Chapeau – Alter Hut: Zehn Fakten zur Kopfbedeckung

A

wie Autofahrer

Im Alb-Donau-Kreis hält sich hartnäckig das Vorurteil, dass die schlechtesten Autofahrer des Landes aus dem benachbarten Biberach kommen und das Kennzeichen BC für „Bauern Club“ steht. Biberacher, so der Vorwurf, bewegen sich im Straßenverkehr so behäbig, als säßen sie am Lenkrad eines Treckers. Jede Region hat ihre eigenen Biberacher, ihr Pendant auf Landesebene ist der Autofahrer mit Hut. In einem satirischen Ranking der zehn Autofahrer-Typen, die eine „Gefahr für die Menschheit sind“, setzte der Stern den Hutfahrer sogar auf Platz eins, noch vor den Rechtsüberholer und den Kolonnenspringer. „Er sitzt bevorzugt in einem Mercedes 200D aus den Achtzigerjahren (→ Katze), hat ein Fell über seine Sitze gezogen und ruht in sich selbst“, hieß es dort über ihn. Der Text ist zehn Jahre alt und zeigt, dass das Sinnbild für Menschen, die zu lange an ihrem Führerschein festhalten, selbst schlecht altert. Oder wann haben Sie zuletzt einen Mercedes 200D mit einem Rentner am Steuer gesehen? Christine Käppeler

C

wie Clint Eastwood

Die Filmgeschichte ist voller Anekdoten über das angespannte Verhältnis von Regisseuren, vor allem männlichen, zu ihren Darstellern und Darstellerinnen. „Schauspieler sind Vieh“, lautet ein berühmtes Zitat von Alfred Hitchcock, geäußert während der Promotour zu Die Vögel, dazu lobende Sätze über die herausragenden Leistungen der Krähen im Film. Sergio Leone war in seiner verächtlichen Haltung nur um weniges subtiler. Drei Filme drehte er mit Clint Eastwood in der Hauptrolle (die berühmte „Dollar“-Trilogie mit Eine Handvoll Dollar, Für ein paar Dollar mehr und Zwei glorreiche Halunken). Beider Karrieren profitierten enorm von der Zusammenarbeit. Die Schauspielleistung des Amerikaners aber fasste der Italiener auf legendär lakonische Weise zusammen: Eastwood verfüge über zwei Gesichtsausdrücke – mit Hut und ohne Hut. Barbara Schweizerhof

H

wie Hutbürger

„Sie haben mich ins Gesicht gefilmt! Das dürfen Sie nicht! Sie begehen gerade eine Straftat!“ Ein Mann mit Anglerhut machte sich im August 2018 selbst berühmt, indem er einem ZDF-Kamerateam in die Linse guckte. Der – wie sich später herausstellte– LKA-Beamte hatte privat an einer Pegida-Demonstration in Dresden teilgenommen. Deshalb durften die Journalisten den Mann mit schwarz-rot-goldenem Anglerhut filmen. Und der „Hutbürger“ ging viral. Er erntete Spott, wurde modisch auch zu einem Vorbild (→ Pan Tau). Die Kopfbedeckung ist seitdem nationalfarben oder in Farben der Reichsflagge auf rechten Demos zu sehen. Der Hutbürger kündigte später an, das ZDF auf mindestens 20.000 Euro Schadenersatz verklagen zu wollen. Das jedenfalls verkündete 2019 sein Anwalt Maximilian Krah, damals schon aktives AfD-Mitglied. Den Hut des Hutbürgers druckte der Spiegel später auf sein Cover mit dem Titel „So isser, der Ossi“, Unterzeile: „Klischee und Wirklichkeit“. Verbale Abrüstung geht anders. Tobias Prüwer

K

wie Katze

„In Stackeln an der Kruke stand ein Häuschen mal leer, heute wohnt drin die Katze und ein Haufen Leute mehr“: Die effektivste Hausbesetzung der BRD vollzog sich in den 1980ern nicht in Berlin oder Hamburg, sondern auf der Bühne der Augsburger Puppenkiste. Als Film in vier Kapiteln machte der HR daraus Kinderfernsehen. Die Katze mit Hut landet zufällig in Stackeln, wo eine Villa leer steht, die einem Brauereidirektor Maulwisch gehört. Spekulativer Leerstand wäre das heute, die elegante Katze zieht kurzerhand ein und nimmt sämtliche Outsider auf, die an ihre Tür klopfen, vom Dudelhuhn über den Seefahrerhund bis hin zum Wildschwein Baby Hübner, Pianist ohne Talent. Anfangs versucht der knurrige Maulwisch Miete einzutreiben, aber gegenüber der so charmanten wie beharrlichen Ablehnung dieses Ansinnens durch die Katze ist er machtlos. Christine Käppeler

M

wie Mut

Für Mut gibt es schwierigere Beweise, als einen breitkrempigen Hut zu tragen. Einst war es für mich ein erfreulicher Nebeneffekt der Leipziger Buchmesse, dass es in der Passage neben dem Messehaus am Markt einen Hutladen gab, wo ich lange probierte und kaufte. Gern etwas aus feinem Filz in Dunkelrot oder Schwarz, weil das zur Herbstgarderobe passt. Ich habe diese Hüte tatsächlich getragen, wenn ich in die Redaktion ging. Mutwillig, weil ich’s schön fand. Heute denke ich, dass ich mich so gegen männliche Hemdsärmeligkeit (→ Clint Eastwood) wappnete. Hüte geben Schutz. Wenn draußen allerdings Wind aufkam, verflog das Hochgefühl. Mit mindestens einer schweren Tasche in der Hand – Lektüre war nach Hause und zurück zu transportieren – musste man das gute Stück festhalten und machte sich lächerlich, wenn man ihm hinterherrannte. Sowieso passt man mit Hut auf jedes Lüftchen auf. Wie unbequem! Da liegen meine Hüte nun im Schrank und langweilen sich. Irmtraud Gutschke

P

wie Pan Tau

Gestern mit einer Freundin: Erinnerst du dich noch an die Serie Pan Tau? Ihr Gesicht, plötzlich wie → Verzaubert. Aber ja! Woran erinnerst du dich? Einen Stresemannanzug trug er. Eine weiße Nelke im Knopfloch. Und mit der Melone konnte er zaubern, entführte einen in eine Welt fern von den doofen Erwachsenen. Oder er ärgerte die, stiftete Chaos, herrlich. Es waren gleichzeitig reale Geschichten und Märchen. All das schien möglich! Denn als Kind kannte ich freilich keinen Unterschied zwischen Wirklichkeit und Fantasie. Pan Tau zwinkerte, sprach nicht. Otto Šimánek (1925 – 1992) spielte die Figur. Er wirkte auch in anderen wunderbar subversiven tschechischen Serien mit, wie zum Beispiel Luzie, der Schrecken der Straße. Entstanden ist die Serie natürlich in den Barrandov-Studios, sie waren über Jahrzehnte eines der größten Filmstudios Europas. Katharina Schmitz

R

wie René Magritte

Mit dem Gemälde Le mois des vendanges wurde 2021 bei Christie’s in London ein Werk von Magritte versteigert, das zu den wichtigsten des belgischen Malers zählt. Ein Schlüsselwerk des Surrealismus, für das der unbekannte Käufer 11,6 Millionen Euro hinlegen musste. 1959 entstanden, zeigt Le mois des vendanges („Die Zeit der Weinlese“) unzählige Herren im Anzug und mit Melone auf dem Kopf, vor einem nach innen geöffneten Fenster stehend. Sie blicken uns direkt an. Bei Magritte, der den Hut selbst gerne trug (→ Mut), ist die Melone ein wiederkehrendes Motiv, nur ist das Gesicht des Trägers meist verdeckt, uns abgewandt oder lediglich ein Schemen. Fred Miller Robinson hat die Melone in seinem Buch The Man in the Bowler Hat: His History and Iconography eingehend kulturhistorisch untersucht. Magritte selbst, der seine märchenhaften Bilder wie ein Hobby-Maler in einer Ecke seiner Wohnung pinselte, sagte einmal: „Ich habe nicht die blasseste Idee für ein Bild, das ich mit Interesse malen würde.“ Und weiter: „Überhaupt meine ich, dass es genug Bilder gibt.“ Marc Peschke

S

wie Spruchreif

Hut ab vor Joe Biden. Es heißt, er musste seinen Hut nehmen. Doch es gehört Größe dazu, einzusehen, dass man den Hut nicht mehr aufhat. So konnte Kamala Harris ihren Hut in den Ring werfen. Viele hätten das nicht erwartet, für sie wurde Harris quasi aus dem Hut gezaubert. Jetzt muss sie sympathisches Auftreten, ihre Stammwählerschaft und Attacken gegen den Kontrahenten Trump unter einen Hut bringen. Denn dass dessen Lager zu Lügen und Schmutzkampagnen (→ Autofahrer) neigt, ist ein alter Hut. Harris muss auf der Hut sein. Denn obwohl er einer Ex-Staatsanwältin gegenübersteht, wird der vorbestrafte Trump leider nicht so klein mit Hut. Falls der Republikaner, mit dem ich nichts am Hut habe, gewinnen sollte, dürfte mir die Hutschnur platzen. Und falls er verliert? Kann er zum Frustessen gehen – zum Beispiel zu Pizza Hut. Ben Mendelson

V

wie Verzaubert

Wer in die Zauberschule kommt, wird zunächst einem der vier Häuser von Hogwarts zugeteilt. Dazu setzt er oder sie sich den Sprechenden Hut auf, der seine Entscheidung meist schnell verkündet. Im ersten Harry-Potter-Roman von Joanne K. Rowling ist es nur der Titelheld, der vom Hut erst befragt – und dann von ihm versucht wird wie Jesus in der Wüste: Willst du ins Haus Slytherin? Es ist böse, aber es würde dich „groß“ machen! Bloß nicht, denkt Harry. Und so kommt er, wie auch seine beiden künftigen Freunde Ron Weasley und die strebsame Muggeltochter Hermine Granger, dorthin, wo Tapferkeit und Mut regieren: ins Haus Gryffindor.

Der Hut, ein „Spitzhut, wie ihn Zauberer benutzen“, hat sich vor der Zeremonie selbst als „alten Hut“ im Sinn von längst überholt (→ Autofahrer) vorgestellt (die Redewendung „to be old hat“ gibt’s auch im Englischen). Aber die Frage der Tugenden, die bleibt natürlich aktuell. Die beiden anderen Häuser, Ravenclaw und Hufflepuff, stehen für „weises“ Denken (Platons Besonnenheit) und Gerechtigkeit. Michael Jäger

Z

wie Zylinder

Der Hut ist wandelhaft: Mit akkurat gebügelten Hosen, Frack und makellos glänzendem Zylinder hat Johannes Heesters nicht nur die „lauschenden Schönen“ bezaubert. Er wurde auch, ganz ohne zähes Leder und harten Kruppstahl, von den Nazi-Größen hofiert. Der echte Biberfilz-Zylinder zeigt sich auf Fotos von 1857. Der Schiffbauer Isambard Brunel trägt ihn hoch aufgetürmt zu schmutzigen Hosen und abgestoßenen Stiefeln. Die aufmüpfigen 1848er trugen ihn. Marx und Engels auch. Mit Brunel landet er bei den handfesten Unternehmern der viktorianischen Gründerzeit. Brecht bevorzugt die Paperboy-Kappe, denn nun symbolisiert der Zylinder die Macht der Herren von Kohle und Stahl. Später ist er Requisit in Alice Coopers putziger Horrorshow. Gehört wie die Ray-Ban-Sonnenbrille zur Verkleidung des Guns-N’-Roses-Gitarristen Slash. Michael Suckow

AfDAlfredAliceAutofahrerBauernBeamteBenBerlinBidenChristineDollarDresdenEuroFilmFilmeFührerscheinHamburgHarrisHarryHäuserHeestersHitchcockJoeJoe BidenJohannesKKamalaKindKleinKohleKrahLangeLeipziger BuchmesseLKALondonMANMannMarcMaximilianMercedesMichaelOttoRayRentnerRonSSchadenersatzSchauspielerSchwarzSelbstSerienStahlSternSteuerStraßenverkehrTrumpVögelWeilWELTZDFZeit
Comments (0)
Add Comment