„Wir erleben eine Eskalation der politischen Gewalt“, sagte Nancy Faeser Anfang der Woche bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem BKA-Präsidenten. Insbesondere Akteure am rechten Rand hätten mit „völlig enthemmten Anfeindungen ein Klima der Gewalt“ geschürt, womit sie die „größte extremistische Bedrohung“ darstellen. Doch auch unter Linksextremisten seien die Hemmschwellen gesunken, befand die Bundesinnenministerin.
„Immer mehr Hass und Gewalt – wie sicher ist Deutschland?“, fragte Caren Miosga am Sonntagabend die SPD-Politikerin. Nach dem Einzelgespräch erweitere sie die Runde um den Journalisten Ronen Steinke sowie Güner Yasemin Balcı, Integrationsbeauftragte von Berlin-Neukölln.
Nach dem gewalttätigen Angriff auf den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke habe sie sich mit den Innenministern der Bundesländer zusammengesetzt und Maßnahmen ergriffen, führte Nancy Faeser aus. Schutzkonzepte seien durch die Polizei verstärkt und über alle Ressorts eine Strategie gegen Extremismus und für politische Bildung beschlossen worden. Zudem habe sie die Justiz mit ins Boot geholt.
Dass die Verfahren noch immer zu lange dauern, läge an der finanziellen Lage des Justizwesens. „Diese Politik, dass möglichst alle sparen, sparen, sparen“, tue dem „Rechtsstaat nicht gut“, der Personal für Justiz und Polizei benötige.
Miosga konfrontierte die Bundesinnenministerin auch mit dem viel beachteten Sylter Party-Video, auf dem ausländerfeindliche Parolen skandiert worden waren. Die Aufnahme sei „zutiefst menschenverachtend“, bewertete Faeser. Es sei nun wichtig, dort die Grenzen aufzuzeigen.
Zugleich weise Deutschland eine „starke Gesellschaft“ auf, die „manches ertragen und aushalten“ müsse. Der Slogan „Deutschland den Deutschen“ sei nicht strafbar, dürfe sich aber auch nicht zum, wie Miosga es nannte, „,Layla’ für Rassisten“ entwickeln. Besorgt zeigte sich die SPD-Politikerin auch darüber, dass Menschen in den sozialen Netzwerken die Party-Gäste öffentlich anprangern. Die Täterermittlung sei Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden.
Güner Yasemin Balcı beanstandete, dass mit zweierlei Maß gemessen werde. Während viele bei der rechten Hetze auf Sylt ihren „großen moralischen Kompass zeigen“, könne eine Organisation wie Muslim Interaktiv in Hamburg die Einführung eines Kalifats auf deutschem Boden fordern. Da es sich um eine Nachfolgeorganisation der verbotenen Hizb ut-Tahrir handele, könne sie „gar nicht verstehen“, weshalb diese nicht ebenfalls unter das Betätigungsverbot falle.
Ronen Steinke („Süddeutsche Zeitung“) pflichtete ihr in der Kritik an Muslim Interaktiv bei. „Das ist nicht nur eine Meinungsäußerung. Da wird Angst gemacht“, bewertete er die Demonstration vom April. Es gebe eine grundgesetzliche Grenze bei Vereinigungen, die „kämpferisch die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ attackieren.
„Ganz so einfach ist es nicht, wie hier dargestellt wird“, widersprach Faeser den beiden Mitdiskutanten. Sie vermeide es, über Vereins- oder Betätigungsverbote zu reden, bevor es juristisch gesichert sei, dass die Grenzen „eindeutig überschritten“ seien. Nach den Attacken vom 7. Oktober 2023 seien etwa Verbote der Hamas und Samidoun ausgesprochen worden. „Die waren diejenigen, die den Terror verherrlicht haben und es war nicht Muslim Interaktiv“, stellte die Innenministerin klar.
Klar gegen „Queers for Palestine“
Verboten habe sie im November aber etwa die Losung „From the river to the sea“, die sie „unerträglich“ finde. Auch gegen den „Hass“ an den Universitäten müsse strikt vorgegangen werden, betonte sie, um zugleich einzuschränken: „Wir müssen aber aufpassen, dass wir nicht gleich überziehen in einem Rechtsstaat.“
Dass sich linke Gruppierungen wie „Queers for Palestine“ mindestens indirekt mit der fundamentalistischen Hamas solidarisieren, bezeichnete Balcı als eine „Form von akademischer Wohlstandsverwahrlosung“. Unverblümt betrachten diese „unsere Freiheitsvorstellung und Vorstellung von Menschenrechten nicht als universell“, führte die Autorin aus, sondern fordern ein, „dass die Hamas ein absolutes Existenzrecht hat mit ihrer Vorstellung einer Gesellschaft“.
Noch grundsätzlicher kritisierte sie den Zustand der Universitäten, wo es die „sogenannte Meinungsfreiheit“ in vielen Bereichen „schon ganz lange nicht mehr“ gebe. Wer eine abweichende Ansicht habe, erhalte wenig Spielraum in den Debattenräumen.
Miosga sprach zudem das Gefahrenpotenzial der Fußball-Europameisterschaft an. „Die Sicherheit hat die oberste Priorität“, versprach Faeser. Seit zwei Jahren arbeite sie mit den Ländern, Polizei- und Sicherheitsbehörden, um eine sichere Durchführung zu gewährleisten. So würden die Stadien ähnlich wie zur Weltmeisterschaft 2006 „sehr stark geschützt“ vor möglichen islamistischen Anschlägen, aber auch vor Cyberangriffen oder Alltagskriminalität. Dabei würden auch Unterstützungskräfte aus dem Ausland aushelfen.
Es gebe „nie diese absolute Sicherheit“, schränkte die SPD-Politikerin ein, „aber ich finde es enorm wichtig, dass gerade wir offene Demokratien in der Lage sind, solche Großereignisse auch durchzuführen.“
Source: welt.de