Vielleicht sind diese Essays der Beweis dafür, dass Eleganz und Schönheit eben doch Menschenfreundliches hervorbringen können. Der langjährige Leiter des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Claudius Seidl hat seine politischen Texte der vergangenen Jahre in einem Buch veröffentlichen lassen, und das ist ein Unterfangen, das oft schiefgeht: Was in die Woche passt, ist schon Tage später oftmals verblasst, manchmal ist die Lektüre politischer Einordnungen von gestern sogar etwas peinlich, weil sie durch das Weltgeschehen widerlegt wurden.
Nun ist Seidl in diesen Texten kein politischer Kommentator, sondern ein politischer Feuilletonist. Der Unterschied ist entscheidend: Es geht beim politischen Feuilleton nicht darum, was eine Politikerin zu tun oder zu lassen hat, welche Strategie einer Partei nutzt, um erfolgreich zu sein. Nicht darum, ob es sinnvoll ist, dass der steuerpflichtige Rentenanteil von 83 auf 84 Prozent steigt. Es geht schlechterdings nicht darum, was jetzt bitte schön politisch durchgesetzt werden soll.
Wo sich andere im Dickicht der Gesetzesnovellen verheddern, tritt Seidl einen Schritt zurück und erkundet Mentalitätsverschiebungen, Stimmungen, historische Parallelen und – um ein hässliches Wort zu bemühen – Diskurse. Hier geht es um die Voraussetzungen von Politik und nicht um das politische Geschäft als solches. Es sind Texte, die bleiben, weil jedes politische Ereignis dem Autor Anlass gibt, sehr Grundsätzliches zu verhandeln: Das leere Ressentiment im titelgebenden Essay Anstiftung zum Bürgerkrieg zum Beispiel, mit dem seit einiger Zeit Kulturkämpfe geführt werden. Das Neobarocke, mit der Potsdam in die architektonische Vergangenheit geführt wird. Das Verhältnis von Kolonialismus und Holocaust. Der Kult ums Indigene und Ursprüngliche, der die westliche Moderne bedroht (und damit das kosmopolitische Judentum). Wenn Seidl über Verkehrspolitik schreibt, dann geht es nur am Rande um problematische Ampelschaltungen oder Fahrradwege – der Artikel wächst sich (eine Spezialität des Autors) zum herrlich düsteren Berlinporträt aus.
Claudius Seidl, geboren 1959 in Würzburg, begann seine Karriere als Filmkritiker bei der Süddeutschen Zeitung. Man merkt seinen Texten den fruchtbar fremden Blick des aus dem Süden in den Norden Verpflanzten an. Die Berliner Republik wird mäandernd begangen, dem Stechschritt setzt er das Promenieren entgegen. Und nur in diesem Sinne ist er ein scharfer Ideologe: An die Stelle hässlicher politischer Engstirnigkeit sollen Geschmack und Leichtigkeit treten. Formbewusstsein ist die geheime politische Forderung dieser Essays, von dem sie selbst durchdrungen sind. In ihnen sind bayerische Gelassenheit und preußische Gedankenschärfe vereint – an sich eine Unmöglichkeit.
Claudius Seidl: Anstiftung zum Bürgerkrieg; Edition Tiamat, Berlin 2024; 264 S., 24,– €
Vielleicht sind diese Essays der Beweis dafür, dass Eleganz und Schönheit eben doch Menschenfreundliches hervorbringen können. Der langjährige Leiter des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Claudius Seidl hat seine politischen Texte der vergangenen Jahre in einem Buch veröffentlichen lassen, und das ist ein Unterfangen, das oft schiefgeht: Was in die Woche passt, ist schon Tage später oftmals verblasst, manchmal ist die Lektüre politischer Einordnungen von gestern sogar etwas peinlich, weil sie durch das Weltgeschehen widerlegt wurden.