Carsten Linnemann will „Druck“ auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausüben. Dabei hat der NDR in der Causa Julia Ruhs eine normale Personalentscheidung getroffen. Warum der CDU-Generalsekretär Nachhilfe in Verfassungsrecht braucht
Carsten Linnemann, Generalsekretär der CDU
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Zwei Buchstaben, einmal Enter, zweimal klicken – so lange dauert es, bis man im Internet den Artikel 5 des Grundgesetzes findet. Carsten Linnemann, Generalsekretär der CDU, sollte diesen Weg dringend mal wieder auf sich nehmen. Da würde er nämlich erstaunliches zu lesen finden; Absatz 1, Satz 2 zum Beispiel: „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“ Soll heißen: An die Rundfunkfreiheit darf keiner ran, auch nicht Carsten Linnemann.
Der sieht das offenbar anders. Carsten Linnemann will „Druck“ auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausüben. Weil der NDR entschied, dass die von ihm produzierten Ausgaben der Sendung Klar nicht mehr von Julia Ruhs moderiert werden sollen, will der CDU-General die Rundfunkbeiträge einfrieren, „damit Reformen passieren“, wie er im Gespräch mit Welt TV sagte.
Nun, Reformen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind ein komplizierter Prozess. 16 Bundesländer müssen sich um eine Struktur kümmern, die im Ergebnis staatsfern sein soll. Sie haben es übrigens trotzdem geschafft und sich im Oktober 2024 auf einen Reformstaatsvertrag geeinigt. Ob das reicht, mag man diskutieren. Die Rundfunkbeiträge jedenfalls sind schon eingefroren, trotz der Forderung der Sender, sie um 58 Cent anzuheben – worüber eigentlich eine unabhängige Kommission entscheiden soll und eben nicht die Politik, um genau solche Vorstöße wie die Linnemanns zu verhindern.
Carsten Linnemann darf Julia Ruhs gut finden, aber nicht den NDR erpressen
Das alles interessierte Carsten Linnemann offenbar gar nicht. Denn um größere Attraktivität, schlankere Strukturen oder die Digitalisierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten geht es in der Causa Ruhs ja gar nicht. Es geht um Politik. Was Linnemann stört, ist die unabhängige Entscheidung des NDR, eine Moderatorin abzusetzen, der intern wie extern handwerkliche Mängel vorgeworfen wurden. Darüber kann man streiten.
Carsten Linnemann kann der Meinung sein, dass Julia Ruhs eine gute Arbeit gemacht hat. Er kann auch der Meinung sein, dass die Sender konservativen Meinungen mehr Platz einräumen sollten, damit sie „in ihren Angeboten eine möglichst breite Themen- und Meinungsvielfalt ausgewogen darstellen“, wie es der Medienstaatsvertrag in Paragraf 26, Absatz 2, Satz 2 von den Rundfunkanstalten fordert.
Aber er hat nicht das Recht, eine im Rahmen der geltenden Gesetze und Verträge allein dem Sender obliegende Personalentscheidung zum Anlass für politischen Druck zu nehmen. Kein Wunder also, dass beim Deutschen Journalistenverband umgehend die Alarmglocken schrillten: Linnemanns „Drohung“ sei „pure Erpressung“ und außerdem „verfassungswidrig“, ließ der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster wissen. „Der CDU-Generalsekretär sollte wissen, dass dies die Rundfunkfreiheit verletzt.“ Man muss es klar sagen: Das stimmt.
Carsten Linnemann dürfte sehr bewusst ins kulturkämpferische Horn des Populismus geblasen haben, um rechte Wähler anzusprechen. Denn dass von „linker Cancel Culture“ (Erwin Huber, CSU) keine Rede sein kann, zeigt schon die Tatsache, dass Julia Ruhs jene Folgen von Klar, die der BR produziert, weiterhin moderieren wird. Auch der NDR hat das inhaltliche Profil der Sendung ja nicht verändert und mit Tanit Koch eine etablierte Journalistin konservativer Medien (Bild, Focus) als Nachfolgerin bestellt. Man könnte auch sagen: Auftrag erfüllt. Nachhilfe in Sachen Meinungs- und Pressefreiheit braucht hier nicht der NDR, sondern der CDU-Generalsekretär.