Burt Bacharach: Wie einst Narziss am Quell

Burt Bacharach brachte Crooner-Musik und Soul zusammen, Perlendes und Halbtrockenes. Seine Songs prägten die romantischen Vorstellungen des 20. Jahrhunderts. Ein Nachruf

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Burt Bacharach

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Burt Bacharach bei einem Konzert in London im Jahr 2015

Wie einst Narziss am Quell – Seite 1

Gefühle
stellen wir uns als etwas Individuelles vor, als Ausdruck einer tieferen
Innerlichkeit, die nur nach außen dringt, wenn uns die Kontrolle
entgleitet. Da ist es ziemlich unromantisch, was die kulturwissenschaftliche
Emotionsforschung seit Jahren auf eine nüchterne Formel bringt: Auch Gefühle sind
Produkte, die sozial vermittelt, historisch wandelbar und kulturell spezifisch sind.
Und sich durchaus absichtsvoll herstellen lassen. Zum Beispiel wissen wir alle, welche Zutaten es braucht, damit Romantik aufkommt. Einen
Sonnenuntergang vielleicht, gedimmtes Licht oder Kerzenschein ganz bestimmt, gern auch das Prickeln von Champagner. Und natürlich Musik, die bei der
Herstellung von Emotionen in allen Kulturen eine besondere Rolle spielt.

Die
Musik von Burt Bacharach muss nicht extra gedämpft werden, sie ist schon
intrinsisch dezent. Dabei ist sie nicht nur irgendwie emotional, sondern das zu
Sound kristallisierte Klischee einer Romantik aus dem 20. Jahrhundert,
bescheiden und extravagant zugleich, perlend und manchmal halbtrocken:
Champagner Rosé für die Ohren. Wie geschaffen, um dabei einen Heiratsantrag zu
machen, sich wenigstens zu verloben, vielleicht nur mit dieser Musik selbst,
zumindest für eine Weile.

Selten
kam all dies so pointiert zum Ausdruck wie durch Bacharachs Cameo-Auftritte in
allen drei Teilen von Mike Myers‘ Austin
Powers
, einer Kinopersiflage
auf die Sechzigerjahre. In einer dieser Szenen sitzt Myers im
Flower-Power-Anzug vor schwarzem Nachthimmel Elizabeth Hurley gegenüber,
entkorkt den Champagner und sagt mit breitem Grinsen frontal in die Kamera: Ladies
and gentlemen, Mister Burt Bacharach!
Am Piano erscheint, zwei Meter entfernt,
der leibhaftige Burt, natürlich mit black
tie
, als Mann am Klavier ein Zitat seiner selbst, und haut nicht in die
Tasten, sondern streichelt sie, sanft, aber eindringlich. „What the world
needs now/Is love, sweet love.
“ Erst der Kameraschwenk offenbart die
freiwillige Komik dieser Klischeeromantik in vollem Ausmaß: Alle drei sitzen
auf dem offenen Deck eines Londoner Doppeldeckerbusses, während im Hintergrund
die Leuchtreklamen von Las Vegas als psychedelisch-buntes Farbfeuerwerk
explodieren. So selbstironisch können nicht alle auf sich zurückblicken.

Myers
treibt genau jene Bilder auf die Spitze und darüber hinaus jene, die wir mit dem
1928 in der Musikstadt Kansas City geborenen Burt Freeman Bacharach
assoziieren. Von seinen Plattencovern blicken uns Frauen mit schwarz getuschten
Wimpern durch Wasserschleier bedeutungsschwanger in die Augen oder schlagen kokett
die kurzberockten Beine übereinander. Oder der Musiker selbst lehnt sein Kinn
in rodinscher Denkerpose in die Hand, den Ellbogen aufs Klavier gestützt, und spiegelt
sich effektvoll beleuchtet im Schellack wie einst Narziss im Quell: die noch
streng gegenderte Bildsprache einer verklingenden Epoche. Dabei täte man Bacharachs
Musik Unrecht, sie unter dem Label Easy
Listening abzutun, nur weil sie Smoking trägt.

Zwar
ist sie die Inkarnation jenes Genres, das auch als Fahrstuhlmusik geschmäht
wird: aufstiegsorientiert und bequem. Doch ihr Schöpfer war ein voll ausgebildeter
Musiker, der weit über das Genre hinaus sein Fach beherrschte, als Arrangeur,
Komponist, Pianist und Produzent. Der Sohn aus jüdischer Familie hatte Musik an
der kanadischen McGill-Universität studiert, war bei dem französischen
Filmkomponisten Darius Milhaud in die Notenlehre gegangen und hatte nebenbei den Größen des Bebops auf die Finger geschaut. Als musikhistorische Inspirationsquelle
nannte er einmal Maurice Ravel. Allerdings klingen seine mal sparsam mit
Holzbläsern und mal beinahe schwülstig mit dem ganz großen Blechbesteck
orchestrierten, oft von südamerikanischen Rhythmusinstrumenten dynamisierten
Klangwelten, die knapp zwei Dutzend Filmmusiken bereichern, meist eher nach
Hollywood. Später auch nach Las Vegas, der letzten Station für viele große
Crooner.

Obwohl
der stets korrekt gekleidete Entertainer auch als Abziehbild des weißen Mid-Century-Mannes aus der oberen Mittelschicht
figuriert, so war er es doch, der die Schwarze Stimme von Dionne Warwick aus
dem Background-Chor der Drifters ans Solomikrofon holte. Die dieser Stimme
eingeschriebene schwarze Musiktradition verleiht der glänzenden
Oberfläche von Bacharachs Produktionen jene historische Tiefe, die man aus dem oft
so melancholisch klingenden Motown-Kosmos kennt. Beide überwanden so gemeinsam die
klangliche color line, die lange Zeit
das weiß codierte Crooner-Genre
vom Schwarzen Soul und Blues trennte. Auf dem Label Scepter drangen Bacharach
und Warwick gemeinsam immer wieder in die oberen Ränge der Charts vor, mit
Singles wie Don’t Make Me Over (1961)
oder Walk On By (1968). Allerdings
taugten die meisten Stücke Bacharachs besser für Langspielplatten, deren Vinyl auf
Cocktailpartys im Hintergrund in Dauerschleife knisterte wie ein künstliches
Kaminfeuer.

War es „The Look of Love“?

Bacharach im Jahr 1964

Viele
seiner Kompositionen entstanden gemeinsam mit dem Texter Hal David, der auch für die
Jazz-Legenden Sarah Vaughan und Louis Armstrong (im Soundtrack des
James-Bond-Filmes Im Geheimdienst Ihrer
Majestät
) schrieb. Auch mit den Soul-Sängerinnen Gladys Knight und Patti
LaBelle kooperierte er, mit Stevie Wonder und Elton John. Hinzu gesellten sich
Songs wie Raindrops Keep Fallin‘ On my
Head
(1969), die heute mit Recht als große
US-amerikanische Standards gelten. Auch solch avancierte Stimmen wie die
von Dusty Springfield, Barbra Streisand und Connie Francis, jene der Beatles und
zuletzt der White Stripes legten sich auf Bacharachs weiches, stets federndes Klangbett.

Der
große Hit What the World Needs Now Is
Love
(1965) ist klanglich zwar auf einem ganz anderen Kontinent zu Hause als
die zerhackten Störgeräusche, die jüngere Protestmusiker wie Jimi Hendrix nur
wenige Jahre später ihren Verstärkern entlockten. Doch verschaffte Bacharachs kurz
nach Eintritt der USA in den Vietnamkrieg geschriebener Song dem Wunsch nach
Weltfrieden weithin Gehör, allerdings auf eine so ohrenschmeichelnde Weise,
dass er als Protest kaum aufgefallen sein dürfte.

Die
politisierten Siebzigerjahre waren denn auch nicht Bacharachs Zeit. Er
verbrachte sie mit Rechtsstreitigkeiten, beruflichen wie privaten Zerwürfnissen.
Aus vier Ehen, unter anderem mit der Musikerin Carole Bayer, gingen vier Kinder
hervor. Daneben frönte er der Pferdezucht – auch lebensweltlich weit entfernt
von der widerspenstigen counter culture des „entfesselten Jahrzehnts“, wie es der Autor Jens Balzer in einem Buch
über die Siebziger nannte. Anfang der Achtzigerjahre gelang Bacharach mit
gleich mehreren Nummer-eins-Hits, darunter That’s
What Friends Are For
(1981), das ganz große Comeback; in den Neunzigern
verließ er sich wieder stilsicher auf alte Weggefährtinnen wie Dionne Warwick.

In
Deutschland hatte der Wahlkalifornier erstmals auf dem Höhepunkt des Kalten
Kriegs, kurz vor dem Mauerbau, gastiert, als Begleitmusiker von keiner
Geringeren als Marlene Dietrich. Als er im Sommer 2018 nach sehr langer Zeit
erstmals wieder hierzulande spielte, war er sichtlich bewegt von der Hingabe,
mit der Fans unterschiedlichster Lebensalter ihm im ausverkauften Berliner
Admiralspalast nicht nur Standing Ovations boten, sondern am Ende des Abends auch
textsicher über ganze Songs hinweg seine bereits brüchige Stimme unterstützten.
Die hatte noch nie besonders schön geklungen, krächzte nun aber mehr, als dass sie
sang. Lächelnd verlegte sich der betagte Star darauf, sein Publikum zu
dirigieren.

Kaum
jemand im Saal aber dürfte den suchenden Blick verstanden haben, den Bacharach
ins Publikum schickte, als er verschmitzt fragte, ob es denn eigentlich das
Hilton noch gebe, in dem er vor Jahrzehnten bei seinem ersten Berlin-Besuch abgestiegen
sei. Und dass er dort eine sehr schöne Zeit verbracht habe, wie er nach einer
kurzen Pause bedeutsam hinzufügte. Aufgefangen wurde der Blick von der Tochter einer
ehemaligen Kellnerin des Hilton, die um die Geschichte wusste, die Bacharach
eine Zeit lang mit Deutschland verband und die auf so altmodische Weise
romantisch ist wie ein Bacharach-Song – und deshalb hierhergehört. Die 85
Jahre alte Stimme der Mutter, einer ehemaligen Kollegin jener Kellnerin, der
Bacharachs suchender Blick gegolten haben dürfte, wird ganz jung, als sie nun am
Telefon davon erzählt.

Bacharach im Jahr 2018 im Berliner Admiralspalast

Wie
sie damals gemeinsam mit ihrer Freundin das Privileg genoss, im schick
designten Café eines der ersten
US-amerikanischen Hotels auf deutschem Boden zu kellnern, wo Weltstars wie Yma
Sumac und eben auch Burt Bacharach ein und aus gingen. Wie ihre „bildhübsche“
Freundin, stets vor den Fotografen auf der Flucht, bei dem eleganten Komponisten wider alle besseren Vorsätze schwach wurde. Wie sie lange nach
seiner Abreise immer wieder ausgedehnte R-Gespräche aus einer Sprechzelle am Bahnhof
Zoo mit ihm führte. Wie schließlich prominente Hotelgäste für „das junge
Ding“ bürgten, damit es Bacharach in die USA folgen konnte, für eine Zeit lang jedenfalls. Wo sie erst im New Yorker Waldorf Astoria kellnerte, dann studierte
und schließlich zur preisgekrönten Philologin wurde, die sich bleibende Verdienste
um die Entzifferung der deutschen Klassik erwarb – ästhetisch nun aber weit
entfernt vom US-Entertainment à la Bacharach.

Bacharachs
suchender Blick – war es The Look of Love
(1967)? – konnte sie in den Berliner Rängen nicht mehr finden, denn zur
Zeit seines Konzerts ging es ihr schon nicht mehr gut – die Dame, deren Name
hier verschwiegen sei, starb im März vergangenen Jahres. Am Mittwoch nun folgte
Burt Bacharach aus Los Angeles seiner deutschen Romanze nach, mit der den zuletzt
94-Jährigen einige jener emotionalen Momente verbunden haben mochten, wie sie
in seiner Musik so oft kondensieren. So schmeichelnd und diskret sie sind,
bleiben etliche von ihnen doch unauslöschlich in Erinnerung.

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