CDU-Politiker Hendrik Streeck stellt infrage, ob sehr alte Menschen noch teure Behandlungen erhalten sollten. Der Vorstoß löst Empörung aus. Aber Streeck erhält auch Zustimmung von der Bundesärztekammer und von einem Wissenschaftsjournalisten.
In der Debatte um die medizinische Versorgung hochbetagter Menschen erhält CDU-Politiker Hendrik Streeck Rückendeckung. „Es geht darum, nicht am Patienten zu sparen, sondern ihm etwas zu ersparen“, sagte der Wissenschaftsjournalist Werner Bartens im Podcast „Apokalypse & Filterkaffee“. Mit seinem Vorstoß habe Streeck recht. Im Falle von 20 Prozent der Erkrankten mit Krebs im Endstadium, bei denen keine Heilung mehr möglich ist, werde noch vier Wochen vor ihrem Tod eine Chemotherapie durchgeführt. „Das ist Körperverletzung, das ist Schwachsinn“, beanstandete der Sachbuchautor, der für die „Süddeutsche Zeitung“ arbeitet.
„Du weißt natürlich nicht genau, wann jemand stirbt, aber du weißt, wann es keinen Sinn mehr macht, heilend einzugreifen“, führte Bartens weiter aus. Behandelt werde aufgrund von „Fortschrittsautomatismen“ dennoch. Es herrsche die Vorstellung, dass es immer besser sei, zu behandeln, statt nichts zu tun. Neue und teure Medikamente würden gegenüber alten und preisgünstigen bevorzugt. „Nicht jede Innovation ist besser als das, was man schon hat“, insistierte der studierte Mediziner.
CDU-Gesundheitspolitiker Hendrik Streeck hatte im WELT-Format „Meinungsfreiheit mit Nena Brockhaus“ beanstandet, dass die Bevölkerung das Gesundheitssystem „viel zu sehr in Anspruch“ nehme und „verschwenderisch mit den wenigen Ressourcen“ umgehe. In diesem Zusammenhang hatte er die Frage aufgeworfen, ob sehr alten Menschen noch teure Medikamente verabreicht werden sollten. Es brauche in der Selbstverwaltung der Medizin „klarere und verbindliche Leitlinien, dass bestimmte Medikamente auch nicht immer ausprobiert werden sollten – es gibt einfach Phasen im Leben, wo man bestimmte Medikamente auch nicht mehr einfach so benutzen sollte.“
„SZ“-Journalist Bartens verwies auf den früheren Präsidenten der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar, der einst vom „sozialverträglichen Frühableben“ gesprochen hatte. Damit hatte er das Unwort des Jahres 1998 geprägt. „Das war ein Riesenskandal“, erinnerte sich der Journalist. „Damals war schon klar, du kannst nicht Medizin für alle bis zum letzten Atemzug am Hightech-Maximum machen.“ Es sei absurd, dass sich Unikliniken „Häuser der Maximalversorgung“ nennen, statt „Häuser der Optimalversorgung“, bemängelte er.
Vilmars Nachfolger an der Spitze der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Ärztekammern, Klaus Reinhardt, stellte sich ebenfalls hinter Streeck. „Wir müssen uns als Gesellschaft und Ärzteschaft immer wieder damit auseinandersetzen, was in der letzten Lebensphase medizinisch sinnvoll und zugleich menschlich angemessen ist“, sagte er dem „Tagesspiegel“. „Dabei dürfen ärztliche Therapieentscheidungen nicht vom Alter oder vom wirtschaftlichen Aufwand abhängen, sondern vom individuellen Patientenwillen, der Prognose und der Lebensqualität.“
Streecks Einlassungen hatten parteiübergreifend Kritik ausgelöst. Janosch Dahmen (Grüne), Wolfgang Kubicki (FDP) und Sören Pellmann (Linke) stellten sich deutlich gegen das frühere Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung. Zuletzt schloss sich Gregor Gysi der Einschätzung seines Parteikollegen an. „Statt bei der Versorgung zu sparen, sollten gerade die gigantischen Gewinne der Pharmaindustrie gerechter besteuert werden“, schrieb der Alterspräsident des Bundestags auf der Plattform X.
Gysis frühere Kollegin und heutige BSW-Politikerin Sevim Dagdelen verknüpfte das Thema mit der aktuellen Aufrüstung. „220 Milliarden Euro sollen jährlich für Waffen und Militär verpulvert werden, aber Medikamente für ältere Menschen soll es nicht mehr geben, wenn sie teuer sind“, rügte sie auf X. „Willkommen in der Barbarei.“
Auch der ehemalige Gesundheitsminister, Karl Lauterbach, lehnte den Vorstoß ab. „Altersrationierung teurer Medikamente ist ethisch unhaltbar und unnötig.“
Source: welt.de