Chipfabriken von Intel und Wolfspeed: Wirtschaft am Reißbrett

Für Wirtschaftspolitiker in Bund und Ländern kommt es gerade knüppeldick. Noch ist das Debakel von Magdeburg nicht verdaut. Schließlich sollen die dort geplanten Chipfabriken von Intel die größte Einzelinvestition in der Geschichte der Bundesrepublik werden. Doch Mitte September gaben die Amerikaner die Verschiebung um mindestens zwei Jahre bekannt. Da setzt es schon den nächsten Nackenschlag: Der Konkurrent Wolfspeed verschiebt ebenfalls sein Vorhaben, mit dem deutschen Autozulieferer ZF eine Chipfabrik im Saarland hochzuziehen. Der Schritt lag in der Luft, nachdem die Amerikaner im Frühjahr erfolglos in Brüssel wegen einer Erhöhung der Subventionen für den Bau angeklopft hatten.

„Deutschland-Geschwindigkeit des Kanzlers“

Heute mag den Beteiligten ihr Ortsbesuch im Februar 2023 wie böse Ironie erscheinen, als Bundeskanzler Olaf Scholz stolz verkündete, mit der Wolfspeed-Fabrik kehre die indus­trielle Revolution ins kleine Örtchen Ensdorf zurück, das nach dem Niedergang der Montanindustrie schwere Zeiten durchmacht. Wirtschaftsminister Robert Habeck stand sogar mit seinem saarländischen Kollegen und der obersten Autolobbyistin Hildegard Müller auf offener Bühne den Fragen von Wolfspeed-Chef Gregg Lowe artig Rede und Antwort und schloss mit dem aus heutiger Sicht denkwürdigen Satz: „Das ist die Deutschland-Geschwindigkeit des Kanzlers.“

Wohlgemerkt: Noch sind die Investments von Intel und Wolfspeed nicht endgültig gekippt. Wolfspeed hat sich bislang noch gar nicht offiziell geäußert. Es wäre also möglich, dass beide Projekte mit erheblichen Verzögerungen noch umgesetzt werden. Doch darauf verlassen sollte sich niemand. Für beide Konzerne spielt der schleppende Hochlauf der Elek­tromobilität in Deutschland und anderen Zielmärkten Europas eine wichtige Rolle, denn die Automobilindustrie ist der wichtigste Kunde. Selbst wenn die Nachfrage nach Elektroautos in den nächsten Jahren stark zunehmen sollte, wäre keinesfalls sicher, dass die Fabriken kommen. Denn beide Konzerne kämpfen mit internen Problemen. Die Warnungen in den vergangenen Jahren waren deutlich: Während die Künstliche Intelligenz Chipherstellern wie Nvidia an der Börse zu traumhaften Höhenflügen verhalf, waren die Aktienkurse der beiden deutschen Hoffnungsträger auf Talfahrt.

Brüsseler Chip-Pläne in Gefahr

Die Nachrichten aus Deutschland sind auch für Brüssel ein herber Rückschlag. Schließlich hat sich die EU-Kommission mit dem Chips Act zum Ziel gesetzt, den Anteil Europas an der Chip-Produktion bis zum Ende des Jahrzehnts auf 20 Prozent zu verdoppeln, um die während der Pandemie zutage getretenen Abhängigkeiten in den Lieferketten zu reduzieren. Intel und Wolfspeed spielten ­dabei eine wichtige Rolle. Von den deutschen Großprojekten ist noch die Fabrik von TSMC geblieben, die der taiwanische Konzern zusammen mit hiesigen Partnern in Dresden baut und zu deren Spatenstich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im August einen Scheck über fünf Milliarden Euro mitbrachte.

Es stellt sich die Frage, wie die entstandene Lücke geschlossen werden soll. Angesichts wachsender wirtschaftlicher Sorgen steht zu befürchten, dass die Antworten aus Brüssel und Berlin in noch größeren Sub­ventionsgeschenken bestehen. Der jüngste Vorschlag Habecks für einen neuen Investitionsfonds atmet ebenjenen Geist. Dabei wäre es höchste Zeit für einen Richtungswechsel. Autozulieferer, die auf Druck der Regulierer hohe Investitionen in Elek­tromobilität getätigt haben und nun auf nicht ausgelasteten Maschinenparks sitzen, weil Kunden lieber Verbrennerautos kaufen; Schwerindustrie, die auf CO2-arme Produktion umrüstet, ohne zu wissen, wann dafür Wasserstoff zur Verfügung steht; eine Luftfahrtindustrie, die noch nicht vorhandenen Alternativkraftstoff beimischen soll und unter einer Abgabenlast ächzt, die ihresgleichen sucht – das Land ist voll von Unternehmen zwischen Baum und Borke, die in einem ohnehin herausfordernden weltwirtschaftlichen Umfeld unter den planwirtschaftlichen Missständen in der Heimat leiden.

Es wäre deshalb höchste Zeit für einen echten Reformkurs, der Firmen aus ihrem engen regulatorischen Korsett befreit. Die Politik muss akzeptieren, dass sich Schlüsselindustrien und Wettbewerbsfähigkeit nicht herbeisubventionieren lassen – zumal in Zeiten knapper Kassen. Zum Wesen der Marktwirtschaft gehört die Kopplung von Entscheidung und Verantwortung. Weshalb Investitionsentscheidungen von Un­ter­nehmen getroffen werden sollten, die auch das Risiko dafür tragen und dieses nicht auf den Staat abwälzen können. Wirtschaft am Reißbrett können die Chinesen ohnehin besser.

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