Christian Mölling: „Europa wird erst aufwachen, wenn eine Niederlage kurz bevorsteht“

Christian Mölling forscht und publiziert in Berlin zu sicherheitspolitischen Themen. Er ist stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

ZEIT ONLINE: Russlandfreundliche Rechtspopulisten haben am Wochenende viele Stimmen dazugewonnen. Ist die Ukraine die eigentliche Verliererin der Europawahl?

Christian Mölling: Gewonnen hat die Ukraine durch diese Wahl zumindest nichts. Gerade wenn wir auf Frankreich schauen, wo die EU-Wahl einen nationalen Effekt hat. Macron hat nach dem starken Abschneiden des Rassemblement National Neuwahlen ausgerufen. Wenn Marine Le Pen diese gewinnt, wird der französische Präsident geschwächt. Auf europäischer Ebene könnte sich deswegen die Hilfe für die Ukraine verzögern.

ZEIT ONLINE: War denn die Militärunterstützung für die Ukraine ein relevantes Thema bei der Wahl?

Mölling: Mein erster Eindruck ist, dass die Unterstützung der Ukraine bei der Wahl in den meisten Ländern keine entscheidende Rolle spielte. In vielen Ländern war die Europawahl vor allem eine Abstimmung über nationale Politik. In Deutschland haben mehrere Parteien versucht, mit der Forderung nach Frieden im Wahlkampf zu überzeugen: das BSW, die AfD, die SPD und die Linkspartei. Auch in Ungarn hat Orbán auf die Botschaft „Frieden für die Ukraine“ gesetzt. Ob das Thema wirklich gezogen hat, wissen wir noch nicht.

ZEIT ONLINE: 2017 hatte Marine Le Pen in Frankreich noch mit ihren guten Beziehungen zu Putin Wahlkampf gemacht. Jetzt hat sie sich als Staatsfrau präsentiert, die sich Sorgen macht um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland auf die französische Wirtschaft. Was würde es für die Ukraine bedeuten, wenn sie noch mehr Stimmen in der Nationalversammlung erhält?

Mölling: Im Parlament etwas für die Ukraine durchzubekommen, dürfte im Falle eines weiteren Wahlerfolgs der Rechten schwierig werden. Ob Macron dann seine Versprechen an die Ukraine einhalten kann, also mehr Artillerie und Mirage-Kampfflugzeuge zu liefern, bezweifele ich.

ZEIT ONLINE: Frankreich hat deutlich weniger Militärhilfe geliefert als Deutschland oder Großbritannien. Wie hart würde es die Ukraine treffen, wenn die Regierung in Paris künftig weniger Unterstützung leisten sollte?

Mölling: Allein auf die Zahlen geschaut, könnte die Ukraine den Ausfall Frankreichs sicherlich kompensieren. Schmerzhafter wäre der Ausfall Macrons als Unterstützer. Er hat ja seine anfangs skeptische Position als Konsequenz seiner Erfahrung mit Putin revidiert. Seine Stimme wird aber weniger bedeutsam, wenn eine mehrheitlich rechte Nationalversammlung ihm keine Mittel mehr gewährt, um diese Linie umzusetzen.

ZEIT ONLINE: Zuletzt ist Macron mit Forderungen zur Unterstützung der Ukraine ziemlich vorgeprescht, etwa bei der Stationierung von Soldaten der Nato in dem Land oder bei der Freigabe von Waffen für Angriffe auf russisches Staatsgebiet …

Mölling: Er versucht, Debatten anzustoßen. Das geht nicht immer gut, wie etwa bei den Bodentruppen oder schon früher bei der hirntoten Nato. Aber die Bundesregierung und andere müssen sich zu den Vorschlägen irgendwie verhalten. Die EU war immer am stärksten, wenn Großbritannien, Frankreich und Deutschland an einem Strang gezogen haben. Mit dem Brexit sind die Briten weg. Frankreich hat aktuell die Rolle als Ideengeber wiedergefunden, und Deutschland behält seine als Krämerseele. Europa braucht letztlich beide Positionen. Wenn allein die Krämer den Ton angeben, dann droht der Stillstand zu überwiegen.

Christian Mölling forscht und publiziert in Berlin zu sicherheitspolitischen Themen. Er ist stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

ZEIT ONLINE: Russlandfreundliche Rechtspopulisten haben am Wochenende viele Stimmen dazugewonnen. Ist die Ukraine die eigentliche Verliererin der Europawahl?

Christian Mölling: Gewonnen hat die Ukraine durch diese Wahl zumindest nichts. Gerade wenn wir auf Frankreich schauen, wo die EU-Wahl einen nationalen Effekt hat. Macron hat nach dem starken Abschneiden des Rassemblement National Neuwahlen ausgerufen. Wenn Marine Le Pen diese gewinnt, wird der französische Präsident geschwächt. Auf europäischer Ebene könnte sich deswegen die Hilfe für die Ukraine verzögern.

AbgeordneteAfDArtillerieAuslandBerlinBeziehungenBrexitBundesregierungChristianDeutschlandEUEU-ParlamentEuropaFrankreichGesellschaftGroßbritannienKampfflugzeugeMacronMilitärhilfeNATOParisParteienPenPolitikPutinRassemblement NationalRegierungRusslandSoldatenSPDUkraineUngarnWaffenWahlWahlkampfWirtschaftWissenZeit