Sven Weizenegger war in der Hackerabwehr bei der Telekom
beschäftigt, dann Gründer und Investor. Seit Juni 2020 leitet er den Cyber
Innovation Hub der Bundeswehr, den er als Brücke zwischen Truppe und Start-ups
bezeichnet.
ZEIT ONLINE: Vor drei Jahren rief Bundeskanzler Olaf Scholz
die Zeitenwende aus und der Bundestag erließ ein Sondervermögen für die Bundeswehr
über 100 Milliarden Euro. Sie hat dennoch noch nicht einmal alle Waffen ersetzt
bekommen, die sie an die Ukraine abgegeben hat. Warum dauert der Einkauf so
lange?
Sven Weizenegger: Die Regeln zum Einkauf bei der
Bundeswehr sind in Zeiten des tiefen Friedens geschrieben worden und
funktionieren nicht mehr in einer digitalen Zeit, in der uns wieder ein Angriff
droht. Die Herausforderungen haben sich verändert, wir stehen im hybriden
Konflikt mit Russland. Deswegen müssen wir die Beschaffung auch dringend
beschleunigen.
ZEIT ONLINE: In wichtigen Rüstungsbereichen klaffen
bei der Bundeswehr gewaltige Lücken: Sie verfügt über viel zu wenige Drohnen,
hat etwa keinen einzigen bewaffneten Mini-Kamikazeflieger, von denen die
Ukraine Tausende im Monat einsetzt. Woran liegt das?
Weizenegger: Wir haben auf der rein technologischen
Ebene durchaus Vergleichbares. Wir schaffen es nur nicht, das alles rechtzeitig
in die Truppe einzuführen. Bei uns müssen Unternehmen erst einmal durch das sogenannte
Tal des Todes. Diese Metapher bezeichnet die Zeit, die von dem Entschluss, eine
Technologie einzuführen, bis zur tatsächlichen Nutzung in der Truppe vergeht.
Das Tal des Todes besteht aus aufwendigen Ausschreibungsverfahren und komplexen,
teilweise Jahre dauernden Verhandlungen.
ZEIT ONLINE: Was bedeutet dieser Gang durchs Tal des Todes für Start-ups?
Weizenegger: Das zehrt nicht nur an Nerven und
Kräften. Gerade wenn Start-ups diese neuen Technologien entwickeln, ist gar
nicht sicher, dass sie solche Verfahren überhaupt finanziell durchhalten. Außerdem
ist die Technik unter Umständen schon wieder veraltet, wenn es drei Jahre
dauert, bis eine Drohne auf dem Kasernenhof landet. Denn junge, innovative
Unternehmen im Bereich KI und Drohnen verbessern ihre Technik im
Monatsrhythmus. In der Ukraine sehen wir bei unbemannten Systemen Innovationszyklen
von nur drei Monaten. Geschwindigkeit ist für die Ukrainer eine Frage des
Überlebens.
Alle Regeln und Gesetze gehören auf den Prüfstand.
ZEIT ONLINE: Was muss sich konkret in Deutschland bei
der Beschaffung ändern?
Weizenegger: Alle Regeln und Gesetze gehören auf den
Prüfstand. Im Moment muss jedes Projekt, das mehr als 25 Millionen Euro kosten
wird, vom Haushaltsausschuss genehmigt werden. Dafür muss das zuständige
Beschaffungsamt eine sogenannte 25-Millionen-Vorlage erstellen, dann prüfen die
Haushälter das Ganze, haben oft noch Änderungswünsche. Erst danach kann die
Behörde ausschreiben und testen. All das dauert einfach. In Friedenszeiten ist
das für die Beteiligten vielleicht ärgerlich. Aktuell, mit Russland als
Sicherheitsbedrohung, können wir uns das nicht leisten: Die Dienste warnen, das
Regime in Moskau sei in wenigen Jahren bereit für einen Angriff auf die Nato. Es
geht darum, dass wir unsere gesamtstaatliche Resilienz stärken und uns für den
Verteidigungsfall effektiv rüsten. Da passt das aktuelle Verfahren der 25-Millionen-Euro-Vorlage nicht mehr richtig.
ZEIT ONLINE: Das Hoheitsrecht über den Haushalt liegt
beim Bundestag. Dessen Abgeordnete werden auf ihr Sonderrecht bei der Rüstungsbeschaffung
sicherlich nicht verzichten.
Weizenegger: Der Haushaltsausschuss prüft ja auch nicht,
welchen Hochgeschwindigkeitszug die Bahn bekommt, oder welchen Wasserwerfer die
Bundespolizei. Und über den Etat des Bundesverteidigungsministeriums und damit
auch über die Mittel für die Beschaffung entscheiden die Parlamentarier
ohnehin. Es ist Zeit, dass die Politik der Bundeswehr mehr Vertrauen schenkt.
Es geht nicht, auf der einen Seite mehr Geschwindigkeit bei der Beschaffung zu
fordern, auf der anderen aber nicht bereit zu sein, Regelungen und Vorschriften
anzupassen und zu streichen.
ZEIT ONLINE: Der Cyber Innovation Hub soll unter anderem für mehr Geschwindigkeit bei der Einführung von Zukunftstechnik in der
Truppe führen. Wie läuft das in den starren Strukturen der Bundeswehr?
Weizenegger: Wir haben in den vergangenen Jahren
bewiesen, wie wichtig es ist, innovative Projekte in die Truppe zu bringen –
etwa Sonic AI, ein KI-System, das verschiedene Drohnentypen an ihrer
akustischen Signatur erkennt. Oder eine Abfangdrohne, die zuverlässig und
günstig unbemannte Systeme vom Himmel holt. Ein weiteres Beispiel: Wir haben
aus dem Krieg in der Ukraine gelernt, dass Landminen wieder ein großes Thema
sind, und haben in nur sechs Monaten eine Lösung entwickelt mit Minesweeper,
einer KI-gestützten Drohne, die das Minenfeld ausmisst und die einzelnen
Sprengladungen zentimetergenau aufspürt. Und wir haben noch viele weitere
interessante Projekte in der Pipeline.