Caspar David Friedrich ist jetzt Amerikaner

Caspar David Friedrich ist jetzt Amerikaner

Er malte mit geschlossenen Augen: Im Metropolitan Museum von New York wird die größte Caspar-David-Friedrich-Ausstellung gezeigt, die es in den Vereinigten Staaten je gab. Doch was hat dieser deutsche Maler den Amerikanern überhaupt zu sagen?

Es könne ja sein – so sagte Max Hollein, der Direktor des Metropolitan Museum, in seiner launigen Rede zur Eröffnung der umfassenden Werkschau von Caspar David Friedrich, die jetzt in New York gezeigt wird –, es könne sein, dass die Deutschen noch immer nicht genug hätten von ihrem Lieblingsmaler; dann bekämen sie die Gelegenheit, sich an der Fifth Avenue alles noch einmal anschauen. Man habe sich nämlich gedacht, so Max Hollein weiter: Wenn in Deutschland der 250. Geburtstag von Caspar David Friedrich gefeiert werde, dann spreche eigentlich nichts dagegen, in Amerika seinen 251. Geburtstag zu begehen.

Tatsächlich hörte man bei der Eröffnung der Ausstellung „Caspar David Friedrich: The Soul of Nature“ beinahe nur Deutsch; die ganze Gemeinschaft von Auslandsdeutschen, Auslandsösterreichern, Auslandsschweizern schien sich in dem Kunstpalast an der Fifth Avenue versammelt zu haben. Und so konnte der Besucher beim Umherstreifen lauter alte Bekannte begrüßen: Hallo, Mönch am Meer! Grüezi, Wanderer über dem Nebelmeer! Grüß Gott, drei Engel aus Licht in der Kirchenruine! Seit drei Monaten haben wir euch nicht gesehen; und schon kommt es uns wie eine Ewigkeit vor!

Der deutsche Botschafter war auch gekommen; er meinte in seiner Rede, diese Ausstellung werde zur Festigung der deutsch-amerikanischen Freundschaft beitragen. Hier ist es erlaubt, eine zweifelnd-undiplomatische Augenbraue zu lüpfen – unseres Wissens zeichnet sich die neue amerikanische Regierung nicht durch Kunstaffinität aus.

Kein Mensch in Amerika kennt Caspar David Friedrich – auch die kleine Schar von Leuten, die sich für Malerei interessieren, sind mit seinem Werk nicht vertraut. Gerade einmal fünf Werke von ihm befinden sich im Besitz von amerikanischen Museen; man vergleiche das mit der Flut von Cézannes, van Goghs, Monets, die in den Vereinigten Staaten herumhängen und auf neugierige Augen warten. Für die Amerikaner gibt es hier also etwas zu entdecken, aber was?

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Max Hollein sagte in seiner Ansprache, der Anknüpfungspunkt könnte sein, dass die amerikanische Malerei mit Landschaften begonnen habe; und Caspar David Friedrich sei ja der deutsche Landschaftsmaler. Dem Besucher fiel bei seinem Rundgang aber vor allem auf, wie wenig diese beiden Dinge miteinander gemein haben. Irgendwann schoss ihm sogar eine ziemlich wahnwitzige These durch den Kopf: Caspar David Friedrich hat zeit seines Lebens keine einzige Landschaft gemalt. Auf besonders lustige Weise wird das vor seinem Monumentalgemälde über den Watzmann deutlich.

Caspar David Friedrich war überhaupt nie am Watzmann. Er hat ihn von Bildern anderer Maler kopiert, vergrößert und frech als Kulisse hinter einer ganz anderen Landschaft aufgestellt. Oder nehmen wir die Landschaft im Wanderer über dem Nebelmeer: Da ist die Landschaft überhaupt nur noch aus verschiedenen Quellen zusammenmontierte Staffage. Sogar dort, wo Caspar David Friedrich das malte, was er kannte, also sein Greifswald, warf er im Grunde immer nur Seelenlandschaften auf die Leinwand. Er schloss beim Malen quasi die Augen.

Bei den amerikanischen Landschaftsmalern des 19. Jahrhunderts ist das Gegenprogramm zu besichtigen: Die sperrten die Augen ganz weit auf vor lauter Verwunderung, Begeisterung, Ehrfurcht über das, was die Neue Welt ihnen zu bieten hatte. Ein paar Räume von Caspar David Friedrich entfernt hängt im Metropolitan Museum das Bild von Thomas Cole, das den Blick vom Mount Holyoke in Massachusetts festhält: Ein Gewitter hat getobt, die dunklen Wolken ziehen ab, und man sieht drunten im Tal einen Fluss, der zwischen Hügeln eine gigantische Kurve macht. Nie und nimmer hätte Cole diesen Fluss gemalt, wenn er ihn nicht selbst gesehen hätte.

Oder nehmen wir die Rocky Mountains von Albert Bierstadt: im Hintergrund majestätische Gipfel, weiter vorn stürzt Wasser von einem Felsen; im Vordergrund ganz klein Ureinwohner, Pferde, ein Zelt. Da ist nichts Liebliches oder Verträumtes; da war einer von dem Ganzen überwältigt. Denken wir auch an das berühmte Bild der Niagarafälle von Frederic Edwin Church (für das man freilich nach Washington fahren muss): Auf diesem Gemälde kann man das tausendstimmige Toben des Wasserfalls förmlich hören.

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Caspar David Friedrich gehört als Maler quasi einem anderen Phänotyp an. Und hier wird eine kleine Abschweifung ins Grundsätzliche nötig. Alle Künstler haben durch die Zeiten immer wieder versucht, dieselbe Frage zu beantworten: Was unterscheidet den Menschen von den Göttern einerseits und den Tieren andererseits? Die Antike sagte: Der Mensch unterscheidet sich von den Göttern dadurch, dass er sterblich ist wie das Vieh. Von den Tieren unterscheidet er sich hinwiederum dadurch, dass die Götter manche Menschen lieben und sie zu Heroen machen.

Die Romantiker gaben eine ganz andere Antwort. Für sie ist der Mensch das einzige Tier, das „ich“ sagen kann. Da er „ich“ sagen kann, hat er die Möglichkeit, sich über sich selbst zu erheben, verschiedene Möglichkeiten zu erblicken, sich selbst zu übertreffen, seinen Tod vorherzusehen. Die amerikanische Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts war in diesem Sinne klassisch: Sie handelt immer wieder vom Erhabenen, vom Titanischen, vor dem wir Menschen in unserer Sterblichkeit furchtbar klein aussehen. Der Romantiker Caspar David Friedrich, der zeitlich vorher kam, entdeckte einen anderen Kontinent: Er hat ein Land gemalt, das innen lag.

Heißt das, dass die Amerikaner ihn nach dieser Ausstellung – der größten, die es in den Vereinigten Staaten je gab – nicht goutieren werden? Keineswegs, es bedeutet nur, dass sie sich auf etwas ihnen recht Fremdes einstellen müssen. Am meisten haben diesem Betrachter übrigens die späten Bilder von Caspar David Friedrich gefallen, vielleicht einfach deshalb, weil er sie nicht kannte.

Da war Friedrich schon nicht mehr in Mode; er hatte einen Schlaganfall hinter sich und konnte den Pinsel nicht mehr so gut halten. Am Ende standen Zeichnungen von einem Friedhof; im Hintergrund ein paar Gräber, im Vordergrund eine Schaufel, die in einem frischen Grab steckt und auf der sich ein großer geflügelter Todesbote niedergelassen hat, ein schwarzer Rabe. Auf seine Art war das nun wieder sehr amerikanisch. Edgar Allan Poe wäre sofort die passende Schauergeschichte dazu eingefallen.

„Caspar David Friedrich: The Soul of Nature“, bis 11. Mai 2025, Metropolitan Museum, New York (Katalog 50 Dollar)

Source: welt.de

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