Der Abstecher an den Lago Maggiore ist nur noch eine schöne Erinnerung, die nächsten Tage und Wochen dürften für Christian Lindner unangenehmer werden. Der Finanzminister muss sehen, wie er alte und neue Lücken im Finanzplan schließt, er darf die störrischen Kabinettskollegen auf Haushaltskurs bringen, er soll vorantreiben, was im Ampelbündnis unter der Überschrift „Dynamisierungspaket“ läuft. Damit nicht genug: Der FDP-Vorsitzende ist im Europawahlkampf gefordert. Nach einer Reihe von Niederlagen und permanent schlechten Umfrageergebnissen braucht seine Partei dringend ein Lebenszeichen.
In Stresa traf der Bundesfinanzminister seine Kollegen aus der kleinen, aber feinen Siebenergruppe, die gemeinhin unter dem Kürzel G 7 läuft. Man kennt sich, man schätzt sich, man teilt ähnliche Werte – das schließt nicht aus, dass es auch in dieser Gruppe unterschiedliche Interessen gibt. Ob Hilfspaket für Kiew, ob Abwehrzölle gegen China, ob Neuverteilung von Besteuerungsrechten: Die Vertreter der wichtigsten Länder der westlichen Welt ringen um den richtigen Weg – und der Mann aus Berlin findet sich auch hier in der Rolle wieder, in der man ihn regelmäßig auf der heimischen Bühne bewundern kann. Er will oder muss das Schlimmste verhindern. Freundlich im Ton, geschliffen in der Formulierung, hart in der Sache – zumindest solange er nicht auf verlorenem Posten kämpft.
In Norditalien hat die amerikanische Finanzministerin Janet Yellen den Druck verstärkt, Russlands eingefrorene Vermögenswerte zugunsten der Ukraine zu nutzen. Ziel ist es, künftige Erträge der Anlagen heute zu Geld zu machen. Mit 50 Milliarden hat die Amerikanerin eine griffige Zahl in die Welt gesetzt, ob Dollar oder Euro spielte in Stresa keine Rolle, weil sowieso niemand weiß, wie Yellen auf diesen Betrag kommt.
Widerstand gegen die amerikanische Forschheit
Die russischen Erträge, über die man verfügt, bewegen sich in der Größenordnung von drei Milliarden Euro, das allermeiste fällt in Europa an. Die Vereinigten Staaten wollen diese Mittel mithilfe der Finanzmärkte sofort nutzen – und dabei einen großen Hebel ansetzen. Die Erfahrung zeigt, dass solche Konstruktionen nicht ohne Risiko sind. Wenn der Deutsche in diesem Fall zur Vorsicht gemahnt, ist das nicht verkehrt. Denn es kommt auch hier, wie so oft, auf jedes Detail an.
Forsch sind die Amerikaner auch im Umgang mit China. Die Volksrepublik hat sich der Marktwirtschaft geöffnet, aber frei und fair ist der Wettbewerb mit der chinesischen Konkurrenz nicht. Die Regierung von Joe Biden hat Zölle auf importierte E-Autos und andere Waren angekündigt. Amerika will den Rivalen mit Macht kleinhalten. Man darf davon ausgehen, dass bei Bidens Entscheidung die Wahl im November eine Rolle gespielt hat. Einfuhrbeschränkungen sind populär, auch wenn sie das Leben der Verbraucher verteuern. Das geschieht verdeckt, während die geschützte Industrie sichtbar ist.
Berechtigte Warnungen vor einem Handelskrieg
Amerikas Abwehrstrategie strahlt auf Europa aus. Chinas Unternehmen mit Überkapazitäten werden sich verschärft dem EU-Binnenmarkt zuwenden. Sollte man ebenfalls die Hürden für kritische Güter erhöhen? Der aus Paris angereiste Finanzminister Bruno Le Maire schlug in Italien harte Töne an. Man müsse die französischen Arbeiter schützen, mahnte er. Doch wer das Foulspiel der Chinesen attackiert, sollte selbst fair bleiben. Lindner warnte zu Recht vor einem Handelskrieg, den niemand gewinnen kann. Hiesige Unternehmen haben viel zu verlieren.
Im Ringen um eine Neuordnung der Steuerwelt zeichnet sich weiterhin kein Durchbruch ab. Sind die Amerikaner bereit, auf Besteuerungsrechte bei Google, Amazon, Facebook, Apple zu verzichten, damit sich andere Länder nicht mit nationalen Digitalsteuern ihr Stück vom Kuchen abschneiden? Und was passiert mit der globalen Mindeststeuer? Die Europäer sind in vorauseilendem Gehorsam voranmarschiert. Sie haben die Mindeststeuer längst beschlossen. Deutschland kann anfangs mit einer Milliarde Euro daraus rechnen – doch dann sinkt das Aufkommen rapide. Der immense bürokratische Mehraufwand bleibt.
Das zeigt: Mit der Mindeststeuer ist kein Staat zu machen, im Gegenteil. Für den Investitionsstandort Deutschland wäre eine Senkung der überdurchschnittlichen Steuerlast geboten. Einen zaghaften Ansatz gab es mit dem Wachstumschancengesetz. Mehr haben die Ampelpartner nicht zugelassen. Doch selbst dieses kleine Wachstumspaket war den Ländern zu groß oder besser gesagt: zu teuer. Das zeigt, wie eng der Spielraum für den Finanzminister ist. Lindner kann manchen Unsinn verhindern, aber wenig gestalten. Keine gute Aussicht: nicht für ihn, nicht für das Land.