Bundeswehr-Kritik vor Gericht: „Ich würde lieber meinen Musterungsbrief verbrennen“

Der Bundestag stimmt am Freitag über das neue Wehrdienstgesetz ab. Ein Schulstreik-Bündnis organisiert dagegen Proteste in mehr als 90 Städten. Im Kleinen zeigt sich der zuspitzende Konflikt im Fall von Bentik, einem 18-jährigen ehemaligen Schüler aus Freiburg. Wegen zwei kritischer Memes zur Bundeswehr droht ihm im Dezember ein Gerichtsprozess. Der Freitag sprach mit Bentik über absurde Ermittlungen, die Kraft der Solidarität und die Bedeutung des anstehenden Schülerstreiks.

der Freitag: Bentik, wegen zwei kritischer Memes hat ein Jugendoffizier der Bundeswehr Anzeige gegen dich gestellt, die Staatsanwaltschaft erhob Anklage. Ist schon klar, wann es einen Prozess geben wird?

Bentik: Ja! Der Prozesstermin steht jetzt: Am 18. Dezember um 9.15 Uhr wird das Verfahren vor Gericht gebracht. Der Ort folgt noch über Instagram, aber es gibt auf jeden Fall schon Pläne für eine Solidaritätskundgebung, welche von der Gruppe „Internationale Jugend“ und einem Solikomitee organisiert wird.

Dir wird vorgeworfen, den Jugendoffizier beleidigt zu haben. Ein Meme zeigt ihn neben der Aufschrift An der Ostfront sterben?“, ein anderes im Zusammenhang mit einem Neonazi, der den Spitznamen „SS-Siggi“ trägt. Wurden aus deiner Sicht damit Persönlichkeitsrechte verletzt?

Nein, ich habe immer wieder betont, dass es mir mit den Memes nicht darum ging, ihn als Person anzugreifen. Das Ziel war, meine Kritik an der Bundeswehr, ihrem Problem mit Nazistrukturen und den Aufrüstungsplänen zu äußern.

Wie hast du die Ermittlungen gegen dich erlebt?

Naja, ich finde es halt schon absolut übertrieben, wegen eines Memes so einen Aufstand zu machen. Es ist absurd, dass da so Sachen versucht wurden, wie mein Handy zu tracken, dass ich manchmal fast darüber lachen muss. Im Kern ist es aber einfach ziemlich scheiße. Und das ist ja auch kein Einzelfall: Wir sehen ja immer wieder, dass unterschiedlichste Proteste gegen die Wehrpflicht oder Aufrüstung kriminalisiert und klein gehalten werden.

In den vergangenen Tagen gab es Solidaritätsaktionen für dich, auch Geld für deine Prozesskosten wurde gesammelt. Wie hast du diese Unterstützung erlebt?

Wir waren natürlich sehr überrascht davon, wie groß dann doch die Solidaritätsbekundungen waren und wie schnell wir unser Spendenziel erreicht haben – es dauerte nur drei Tage. Insgesamt hat das uns Jugendlichen von der „Internationalen Jugend“, dem Solidaritätskomitee und mir selber sehr viel Mut und Motivation gegeben und unseren Rücken gestärkt.

Wie geht es dir persönlich mit der Situation?

Ich fühle mich immer wieder unter Druck gesetzt, gerade weil sich die Berichterstattung über den Fall so verselbstständigt hat. Gleichzeitig weiß ich, dass ich mich auf meine Freund:innen und Genoss:innen, mit denen ich zusammen politisch aktiv bin, verlassen kann. Ich weiß, dass sie hinter mir stehen und ich damit nicht alleine bin. Das gibt mir sehr viel Kraft.

Rückblickend, auch mit Blick in die Akten: Wie blickst du auf das Vorgehen der Schulleitung?

Es ist natürlich schade und irgendwie auch erschreckend, dass meine Schule und der Direktor sich so stark hinter die Bundeswehr gestellt haben. Gleichzeitig, da muss ich auch ehrlich sein, hätte es mich doch sehr überrascht, wenn es anders verlaufen wäre. Mein Direktor und auch einzelne Lehrkräfte haben mich schon vor dieser ganzen Meme-Sache immer wieder versucht, einzuschüchtern, wenn ich meine Meinung geäußert habe. Ich wurde beispielsweise direkt aus einer Arbeitsgruppe von dem leitenden Lehrer herausgeschmissen, als ich vorschlug, einmal über den Genozid in Palästina zu sprechen.

Wie haben deine Mitschüler:innen generell reagiert?

Von meinen Mitschüler:innen habe ich vereinzelt Unterstützung erhalten. Man muss aber schon sagen, dass einem Großteil verschiedene politische Themen sehr gleichgültig waren und sind.

Was glaubst du, warum der Jugendoffizier letztlich so stark reagiert hat?

Ich denke schon, dass das sehr einschüchternd wirken kann auf andere Menschen – genau das ist ja auch das Ziel mit solchen Maßnahmen. Zugleich ist das auch der Grund, warum wir uns dafür entschieden haben, dieses Verfahren an die Öffentlichkeit zu bringen: um zu zeigen, dass wir sowas zusammen durchstehen können. Und vor allem, um die Legitimität von antimilitaristischem Protest zu unterstreichen.

Wie müsste eine Schule aussehen, in der Bildung wirklich kritisch, plural und frei von militärischer Einflussnahme stattfinden kann?

Eine Bildung, in der die Schüler:innen den Unterricht wirklich mitprägen können, ist erst in einer anderen Gesellschaft möglich: Wo nicht der Profit und der Reichtum einer kleinen Minderheit den Ton angibt, sondern die Wünsche und Bedürfnisse der Mehrheit. Auch mit typischen Lehrmethoden sollte aber gebrochen werden.

Was meinst du?

Die Vermittlung von reinem Buchwissen und bloßes Auswendiglernen könnte ersetzt werden, durch im realen Leben anwendbares Wissen. Auch die strikte Trennung zwischen Lernenden und Lehrenden sollte aufgehoben werden. Anstelle von einem bevormundenden Frontalunterricht, sollten wir eine gemeinschaftliche und solidarische Atmosphäre entwickeln, in welcher alle voneinander lernen können.

Die Bundesregierung hat jüngst einen neuen Wehrdienst beschlossen. Wie stehst du dazu?

Die Einführung des neuen Wehrdienstes ist ein größerer qualitativer Schritt in den Aufrüstungsplänen und ein sehr direkter Schritt hin zu einer Wehrpflicht – wie ja auch in dem Gesetz sehr konkret festgehalten wird. Wenn sich nicht genug Freiwillige melden, muss Zwang her. Entgegen der Begründung, dass man für den Frieden weiter aufrüsten müsste, würde ich sagen, dass dies sehr direkte Kriegsvorbereitungen sind. Und wer muss dafür herhalten? Wir Jugendlichen. Aber nicht nur – die Bevölkerung muss die Militarisierungspläne insgesamt ausbaden, indem beispielsweise Gelder für Soziales immer weiter gekürzt werden. Und das für Konflikte, wo der Großteil von uns nie entschieden hat, sie zu führen.

Was würdest du tun, wenn du selbst zur Musterung musst?

Bevor es so weit kommt, dass ich mit einer Waffe lerne, auf Leute zu zielen, die in ihren Ländern wahrscheinlich einer ähnlichen Kriegspropaganda ausgeliefert sind, würde ich eher meinen Musterungsbrief verbrennen.

Für den 5. Dezember ruft ein Bündnis zu einem bundesweiten Schüler:innenstreik gegen die Wehrpflicht auf. Unterstützt du den Protest?

Ja auf jeden Fall, ich finde die Initiative mega. Auch als „Internationale Jugend“ sind wir an dem Bündnis beteiligt und werden an diesem Tag streiken und auf die Straße gehen. Wir wollen das neue Gesetz, das mit unserer Zukunft spielt, nicht unbeantwortet lassen.

Was erhoffst du dir von diesem Tag?

Ich denke, dass es für uns Schüler:innen und Jugendliche wichtig ist, zu merken, was wir eigentlich für eine Schlagkraft entwickeln können. Gerade, wenn wir uns zusammenschließen, organisieren und für eine Welt kämpfen, die in unserem Interesse handelt. Dementsprechend hoffe ich, dass der Tag natürlich ein Erfolg wird. Ebenso hoffe ich, dass wir es schaffen, auf der Kraft und Dynamik aufzubauen und es nicht bei einem Tag bleibt. Der Streik soll insgesamt der antimilitaristischen Bewegung neue Stärke geben.

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Bentik ist 18 Jahre alt und ehemaliger Schüler des Angell-Gymnasiums in Freiburg. Politisch aktiv ist er in der Gruppe „Internationale Jugend Freiburg“. Sein voller Name ist der Redaktion bekannt.

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