Cathy Marstons Ballett „Clara“ am Opernhaus Zürich

Im vergangenen Jahr hat die Britin Cathy Marston das Ballett Zürich übernommen. Marston schafft gerne neue eigene Handlungsballette und überträgt das Film-Genre Biopic auf die Ballettbühne. Sie verwendete bereits Charlotte Brontës „Jane Eyre“ und choreographierte „Mrs. Robinson“; Ian McEwans prominent verfilmter Roman „Abbitte“ diente als Vorlage ihres mit dem englischen Originaltitel bezeichneten Balletts „Atonement“. Ihre Choreographie „The Cellist“ handelt von der englischen, im Alter von nur zweiundvierzig Jahren verstorbenen Musikerin Jacqueline du Pré. An Selbstbewusstsein, was die Erzählqualitäten tänzerischer Bewegung angeht, mangelt es der Ballettdirektorin jedenfalls nicht, und von George Balanchines Skepsis gegenüber verwickelten Familienverhältnissen in Ballettlibretti lässt sie sich offensichtlich nicht einschüchtern.

Als wolle sie sich selbst darin überbieten, bewegende Schicksale berühmter Künstler oder literarischer Figuren in Arabesken und Spitzentanz zu transponieren, widmet sich ihr am vergangenen Wochenende im Opernhaus Zürich uraufgeführtes Ballett „Clara“ dem Leben der Ausnahmepianistin, Komponistin und Gefährtin von Robert Schumann. Mal abgesehen davon, ob die Nachwelt sich anmaßen sollte, eine Musikerin von ihrer Bedeutung vertraulich mit dem Vornamen anzusprechen, wird diese Verheißung von Nähe und Intimität nicht wirklich eingelöst. Der ganze, mit zwei Pausen auf fast drei Stunden gestreckte Abend enttäuscht in mehrfacher Hinsicht.

Intellektueller Austausch – wie will man das tänzerisch ausdrücken?

Selbst wenn man glauben würde, dass Stiefväter und Hausfreunde in Tanz schilderbare Figuren wären, Komponisten sind es eben nur sehr oberflächlich: so emotional, so labil, so leidenschaftlich. Die musiktheoretischen, musikästhetischen Ideen, die zwischen Clara und Robert Schumann diskutiert wurden, die Inspiration, der intellektuelle Austausch, die gegenseitige Unterstützung im Musikerleben, in den Karrieren, wie will man das tanzen? Auch das Ballett „Clara“ kennt keinen Diskurs, es kennt nur zweidimensional wirkende Bilder, die den Ereignisreigen von Schumanns Leben vorführen wie die gemalten Stationen von Christi Leidensweg in Kirchen.

Wenn etwa spät im Ballett Robert Schumann psychisch schwer erkrankt in einer Klinik lebt, zu der die Ärzte seiner Frau den Zugang verweigerten, sieht man sie mehrfach zwischen zwei streng blickenden Männern hochspringen, deren Arme eine Barriere bilden. Wenn die Freundschaft zwischen dem Ehepaar Schumann und Johannes Brahms geschildert werden soll, tanzen die drei lächelnd einen reichlich konventionell anmutenden Pas de trois, der keinen einzigen der 750 Briefe zwischen Clara Schumann und Brahms auch nur auszugsweise reflektiert. Wie auch?

Die hübschen Bäuche fortgeschrittener Schwangerschaften

Das aber unterscheidet doch diese Personen von anderen Verliebten. Was für einen Sinn soll es haben, bloß zu zeigen, dass bestimmte Aspekte an diesen drei musikalischen Genies ganz gewöhnliche sind – Unlust, Hausarbeit zu erledigen, sich um Geld zu kümmern, laute Kinder zu beschäftigen, oder Spaß am Sex. Das ist längst beschrieben, und es wird nicht interessanter dadurch, dass Cathy Mar­ston jetzt noch einmal versucht, tanzen zu lassen, wie schwierig es ist, Liebe, Kinder, Beruf und Ehe gleichzeitig zu leben: So wirft Robert sich auf das Podest im Bühnenboden, das die Form des Korpus eines Konzertflügels hat, und Clara tritt durch die Öffnungen einer zimmerhohen Klaviertastenwand.

Lustig wird es auch einmal an diesem langen, langen Abend. Dann trippeln die sieben Darstellerinnen der Clara in ihren schwarz-weißen, wadenlangen Kleidern auf Spitze mit Bourrées herein. Mit dieser ikonographischen, romantischen wie schwebenden, aber doch sehr raumgreifenden Fortbewegung erinnern sie an die Sylphiden oder Wilis des neunzehnten Jahrhunderts. Unter den Kleidern der sieben Claras aber wölben sich die hübschen Bäuche fortgeschrittener Schwangerschaften.

Kind um Kind wird auf die Bühne gebracht. Die sieben Claras nämlich sollen die sieben Rollen verkörpern: Wunderkind, Künstlerin, Ehefrau, Mutter, Pflegerin, Managerin, Muse. Für eine fast vierzigköpfige Ballettcompany braucht man Rollen – alle, die nicht Anwalt, Hausmädchen oder Stiefvater sein können, sind nur Konzertpublikum oder einmal auch ein Orchester, das die Arbeit mit Robert Schumann ablehnt. Musikalisch rahmen Philip Feeneys zurückhaltend moderne Eigenkompositionen eine endlose Folge von Musiken von C&R Schumann und Brahms, ohne dass die Choreographie uns zu klügeren Hörern machte, was auch eine ihrer Aufgaben gewesen wäre.

Source: faz.net