Christine Lavant und Werner Berg: Eine wunderbare, furchtbare Liebe

Die kleine Stadt Bleiburg im Süden Kärntens gilt in der Sprache der Bürokratie als Passivraum. So nennt man Orte, die eine unterdurchschnittliche Wertschöpfung und eher bescheidene Zukunftsperspektiven haben. Bezeichnenderweise ist die Bahnlinie, die nach Bleiburg führt, nur eingleisig, und der Bahnhof befindet sich weit außerhalb des Ortskerns. Südlich von Bleiburg ragt die Petzen in die Höhe, ein Bergmassiv der Karawanken, über dessen Scheitel die österreichisch-slowenische Grenze verläuft. Auf der slowenischen Seite der Petzen liegt das von Peter Handke literarisch verewigte Jaunfeld.

Geschichtlich ist Bleiburg kein Passivraum, sondern ein Brennpunkt. Hier fanden am Ende des Zweiten Weltkrieges fürchterliche Massaker mit schätzungsweise mehr als 60.000 Toten statt, die von der Jugoslawischen Volksarmee vor allem an Kroaten, aber auch an Deutschkärntnern und deutschgesinnten Slowenen verübt wurden.

Später ist die Stadt zu einem Ort der kroatischen Erinnerungskultur geworden, der „Opfer von Bleiburg“ gedachten jedes Jahr im Mai viele Tausend Menschen – darunter allerdings auch ehemalige SS-Soldaten und viele Neonazis. 2022 hat der österreichische Staat diese Zusammenkünfte verboten.

Kurzum: Dies ist eine komplizierte Gegend. Der Maler Werner Berg hatte ihr Wesen einst in wenigen Worten umrissen. Er, der sich 1931 auf einem Bauernhof nicht weit entfernt von Bleiburg niedergelassen hatte, schrieb: „Dieser unterkärntnerische Landstrich hier ist voll der merkwürdigsten Spannungen, Restmodell jenes Erdteils, der einst Österreich-Ungarn hieß. In seltener Vielfalt der Landschaft ist die slawisch-slowenische Grundsubstanz mit dem Kärntnerischen zusammengewachsen bei unmittelbarer Nachbarschaft des Romanisch-Lateinischen.“

Berg war ein Deutscher, der sich in Kärnten verwurzelte, weil er die Landschaft liebte und es in der Stadt nicht mehr aushielt. Er wurde 1904 in Wuppertal-Elberfeld geboren und lebte von 1930 bis zu seinem Tod im Jahr 1981 auf dem Rutarhof. Hier wollte er in aller Abgeschiedenheit, ohne elektrischen Strom und Leitungswasser, ein exemplarisches Leben führen. Zuvor war er in Wien zum Doktor der Staatswissenschaften promoviert worden, doch dann entschied er sich für den schweren Weg; er beschloss, seine Familie auf dem Hof selbst zu versorgen und ein vollkommen unabhängiger Künstler zu werden.

In Bleiburg hat man 1968 zu seinen Ehren das Werner Berg Museum eröffnet, ein schönes, helles Haus am Hauptplatz des Ortes, das Bergs Werk und jährliche Sonderausstellungen zeigt. Die Ausstellung dieses Jahres widmet sich der Liebe zwischen Werner Berg und Christine Lavant. Auch Christine Lavant, eigentlich heißt sie Christine Thonhauser und wurde 1915 geboren, stammte aus dieser Gegend – aus dem Lavanttal, nach dem sie sich später benannte.

Er war ein bedeutender Maler und sie eine noch bedeutendere Dichterin. Ihre Liebe hat das Werk beider entscheidend geprägt. Der ausgewanderte Deutsche und die zarte, klein gewachsene Kärntnerin lernten sich bei einem Treffen von Künstlern im Jahr 1950 kennen. Und es begann eine der unwahrscheinlichsten, traurigsten Liebesgeschichten, die es in der jüngeren Kunstgeschichte gibt.

Was sah er in ihr? Vermutlich eine Frau, die mit Worten das tut, was er in Bildern versucht: das Rätsel der Existenz zu verstehen. Schon im ersten Brief an sie geht er weit; er schildert ihr einen Traum, in dem er „das Ihrige und das Meine“ nicht mehr unterscheiden kann: „Ich trank mich endlich selbst in Ihre Augen hinein und konnte mit denen ungeahnte Herrlichkeiten sehen.“ Die zarte Frau rührt den Maler aufs Tiefste: „Vom ersten Anblick Ihrer Person aber haben mich Schönheit, Seelenkraft und Größe nicht anders getroffen wie der Blitz einst den Saulus vor Damaskus.“ Ja, nie habe ihn ein Mensch so erschüttert wie sie, schreibt er ihr, in ihr erkenne er „den Urgrund der Kunst im Menschen“.

Man muss dazusagen, dass Werner Berg verheiratet ist und Kinder hat. Aber in Christine Lavant erkennt er eine Seelenverwandte, er spricht mit ihr gleich in Wir-Form: „Mit all unserem Kunst-Wesen wollten wir doch wohl nichts anderes, als ausgesetzt in jeglichen Wind des Lebens in Gefahren reicher leben, tiefer ergründen und stark bezeugen.“

Woraufhin sie, die auch verheiratet ist, zurückschreibt (wir übernehmen hier wie in allen folgenden Zitaten ihre Zeichensetzung):

„Wissen Sie dass es mich grässlich stolz und eingebildet macht weil ein gewisser Werner Berg mich angeblich malen will? Können Sie sich das vorstellen? –: so ein armseliges Weiblein das ›in der Blüte seiner Jahre‹ es nicht einmal zu einem einzigen Verehrer seiner ›Reize‹ gebracht hat. Hee? Können Sie das ausdenken. Und nun auf die alten Tage soll es verewigt werden. Komischer Einfall eigentlich nichtwahr? Aber ich freu mich.“

Die kleine Stadt Bleiburg im Süden Kärntens gilt in der Sprache der Bürokratie als Passivraum. So nennt man Orte, die eine unterdurchschnittliche Wertschöpfung und eher bescheidene Zukunftsperspektiven haben. Bezeichnenderweise ist die Bahnlinie, die nach Bleiburg führt, nur eingleisig, und der Bahnhof befindet sich weit außerhalb des Ortskerns. Südlich von Bleiburg ragt die Petzen in die Höhe, ein Bergmassiv der Karawanken, über dessen Scheitel die österreichisch-slowenische Grenze verläuft. Auf der slowenischen Seite der Petzen liegt das von Peter Handke literarisch verewigte Jaunfeld.

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