China/Europa | Humen erinnert an Ersten Opiumkrieg: Perfide Form von Kolonialismus

1839 ließ der chinesische Kaiser ei­ne Million Kilo Opium vernichten. Das britische Im­perium rea­gier­­te mit einem ersten Opium­krieg, den China verlor. Heute erinnert in der Stadt Humen ein Museum an diese nationale Erniedrigung


Britische und chinesische Beamte an Bord eines Schiffes einen Tag vor der Einnahme von Chusan im Ersten Opiumkrieg im Jahr 1840

Foto: picture alliance/CPA Media Co. Limited


Humen ist meine erste chinesische Stadt. Im Unterschied zum südlich angrenzenden Shenzhen, wo auf dem Boden eines Fischerdorfs eine 17-Millionen-Metropole emporwuchs, und zu anderen Teilen des Stadtverbands Dongguan (10,4 Millionen Einwohner), hat Humen immerhin einen historischen Kern. Da die Metro Dongguan vorläufig am Humener High-Speed-Bahnhof endet, zeigt die Fast-Millionen-Stadt Facetten von altchinesischem Charme. Herumgefahren werde ich von superbilligen E-Moped-Piraten. Vorn der Mopedtaxler, zwischen seinen Beinen mein Koffer, ich hinten ohne Helm, und so brausen wir mal über Bürgersteige, mal über Überholspuren von Stadtautobahnen.

Ich bin in Humen, weil es für eines der schändlichsten Beispiele westlichen Kolonialismus steht: 1839 ließ Lin Zexu, der Sonderkommissar des chinesischen Kaisers, am Strand über eine Million Kilo Opium vernichten. Das britische Imperium reagierte darauf mit dem ersten Opiumkrieg, den China verlor. Die weitläufige Anlage des Opiumkriegsmuseums erinnert an diese nationale Erniedrigung.

185 Jahre später sprießen in einem der Wasserbecken, in denen Lin Zexu im Juni 1839 die Drogen vernichten ließ, hübsche Teichpflanzen, die Fischlein aber sind tot. Eine Gruppe junger Funktionäre in neobourgeoisem Einheitsblau wird mit Sprechchören durch die Ausstellung geführt, eine Oma knipst ihre Enkelin, angesichts der welthistorischen Bedeutung ist der Besuch eher mau. Der Exkurs beginnt mit etwas Kulturgeschichte, das heißt, mit Claude Monets Mohnfeldern bei Argenteuil und Vincent van Goghs Mohnblumen.

Chinesische Süchtige werden zitiert: Opium sei besser als Frühstück und Abendessen zusammen. Eine animierte Weltkarte zur „Verbreitung von Mohn vor dem 19. Jahrhundert“ verortet die Herkunft des Opiums am Nil und in Kleinasien, danach leuchten rote Punkte bei Rom und Athen auf. Gelbe Pfeile weisen Richtung China. Die ersten westlichen Kolonisten im Perlflussdelta seien 1553 Portugiesen gewesen, später habe die British East India Company nicht nur den Handel monopolisiert, sondern „auch das Recht gehabt, Kriege zu erklären und Frieden zu schließen“.

Viel Aufmerksamkeit findet die historische Handelsbilanz zwischen Europa und China: „Englische Wolle, Uhren, Messer und Gabeln verkauften sich in China aufgrund seiner Naturalwirtschaft nur langsam, aber chinesische Seide und Porzellan waren auf britischen Märkten ein Verkaufsschlager“, liest man und sieht das chinesische Porzellan des englischen Bürgertums, oft mit lateinischen Inschriften wie „Auspicio regis et senatus Anglia“. Tee allein machte bis Mitte des 19. Jahrhunderts 80 Prozent der chinesischen Exporte nach Britannien aus.

Europas Handelsdefizit schrumpfte erst dann, als China von dort mit Opium überschwemmt wurde. Allein 1806 schmuggelten die Briten 4.126 Kisten nach China, 1834 waren es schon 300.400 mit der zumeist in Britisch-Indien produzierten und mit bewaffneten Schnellbooten eingeschleusten Droge. Man sieht im Museum eine Galerie mit den Porträts von Opiumschmugglern, die sich als ehrenwerte Gentlemen in bildungsbürgerlichem Ambiente verewigen ließen. Da der Opiumhandel China Silber entzog, hielt er das Land ökonomisch und militärisch schwach. Die Soldaten des Kaisers lagen mit Opiumpfeifen darnieder.

Das Opiumkriegsmuseum lässt Europa im zweiten Stock Gerechtigkeit widerfahren. Dort wird von „rechtschaffenen Menschen“ erzählt, die meist aus pietistisch-christlichem Motiv, aber auch mit einer literarischen Beichte namens Confessions of an English Opium-Eater gegen den Opiumhandel kämpften. So rief der spätere Premierminister William Gladstone 1840 im Unterhaus aus: „Unsere Fahne ist zu einem Piratenbanner geworden.“ Die Folge davon war, dass Britannien für Handelsprivilegien 1839 bis 1842 und 1856 bis 1860 zwei Opiumkriege gegen China führte. Außenminister Lord Palmerstone erklärte offen: „Um eine dauerhafte und genuine Verständigung zwischen den beiden Ländern aufrechtzuerhalten, ist es für die chinesische Regierung von großer Bedeutung, den Opiumhandel zu legalisieren.“ Erst 1917 – geschlagene 78 Jahre nach Lins Humener Strandhappening – stimmte Großbritannien einem Ausfuhrstopp von Opium nach China zu.

Die große Szene vom Juni 1839 wird von unbewegten lebensgroßen Menschenpuppen nachgestellt. Das Kinn auf nachgebaute Opiumkisten gestützt, döst dort ein Aufseher, ausgezehrt von einem anderen Suchtgift westlicher Provenienz – dem Smartphone. Heute liest man viel über Chinas „Neokolonialismus“ in Afrika, von der kolonialistischen Niedertracht wie Britanniens Opiumkriegen hat man bisher wenig gehört. Ich fliege über Kairo nach China, zusammen mit Transitpassagieren aus Afrika. Meine chinesische Sitznachbarin, die in der Elfenbeinküste aus dem Nichts ein Metallwerk aufbaut, äußert sich respektvoll über Afrikas „Offenheit“. Die chinesischen Grenzbeamten am Kantoner Flughafen senden ein anderes Signal – sie fischen afrikanische Einreisende gezielt aus der Warteschlange.

Serie Europa Transit: Regelmäßig berichtet Martin Leidenfrostüber nahe und fernab gelegene Orte in Europa

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