Dänemark | Asyl-Politik in Dänemark: Regierende Sozialdemokratie will keine Parallelgesellschaft

Partei- und Regierungschefin Met­­te Frederiksen bevorzugt strikte Maßnahmen bei der Asyl-Politik. Auch Migranten in Kopenhagen bekommen das zu spüren, wenn etwa das Problemviertel Mjøl­­­­ner­par­ken saniert wird. Viele müssen ausziehen


Die Wohnblöcke in Mjølnerparken gelten als Problemviertel – und werden nun saniert

Foto: picture alliance/Reuters/Andrew Kelly


Zur dänischen Sozialdemokratie heißt es, sie sei nur dank ihrer repressiven Migrationspolitik noch stark. Die 2015 angetretene Parteichefin Mette Frederiksen sprach über Repatriierung statt Integration und über Abschiebungen nach Syrien. Später wollte sie einen dänischen Ruanda-Plan. Es war zwar die rechte Vorgängerregierung, die 2018 im Kopenhagener Sozialbau-Viertel Mjølnerparken das „Ghettopaket“ vorstellte, das „Parallelgesellschaften“ mit mehr als 50 Prozent nichtwestlicher Bevölkerung durch Umsiedlung verhindern sollte.

Tödliche Bandenschießerei in Mjølnerparken

Es war aber die sozialdemokratische Kopenhagener Stadtregierung, die das „Ghettopakken“ umsetzte, indem sie die Hälfte der 500 Sozialwohnungen in Mjølnerparken verkaufte. Und es war Frederiksen, seit 2019 Ministerpräsidentin, die das Projekt lediglich umbenannte. Es hieß nun „Liste von Orten mit sozialen Risiken, die Aufmerksamkeit erfordern“.

Mjølnerparken – berühmt wegen einer tödlichen Bandenschießerei 2017 – ist eigentlich nur eine Zeile angenehm niedriger Wohnblöcke zwischen zwei schmalen Parks im zentrumsnahen Bobo-Viertel Nørrebro. Fast alle Blöcke sind für den laufenden Generalumbau eingerüstet, nur die kurze Seite am Hothers-Platz ist bereits fertig. Dort sehe ich durch eine offene Terrassentür, wie eine Matriarchin in schwarzem Hidschab einen Split-Screen mit sechs bis neun arabischen Sendern steuert. Das größte Bild zeigt eine Segelregatta in einer blauen Bucht.

Im Café „Friheden“, einem netten verglasten Pavillon in einem weiteren Park, erwartet mich Jakob Thiemann, seit neun Jahren Vorsitzender der „Socialdemokraterne“ im 80.000-Seelen-Bezirk Nørrebro. Der Historiker, der bis 2013 für den Weltverband der Handelsgewerkschaften in Genf gearbeitet hat, wohnt zwar im migrantenarmen Vanløse. Das sei aber Zufall, beteuert er, außerdem müsse er dort wohl bald raus. Der 52-Jährige ist arbeitslos: „Dänemark ist geradezu lachhaft reich, der Finanzminister findet jedes Jahr Überschüsse von 20 bis 30 Milliarden Kronen, nur ein gut ausgebildeter Mensch wie ich findet keinen Job.“

Thiemann war Lehrer in einem Nørrebroer Oberstufen-Gymnasium mit „98 Prozent Migrantenanteil, das war stressig, zog mich runter, und ich musste gehen“. Seine Erfahrung sei aber, „die große Mehrheit der Kids strengt sich enorm an, um dadurch Teil der Gesellschaft zu werden“. Seine Haltung beschreibt er so: „You are welcome, aber wenn dir Spezialbehandlung auf religiöser Basis wichtiger ist – get out of here.“ Mit Mette Frederiksens abweisender Rhetorik hadert er: „Wir sind populistisch geworden, und ich bin in der Minderheit.“ Er kennt „Mette“ persönlich, habe auf Partys mit ihr getanzt und viel Spaß mit ihr gehabt.

Wie erklärt er sich die Wandlung der Jütländerin, die ihren Master ausgerechnet in „African Studies“ gemacht hat? „Ja, sie hat mich auch überrascht, traurig ist das. Wir alle wollten Mette, sie war gegen die Apartheid, gegen Privatschulen … Als sie aus einer Vorstadt mit viel sozialem Wohnbau nach Kopenhagen pendelte, erlebte sie, wie sich Einwanderer in den Zügen benehmen. Im Amt der Justizministerin hat sich ihr Standpunkt dann wohl weiter verhärtet.“

Klage gegen das „Ghettopaket“ vor dem EuGH

Thiemann nennt Nørrebro die „multikulturellste und röteste Gegend“ von Dänemark. Auch wegen des von Frederiksen forcierten „Kopenhagen-Bashings“ hält die Sozialdemokratie seit 2021 nur noch zehn von 55 Sitzen im Stadtparlament, die linke Einheitsliste, die erst vor acht Jahren die bewaffnete Revolution aus dem Programm strich, dagegen 15. Thiemann deutet auf die drei Bäume vor dem Fahrrad-Speedway draußen: „Diesen Platz will die linke Mehrheit in Palästina-Platz umbenennen.“ Ich frage ihn: „Wäre es Ihnen lieber, wenn Mette anders über Migration redet, dafür aber Wahlen verliert?“ – „Das ist eine exzellente Frage“, sagt er, eine direkte Antwort bekomme ich nicht. Er kritisiert „die Tendenz zum sozialen Konservativismus, man sollte mehr gegen Ungleichheit tun“. Stattdessen orientiere sich Frederiksens Dänemark am Modell – „immer mehr Leute in Beschäftigung, aber für Sklavenlöhne“.

Die Sozialdemokraten waren 2018 zunächst gegen das „Ghettopaket“. Angeführt von einer ethnisch dänischen Lehrerin, zogen Betroffene aus Mjølnerparken vor den EU-Gerichtshof (EuGH), um gegen ihre Umsiedlung zu klagen. Thiemann meint: „Wenn man früher nach Mjølnerparken ging, gab es nur einen Weg rein und raus, man betrat eine völlig andere Welt“, doch das sei kein Ghetto gewesen. „Kopenhagen ist supersicher, wenn du kein Gangmitglied oder Drogendealer bist.“ Ein wahres Ghetto habe er einst in New York betreten: „Nach fünf Minuten in Harlem kam jemand mit roten Augen auf dich zu – last year some Italians got killed here.“ Über Mjølnerparken sagt er zum Schluss: „Statt 2.200 Menschen werden bald nur noch 1.500 bis 1.800 dort wohnen. Man hat Ersatz für die Sozialwohnungen gefunden. Ich habe nie gehört, dass jemand auf der Straße gelandet wäre.“

Serie Europa Transit Regelmäßig berichtet Martin Leidenfrost über nah und fernab gelegene Orte in Europa

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