Die Zahl der antisemitischen Vorfälle in Deutschland hat nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023 stark zugenommen. Schauspielerin Uschi Glas unterstützt eine neue Initiative gegen Judenhass. Im Interview mit WELT TV schildert sie ihre Erfahrungen bei Demonstrationen.
Die Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland hat einen neuen Höchststand erreicht. Die Behörden verzeichneten 8000 Fälle – vom „Hausverbot für Juden“, etwa in Flensburg, über körperliche wie verbale Angriffe. Schauspielerin Uschi Glas unterstützt deshalb eine neue Initiative „DACH gegen Judenhass“, um dem etwas entgegenzusetzen. Die 81-Jährige ist entsetzt darüber, dass gerade aus dem Kulturbetrieb nicht mehr Beistand für jüdisches Leben in Deutschland kommt.
WELT: Seit dem Terrorüberfall der Hamas vom 7. Oktober 2023 berichten Juden hierzulande von Anfeindungen, Ausgrenzungen, Hass. Sie richten sich jetzt im Rahmen der Initiative „DACH gegen Judenhass“ mit einem Fünf-Punkte-Plan an die Politik und fordern konkrete Maßnahmen gegen Antisemitismus. Wie genau sieht dieser Plan aus?
Uschi Glas: Dieser Plan sieht vor, dass man zum Beispiel die Bildung und die Begegnung stärken muss, dass man den Schutz ausweiten und neue Gesetze schaffen muss. Jüdisches Leben muss man sichtbar machen, auch durch die Feiertage. Außerdem wollen wir Partnerschaften im kulturellen Austausch stärken.
Damit wollen wir erreichen, dass der Antisemitismus bekannt wird, dass auch junge Menschen merken, was da eigentlich los ist. Denn ich muss leider feststellen, dass heute bei dem Grauen, der im Gazastreifen passiert, nicht mehr in den Vordergrund tritt, dass der Krieg am 7. Oktober 2023 mit diesem wahnsinnigen Massaker begonnen hat. Mit diesen Grausamkeiten, Vergewaltigungen, den Tötungen von Kindern, Babys und schwangeren Frauen. Ich kann das nicht verstehen, dass man bei allem Kummer, den es im Gazastreifen gibt, diese Opfer-Täter-Umkehr täglich sieht.
Seit dem 7. Oktober bin ich oft auf der Straße mit dabei, „Run for their lives“ heißt diese Initiative zur Freilassung der Hamas-Geiseln. Der Antisemitismus, der einem entgegenschlägt, ist hart. Da gibt es Schreie und Rufe, die hält man nicht für möglich.
WELT: Sie sprechen gerade die Täter-Opfer-Umkehr an. Kürzlich unterschrieben 200 Prominente – von Daniel Brühl bis Joko Winterscheidt – einen offenen Brief gegen Israel. Doch wenn es um Solidarität mit Juden geht und darum, antisemitischen Auswüchsen hier Einhalt zu gebieten, hört man erschreckend wenig aus der Kunst- und Kulturszene. Was macht das mit Ihnen?
Glas: Ich bin total enttäuscht und entsetzt, weil es auch mit Bildung und Wissen zu tun hat. Und wenn ich mit jungen Kollegen und Kolleginnen spreche, merke ich sehr schnell, dass sie von der Vergangenheit keine Ahnung haben, dass sie gar nicht wissen, was „Nie wieder“ heißt.
Ich habe meine Eltern und auch die Generation davor, also die Großeltern, immer gefragt: „Warum habt ihr damals nichts getan? Warum seid ihr vor 1933 nicht aufgestanden und habt gegen diesen Antisemitismus gekämpft?“ Nein, sie haben geschwiegen, haben sich versteckt und gesagt: „Okay, dann gehe ich da nicht mehr hin und kaufen nicht mehr bei Juden ein.“ Ich wollte unbedingt wissen, wie das geschehen konnte. Und nun stehen wir wieder kurz davor. Deswegen bin ich erschüttert, dass wir unseren Juden und auch Israel nicht konsequent beistehen. Israel ist überfallen worden, und die Täter-Opfer-Umkehrung ist für mich unverständlich.
WELT: An den Kulturbereich wurden Hunderte Bitten um Unterschrift für die Initiative gegen Judenhass versandt. 80 Prozent der Angesprochenen antworteten nicht, 20 Prozent lehnten ab. Wie erklären Sie sich das?
Glas: Die einen sagen: „Du, ich bleibe lieber neutral.“ Und die anderen sagen: „In unserer Branche gibt es so viele arabischstämmige Menschen und wichtige Leute. Ich möchte keine Nachteile haben, also bin ich lieber still.“ Genau darum geht es: Dass man eben nicht still sein darf. Dass man vielleicht das eigene Ich ein bisschen zurückstellen sollte und sich klarmachen muss, dass es in einer Demokratie nicht geht. Wir haben 0,2 Prozent jüdische Mitbürger. Und ich finde es einfach eine Schande und schäme mich, dass man dieser wirklich kleinen Gruppe kein freies, gutes Leben gewährleisten kann.
Ich kenne viele Familien, die ihre Namensschilder abgemacht haben, die ihre Symbole verstecken müssen, weil sie sagen, sie werden sonst angegriffen. Das ist beschämend. Dieses „Nie wieder“ müsste in alle Köpfe hineingehen, weil wir es ja schon erlebt haben. Es ist keine Geschichte, bei der man sagt: „Was redet ihr denn? So was gibt es doch gar nicht.“ Doch, so was gibt es.
WELT: Aber es gibt ja durchaus Menschen, die sich gegen Antisemitismus einsetzen und diese Entwicklung nicht tolerieren wollen. Wie können die sich im Rahmen dieser Initiative einbringen?
Glas: Ich gehe auf Demonstrationen – ich bin natürlich auch am 5. Oktober (Kundgebung von „DACH gegen Judenhass“ in München) mit dabei – und versuche, mit den Menschen zu diskutieren und vielleicht den einen oder anderen zum Nachdenken zu bringen. Und ich denke auch daran, dass man nicht nur seinen Kindern gegenüber Rechenschaft hat, sondern auch gegenüber meinen Enkeln. Wenn ich jetzt nichts tue, wenn wir nichts tun, dann sieht es für unsere jungen Menschen, glaube ich, nicht sehr rosig aus.
Dieses Transkript des Interviews bei WELT TV entstand mithilfe Künstlicher Intelligenz. Für bessere Lesbarkeit wurde das gesprochene Wort leicht abgeändert und gekürzt.
kami
Source: welt.de