als Lagerfeld: Die ungleiche Partnerschaft zwischen ihm, dem privat spröden Modeschöpfer, und Bascher, dem orgiastischen Lichtblick, bleibt platonisch.Denn Lagerfeld, der Gestalter von anderer Menschen Körper, definiert seinen eigenen Leib ausschließlich über das Arbeiten – und zunehmend über das Essen. Die massive Essstörung, für die der 2019 Verstorbene in den letzten 20 Jahren seines Lebens bekannt war und die viele seiner unverschämten Aussagen über Frauenkörper begründete, bahnt sich früh an – in der Serie sind es begehrliche Blicke auf Kuchenteller und vereinzelte Szenen, in denen er Süßes in sich hineinstopft.

Subtil werden in der Serie weitere Hierarchien beleuchtet. „Mode hat nichts mit Frauen zu tun“, heißt es zu Beginn einmal, „sonst wären nicht so viele Schwule im Business“. Doch diese Tatsache ist relativ: „Ein Couturier ist ein Spiegel der Frau, die er einkleidet“, schimpft die legendäre Dietrich, die Lagerfeld später zum Designen eines Outfits auffordert und ihn dann bitterböse fallen lässt, weil ihr sein Kleid nicht gefällt. Melles spielt „La Dietrich“ mit all der Galligkeit, die sich die Schauspielerin in ihrem Pariser Exil aneignete, nachdem sie an der Reibestelle zwischen zu viel medialer Aufmerksamkeit und dem Verschwinden in der Versenkung zugrunde gegangen war.

In Bildern von tadellos designten Kleidern schwelgt die Serie kaum. Stattdessen nimmt sie sich viel Zeit für die Nebenfiguren, vor allem Bascher, dessen Schicksal als reicher, doch sich ungeliebt fühlender schwuler Mann fast prototypisch ist: Alle wollen ihn, weil er schön ist, das Gewollt-Sein wird so zum einzigen Definitionsmerkmal. „Du bist doch nur ein lebender Dildo“, spottet irgendwann jemand über ihn. Baschers tragischer Minderwertigkeitskomplex, der typischerweise von seinem durch Drogen befeuerten Größenwahn verstellt wird, sitzt tief. Und lüftet sich auch durch sein einziges vollendetes Kunstwerk, einen 1977 auf Lagerfelds Intervention hin von Bascher inszenierten „Modewerbefilm“ für Fendi, nur kurz.

Am Schluss der zehn Jahre Erzählzeitraum und ein paar echte und falsche „Skandale“ später – unter anderem droht Pierre Bergé, die Wahrheit über die Nazivergangenheit von Lagerfelds Vater auszuplaudern – verlässt Lagerfeld, jetzt in kompletter Rüstung mit Sonnenbrille, Zopf und Fächer, das Haus Chloé, das ihn nicht zur Haute Couture begleiten wollte. Und bekommt bekanntlich ein Angebot von Chanel, wo er bis zu seinem Tod blieb.

Was an Lagerfeld Fassade war und was „echt“, legen die Serienschöpfer:innen seiner Mutter in den Mund, als diese, von einem Schlaganfall gezeichnet, ihren Sohn zum letzten Mal sieht: „Wie soll ich denn ich selbst sein, wenn ich dich nicht mehr hab?“, fragt er sie, für seine hanseatisch-kühlen Verhältnisse recht verzweifelt. „Wer will schon man selbst sein?“, quetscht die alte Dame heraus. Damit bringt sie auf den Punkt, was Mode für Lagerfeld bedeutete.

Eingebetteter Medieninhalt

Becoming Karl Lagerfeld Isaure Pisani-Ferry, Jennifer Have, Raphaëlle Bacqué Frankreich 2024, 6 Folgen, ab 7. Juni auf Disney+

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