Er gilt als einer der zentralen Rechtsberater der illegalen Aktiengeschäfte rund um den Dividendenstichtag („Cum-ex“). Der deutsche Rechtsanwalt S., auf dessen investmentrechtlichen Rat zahlreiche namhafte Investoren und Institute wie die Warburg Gruppe oder die V arengold Investment AG vertrauten. Jahrelang war er der berufliche „Ziehsohn“ des Steueranwalts Hanno Berger, des mittlerweile mehrfach wegen schwerer Steuerhinterziehung verurteilten Strippenziehers vieler „Cum-ex“-Deals.
Doch der 52 Jahre alte Norddeutsche hatte sich vor Jahren von der „Überfigur“ Berger losgesagt, sich von seinem Lebensmittelpunkt in der Schweiz aus den deutschen Ermittlern gestellt und mit seinen Aussagen die Grundlage für bislang knapp ein Dutzend Anklagen geliefert, die inzwischen vor dem Landgericht Bonn verhandelt wurden. Seit Montag steht nun fest, dass S. dort in wenigen Wochen selbst auf der Anklagebank sitzen muss.
Im Rheinland hatte der Jurist – der auch schon mit Maske, Perücke und unter falschem Namen im Fernsehen über „Cum-ex“ sprach – bisher mehrfach als Zeuge gegen Berger, frühere Geschäftspartner und zuletzt in diesem Frühjahr gegen den Bankier Christian Olearius ausgesagt. Den Staatsanwälten und auch den Richtern war stets bewusst, dass hier einer aus dem engsten Kreis der Cum-ex-Akteure vor ihnen saß, der zudem an den Aktiengeschäften fürstlich verdiente. Er allein habe „50 Millionen Euro“ erbeutet, hatte S. in einer ARD-Dokumentation gesagt.
Anklage „in allen Fällen“ zugelassen
Trotz aller Kooperation hatte die Staatsanwaltschaft Köln ihre Ermittlungen gegen den ehemaligen Großkanzleianwalt weder eingestellt noch dem „Whistleblower“ Zugeständnisse für eine mögliche Verschonung von eigener Strafverfolgung gemacht. Im Umfeld anderer Cum-ex-Akteure war es seit Monaten ein offenes Geheimnis, dass die Staatsanwaltschaft Köln Anklage gegen ihren langjährigen Tippgeber erheben würde. Erst Anfang Juli 2024 legte die Staatsanwaltschaft Köln dann ihre Anklageschrift gegen S. in Bonn vor; der F.A.Z. liegt das mehr als 500 Seiten umfassende Dokument vor.
Die 12. Große Strafkammer des Landgerichts Bonn hat am Montagmittag nach einem kurzen Zwischenverfahren die Anklage „in allen Fällen“ zugelassen und das Hauptverfahren gegen den Angeklagten eröffnet. S. muss sich ab dem 21. November wegen acht Fällen besonders schwerer Steuerhinterziehung in den Jahren 2007 bis 2015 verantworten, die er gemeinsam mit weiteren Tatverdächtigen und schon Verurteilten begangen haben soll. In drei weiteren Fällen kam es nicht zu der von den Tätern angestrebten mehrfachen Erstattung der Kapitalertragsteuer.
„Das wirft kein gutes Licht auf die Moral der Beraterbranche.“
Wie das Landgericht Bonn weiter mitteilte, soll S. als Spezialist für Kapitalanlagerecht insbesondere mit der Konstruktion komplexer Fondsstrukturen befasst gewesen sein. Der Gesamtschaden für den Fiskus beläuft sich laut Anklage auf rund 428 Millionen Euro. Bislang hat die Strafkammer 24 Verhandlungstage bis Februar 2025 geplant.
Gerhard Strate, der die Verteidigung von S. erst im Sommer 2024 übernommen hatte, wollte sich auf Anfrage der F.A.Z. nicht zur Eröffnung der Hauptverhandlung äußern. Er kritisierte aber, dass er nahezu zeitgleich mit der Presse vom Gericht über das Geschehen informiert worden sei.
Für Gerhard Schick, Ko-Geschäftsführer der Bürgerbewegung Finanzwende, ist die Zulassung der Anklage gegen S. ist ein positives Signal. „Bemerkenswert finde ich, dass es in der Branche der Anwälte und Berater viele Menschen gibt, die von den Geschäften wussten und mit Cum-ex viel Geld kassiert haben“, sagte Schick. „Gleichzeitig gibt es aber kaum Kronzeugen oder gar Whistleblower aus diesem Bereich. Das wirft kein gutes Licht auf die Moral der Beraterbranche.“