China verteilt Bargeld an arme Menschen: Investitionen angekündigt

Chinas Staatsführung sendet erstmals deutliche Zeichen aus, sich der Wirtschaftskrise im eigenen Land bewusst zu sein und diese auch in der Breite anzugehen. In einer seltenen Sitzung kündigte das Politbüro der Kommunistischen Partei um Staats- und Parteichef Xi Jinping in Peking am Donnerstag eine Reihe von Konjunkturmaßnahmen an. „Notwendige fiskalische Ausgaben“ sollen helfen, das von Fachleuten zunehmend angezweifelte Wachstumsziel von fünf Prozent zu erreichen und die Deflation zu bekämpfen. So stellte das Politbüro weitere, „energische“ Zinssenkungen in Aussicht. Zudem sollten spezielle Staatsanleihen emittiert werden, um die „treibende Rolle staatlicher Investitionen“ besser umzusetzen, wie die Staatsmedien vermeldeten.

In bis dahin nicht dagewesener Deutlichkeit gab das Politbüro vor, „Anstrengungen sollten unternommen werden, um den Immobilienmarkt zu stabilisieren und seinen Rückgang zu stoppen“. Dazu werde die Staatsführung den Bau neuer Wohnprojekte streng einschränken, um das bestehende Überangebot an Wohnraum zu verringern. Am Morgen vor der Politbüro-Sitzung hatte Chinas Finanzministerium schon einmalige Bargeldzahlungen an Menschen in extremer Armut angekündigt. Dieses Geld soll bis zum kommenden Dienstag ausgezahlt werden, wenn die Nationalfeiertagswoche beginnt.

Ungewöhnlicher Schritt

Derartige direkte Hilfeleistungen sind selten in China unter Xi Jinping, der sich stets gegen einen „Wohlfahrtsstaat“ ausgesprochen hat, auch wenn Fachleute in Summe dadurch keine übergroße Geldspritze ins System erwarten. Zwar blieben genauere Maßnahmen zu den vom Politbüro ausgegebenen Zielen zunächst vage. Doch gilt schon die Ankündigung als Wegweiser, wie sich Ministerien, Institutionen und Lokalregierungen in den kommenden Monaten zu verhalten haben.

Die Politbüro-Vorgaben folgen zudem unmittelbar auf die schon ungewöhnlich klaren Finanzentscheidungen der chinesischen Zentralbank. Diese hatte am Dienstag erstens den Leitzins um 0,2 Prozentpunkte gesenkt. Zweitens senkte sie die Zinssätze für laufende Immobilien-Hypotheken im Schnitt um einen halben Prozentpunkt, was die Zinsausgaben der chinesischen Haushalte mit Immobilienkrediten um umgerechnet 20 Milliarden Euro pro Jahr verringere, so Zentralbankchef Pan Gongsheng. Drittens senkte die Zen­tralbank die Mindestanforderungen für Bargeldreserven, die Banken vorhalten müssen, ebenfalls um einen halben Prozentpunkt.

Zentralbankchef Pan versprach zudem, dass die Zentralbank leichter Bankkredite von Unternehmen refinanziere, wenn Firmen mit dem Geld eigene Aktien zurückkaufen. Diese Maßnahme unterstrich das Politbüro am Freitag mit der Vorgabe, „es sollten Anstrengungen unternommen werden, um den Kapitalmarkt anzukurbeln“.

Fachleute sehen keinen Richtungswechsel

Die Börsen in China reagierten mit Kurssprüngen auf die Politbürositzung. Der Schanghaier CSI-300-Index der größten Unternehmen der Ostküste stieg am Donnerstag zeitweise um mehr als vier Prozent, der Hongkonger Hang Seng Index beendete den Handelstag 4,6 Prozent höher. Einige Fachleute halten auch die Maßnahmen dieser Woche allerdings nicht für ausreichend, um den strukturellen Wirtschaftsabschwung in China umzukehren. „Ich glaube nicht, dass diese Maßnahmen einen Richtungswechsel darstellen,“ sagt ein leitender Analyst aus der Region gegenüber der F.A.Z. „Und ich glaube auch nicht, dass sie eine belebende Wirkung auf den Immobilienmarkt haben oder das Vertrauen ausländischer Investoren stärken werden.“

Der einzige greifbare Vorteil der Maßnahmen sei, dass sie die Kapitalmärkte stützen werden, da die dahingehenden Maßnahmen die Erwartungen übertroffen haben. Das werde sich positiv auf die Aktien- und die Rentenmärkte auswirken. Zudem könnten die Maßnahmen indirekt auch den Unternehmen zugutekommen, die im Bereich der von Xi Jinping ausgerufenen „neuen Produktivkräfte“ zu tun haben. Gemeint sind damit in China gemeinhin technologisch hochwertigere Güter wie Elektroautos, Solaranlagen und Batterien. „Die positive Wirkung wird wahrscheinlich ein oder zwei Wochen anhalten, und wenn es kontinuierliche Folgemaßnahmen gibt, könnte sie auch bis zum Jahresende anhalten“, so der Analyst.

Seit Langem schon weist Xi seine Wirtschaftsvertreter an, positive Stimmung zu verbreiten. Das Politbüro wies die Funktionäre am Donnerstag noch einmal an, „das Vertrauen zu stärken und das Verantwortungsbewusstsein und die Dringlichkeit, die wirtschaftliche Arbeit gut zu machen, ernsthaft zu verbessern“.

Wer hingegen Kritik übt, wird ruhiggestellt. Für Aufsehen sorgte zuletzt der Fall des Ökonomen Zhu Hengpeng, dem Vizedirektor des renommierten Instituts für Wirtschaftswissenschaften an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften. Zhu wurde im Frühjahr verhaftet und seines Postens enthoben, nachdem er in einem privaten Gruppenchat auf Wechat unter anderem Kommentare über Chinas schwache Wirtschaft geäußert haben soll, wie das „Wall Street Journal“ entsprechende Gerüchte in dieser Woche bestätigte.

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