Chef jener Behörde pro Wiederaufbau jener Ukraine geht

Eigentlich hätte Mustafa Najjem dieser Tage die Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in der Berliner Messe besuchen sollen. Unter anderem stand eine Podiumsdiskussion mit 100 deutschen Managern über Perspektiven des kriegszerstörten Landes an. Doch der Leiter der staatlichen ukrainischen Agentur für die Wiederherstellung und Entwicklung der Infrastruktur war am Tag vor der Konferenz zurückgetreten. Der Grund: Ministerpräsident Denys Schmyhal hatte ihm die Teilnahme untersagt.

Nachzulesen ist das in einem Facebook-Eintrag, in dem Najjem seinen Frust über Bürokratie, Geldmangel und Machtkämpfe in Kiew Ausdruck gibt: „Die jüngste Entscheidung des Premierministers, meine offizielle Teilnahme an der Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine in Berlin abzusagen bestätigt dies.“ Diverse Medien haben den Brief mit dem handschriftlichen Reiseverbot Schmyhals „in blauer Tinte“ gesehen.

Funktionär mit Vorgeschichte

Najjem, ein früherer Journalist und Parlamentarier, ist in der Ukraine bekannt als einer derjenigen, die 2014 zu den Maidan-Protesten aufriefen, die zur Flucht und Absetzung des russlandfreundlichen Präsidenten Viktor Janukowitsch führten. Im vergangenen Jahr war er als Vizeminister an die Spitze der Agentur berufen worden, noch Ende Mai bot er sich ausländischen Journalisten als Gesprächspartner an.

Da hatte er schon eine Ahnung, dass er seinem Vorgesetzten, Infrastrukturminister Oleksandr Kubrakov, folgen könne, der im Mai von Präsident Wolodymyr Selenskyj entlassen worden war. Die „Financial Times“ berichtet, dass darüber bei einem Treffen mit westlichen Diplomaten und Vertretern von Hilfsorganisationen gesprochen worden sei, die sich irritiert, besorgt und empört geäußert hätten. Tatsächlich hatten sich westliche Botschafter nach der Absetzung Kubrakovs auf der Plattform X für „eine großartige Partnerschaft“ und seinen Einsatz für Exporte, Energieversorgung und Wirtschaft bedankt.

In der Ukraine führte die Folge des Machtkampfs zu unterschiedlichen Reaktionen. Hlib Vyshlinsky, der Direktor des Zentrums für Wirtschaftsstrategie in Kiew, sagte, die Entscheidung „sendet unseren Partnern die Botschaft, dass der Wiederaufbau keine Priorität mehr hat“. Dagegen nannte der Präsident der Kiew School of Economics und frühere Wirtschaftsminister Tymony Mylovanov den Abgang Najjems eine natürliche Konsequenz der Ministerentlassung, berufe die Regierung doch ein neues Aufbauteam. Er empfahl „unseren Verbündeten“ dann auch, sich weniger in die Personalangelegenheiten Kiews einzumischen.

In seiner Erklärung beklagt der 42 Jahre alte Najjem das Streichen aller Gelder zur Straßeninstandsetzung zugunsten des Militärs, monatelange Zahlungsverzögerungen, die Blockade westlicher Gelder für den Infrastrukturaufbau und einen Personalschwund, nachdem „die Gehälter der Mehrheit der Mitarbeiter um 68 Prozent gekürzt wurden“. Zudem verzögere überbordende Bürokratie viele Projekte, wenngleich die Agentur heute landesweit 353 Wiederaufbauprojekte koordiniere. Er habe überdies vor seinem Rücktritt die Staatsanwaltschaft aufgefordert, „Rechtmäßigkeit und Transparenz der von der Agentur getroffenen Entscheidungen zu überprüfen.“

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