Commerzbank-Vizechef Kotzbauer hoch die Risiken einer Fusion mit Unicredit

Herr Kotzbauer, hinter Ihnen liegen turbulente Wochen. Mitte September wurde bekannt, dass die italienische Bank Unicredit Anteile an der Commerzbank gekauft hat und eine Komplettübernahme anstrebt. Wo hat Sie die Nachricht erreicht?

Mitten im Sommerurlaub, in Locarno auf dem Campingplatz, wo meine Frau und ich an dem Tag mit unserem Bulli Station gemacht haben. Ich habe morgens in meine E-Mails geschaut und nur gedacht: Wow!

An Urlaub war danach vermutlich nicht mehr zu denken?

Nein, zwei Tage habe ich noch telefonierend am See verbracht, aber dann haben wir unseren Urlaub abgebrochen. Alles andere hätte ohnehin keinen Sinn mehr ergeben.

Wie kommt es, dass alle in der Bank vom Vorgehen der Unicredit so überrascht schienen? Es ist ja nicht das erste Mal, dass die Commerzbank als Übernahmekandidat gehandelt wird.

Der Zeitpunkt war für uns überraschend, das generelle Interesse nicht. Ich bin Anfang 2021 in den Vorstand gekommen, und in den vergangenen fast vier Jahren haben wir die Bank wirtschaftlich in eine ganz andere Lage versetzt. Ende 2020 war die Commerzbank in keinem guten Zustand. Das hatte auch damit zu tun, dass wir lange mit uns selbst beschäftigt waren – eine Folge der Fusion mit der Dresdner Bank 2009, die unsere Kräfte fast die gesamten Zehnerjahre über gebunden hat. Jetzt sind wir wieder kapitalstark, haben eine gute Ertragskraft und können unseren Aktionären regelmäßig ansehnliche Ausschüttungen bieten. Wenn Sie gute Arbeit leisten, macht Sie das attraktiver – und zwar nicht nur für Mitarbeiter und Kunden, sondern auch für Investoren.

Am 1. Oktober hat Bettina Orlopp Vorstandschef Manfred Knof an der Spitze der Bank abgelöst, Sie selbst sind seitdem ihr Stellvertreter. Wie ist die Stimmung im Vorstand angesichts der jüngsten Ereignisse?

Die Stimmung ist konzentriert. Wir ar­beiten sehr gern im Team zusammen. Es macht Spaß, das ist ja auch wichtig. Von unserer 2021 beschlossenen Linie werden wir nicht abrücken, unsere Strategie 2027 funktioniert. Die Bank fokussiert sich wieder auf das, was sie ursprünglich ausgemacht hat. Sie wurde 1870 von Hamburger Kaufleuten zu einem einzigen Zweck gegründet: deutsche Firmenkunden mit Krediten zu versorgen und sie bei ihrer Expansion ins Ausland zu begleiten. Das war damals so, und das ist auch heute noch so.

Ist das wirklich eine so gute Idee? Das Jahr 1870 ist lange her, die Dinge haben sich verändert.

Natürlich hat sich seither viel verändert, aber unser Wesenskern ist geblieben. Ich glaube sehr stark an Fokus. Denn Fokus schafft Exzellenz. Wenn man keinen Fokus hat, wird man beliebig. Darum begleiten wir unsere Firmenkunden in mehr als 40 Länder dieser Welt und haben einen Marktanteil an der Finanzierung des deutschen Außenhandels von circa 30 Prozent. Und wir bauen ausländischen Kunden die Brücke zurück in unsere Heimatmärkte – neben Deutschland auch nach Österreich und in die Schweiz. Aus rein lokalem Geschäft im Ausland halten wir uns raus, auch das fällt für mich unter kluges Fokussieren. Das ist die erste Säule unserer Strategie. Die zweite Säule ist das Geschäft mit Unternehmerkunden mit weniger als 15 Millionen Euro Umsatz und mit Privatkunden bei Commerzbank und Comdirect. Sie sehen: Wir haben eine klare Strategie, von der wir überzeugt sind und die auf Eigenständigkeit beruht.

Die Aktionäre könnten sich ein Zusammengehen von Unicredit und Commerzbank gut vorstellen, die Kurse beider Banken sind gestiegen. Liegen die Investoren falsch?

Wir im Vorstand haben die treuhände­rische Verpflichtung, jeden Vorschlag ergebnisoffen zu prüfen. Ich sage aber auch ganz klar: Bislang liegt uns kein Angebot der Unicredit vor. Wenn uns ein konkreter Vorschlag erreichen sollte, dann schauen wir uns das selbstverständlich an. Mir ist aber wichtig zu betonen: Es ginge bei einem Zusammenschluss ja nicht nur um unsere Aktionäre, sondern auch um alle anderen, die man heute als Stakeholder bezeichnet: also um unsere 42.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von denen wir 28.000 in Deutschland beschäftigen. Ihnen und ihren Familien gegenüber haben wir eine gesellschaftliche Verantwortung, ihre wirtschaftliche Zukunft zu sichern. Jeder Arbeitsplatz am Finanzplatz Frankfurt und in Deutschland insgesamt hat auch einen Multiplikatoreffekt. Eine zweite wichtige Gruppe sind unsere Kunden. Ich habe ja bereits erläutert, dass wir uns im Zuge der Fusion mit der Dresdner Bank zu lange nicht gut genug um un­sere Kunden gekümmert haben.

Ihre Aktionäre können Sie trotzdem nicht ignorieren.

Das haben wir auch gar nicht vor. Dies sage ich übrigens aus ureigenem Interesse: Ich bin ja selbst Commerzbank-Aktionär. Aber ich finde, dass man unterscheiden muss zwischen der kurzen und der langen Sicht. Als kurzfristig ausgerichteter Aktionär mag sich mancher zwar an den aktuellen Kurszuwächsen erfreuen, aber sinnvoller ist meiner Ansicht nach immer die langfristige Per­spektive. Und langfristig ist ein Aktionär ja nur zufrieden, wenn die Aktienrendite eine sehr anständige ist und er über eine lange Zeit attraktive Ausschüttungen bekommt. Da bin ich ganz bei Warren Buffett, dem US-Starinvestor.

Muss die lange Sicht für ein fusioniertes Institut wirklich so schlecht sein, wie Sie behaupten? Ihr früherer Chef Knof hat stets betont, wie sehr wir echte europäische Banken brauchen. Das wäre jetzt die Gelegenheit, eine solche Bank zu schaffen.

Manfred Knof hat zu Recht immer gesagt, dass wir die Banken- und Kapitalmarktunion in Europa brauchen und dass wir sie vollenden müssen, um im internationalen Wettbewerb mit den amerikanischen Banken bestehen zu können. Aber genau das ist der Punkt: Wir haben diese Union noch nicht, es gibt in Europa beispielsweise keine gemeinsame Einlagen­sicherung – es fehlt also eine ganz elementare Säule eines einheitlichen europäischen Bankenmarktes. Ein Zusam­men­gehen mit Unicredit wäre im Kern eine nationale Konsolidierung. Im Wesentlichen würde dann nämlich die Hypovereinsbank (HVB) als deutsche Tochtergesellschaft der Unicredit mit der Commerzbank fusioniert werden. Mit Blick auf Europa und die Bankenunion brächte uns das keinen Schritt weiter.

Zumindest könnte diese Bank kostengünstiger arbeiten.

Das mag sein, aber zuerst müsste man eine lange und mit Sicherheit sehr kostspielige Phase der Integration hinter sich bringen. Und wir haben ja in der Schweiz gesehen, was passiert, wenn sich zwei Banken zusammenschließen. Von der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS profitieren in erster Linie Dritte – zum Beispiel die Commerzbank. Viele Kunden, die vorher mit Credit Suisse und UBS Geschäfte gemacht haben, suchen sich nun eine neue, zweite Bank. Mit einer Fusion bauen Sie also nicht zwangsläufig Marktanteile auf, das Gegenteil kann der Fall sein. Übrigens: Weniger Anbieter im Markt bedeuten selbst bei günstigeren Kosten nicht unbedingt auch günstigere Preise für Firmenkunden, denn der Wettbewerb nimmt ab.

Bettina Orlopp hat darauf hingewiesen, dass sich bei einem Zusammengehen mit Unicredit die Ratingnote der Commerzbank verschlechtern könnte. Wie gravierend wäre das?

Die Commerzbank kommt momentan bei der Agentur S&P auf die Note „A“, die Unicredit auf „BBB“. Wenn sich un­sere Note in Richtung der niedrigeren Note der Unicredit bewegt, würde das unsere Refinanzierungskosten an den Finanzmärkten spürbar erhöhen, zum Beispiel bei der Ausgabe von Anleihen. Ich sehe auch ein Problem auf einem Feld, das mir persönlich sehr wichtig ist: nämlich in unserem täglichen Kundengeschäft bei einigen Ausschreibungen von großen multinationalen Unternehmen sowie bei Ausschreibungen zur Finanzierung der grünen Transformation. Da könnten wir dann möglicherweise nicht mehr zum Zuge kommen. Die Unterschiede in der Ratingnote zwischen den beiden Banken sind ja auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass sich italienische Staatsanleihen in Höhe von rund 40 Milliarden Euro in den Büchern der Unicredit befinden.

Schüren Sie mit dem Hinweis nicht die Angst vor einer neuen Eurokrise?

Keineswegs. Ich weise nur auf Fakten hin, nicht mehr und nicht weniger. Aber wenn Sie schon die Vergangenheit ansprechen: In der Zeit der globalen Finanzkrise 2008/2009 und auch schon in früheren Krisen haben zahlreiche ausländische Banken ihre Deutschlandaktivitäten zurückgefahren und sich stattdessen auf ih­ren Heimatmarkt konzentriert. Auch das ist ein Fakt, den man bedenken sollte. Vor allem Firmenkunden haben dabei das Nachsehen.

Trotzdem muss die Unicredit eine Menge richtig machen, sonst wäre sie nicht in dieser Position der Stärke.

Die Unicredit hat ihre Kosten im Griff und verfügt über ein sehr ordentliches Osteuropageschäft, aus dem hohe Margen resultieren. Wir als Commerzbank sind aber natürlich ein intensiver Beobachter des deutschen Marktes und haben gesehen, dass der Bankenplatz München deutlich kleiner geworden ist, seitdem die Hypovereinsbank 2005 von der Unicredit übernommen wurde. Das ist schon eine substanzielle Veränderung.

Dennoch macht die HVB in erheb­lichem Umfang Geschäfte mit dem Mittelstand. Da kann man doch nicht behaupten, dass das Ende einer eigenständigen Commerzbank den Mittelstand stark treffen würde, wie gelegentlich zu hören ist.

Das habe ich auch nicht gesagt. Ich will jetzt auch nicht in die Buchungslogiken der Unicredit einsteigen, das steht mir nicht zu. Aus unserer Sicht kümmern sich in Deutschland eher die Volksbanken und Sparkassen um Kredite für den Mittelstand, das sind oft unsere Hauptwettbewerber. Aber bei aller Wertschätzung für die Konkurrenz: Es gibt nur eine überschaubare Anzahl großer Banken, die deutsche Firmen bei der Expansion ihres Geschäftes ins Ausland begleiten kann.

Fühlen Sie sich in der aktuellen Lage von der Regierung im Stich gelassen?

Nein, die Bundesregierung hat sich ja klar positioniert, indem sie gesagt hat, dass sie ihren Anteil von zwölf Prozent an der Commerzbank halten möchte. Ein wenig irritiert hat mich nur, dass die Regierung vom Einstieg der Unicredit so überrascht gewesen sein soll. Das Ganze geschah ja im Rahmen einer Kapitalmarkttransaktion, die die zuständige Finanzagentur für den Bund vorgenommen hat. Wir führen solche Transaktionen auch für unsere Kunden durch. Die Überraschungsmomente halten sich dabei in Grenzen.

Sie arbeiten seit 1990 für die Commerzbank. Ist das die turbulenteste Zeit Ihrer Karriere?

Das kann man so nicht sagen. In den Neunzigerjahren interessierte sich die Investorengruppe Cobra für die Commerzbank, später hatten wir die Finanzkrise, dann die Integration der Dresdner Bank, die Fusionsgespräche mit der Deutschen Bank und daraufhin die Corona-Jahre. Relativ ruhig war so gesehen nur meine Ausbildung zum Bankkaufmann, also meine ersten beiden Jahre.

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