Mit umgehängtem Sturmgewehr läuft die junge Soldatin Josephine auf eine Frau zu, die gerade eine Stacheldrahtbarriere passiert hat. „Mitkommen“, sagt sie und zeigt energisch auf einen Tisch vor sich. Ein Kamerad überprüft die Personalien. Es ist kühl, die Soldaten atmen kleine Nebeblschwaden aus. Ihre Kampfstiefel hinterlassen
tiefe Abdrücke im aufgeweichten Boden. Es hat viel geregnet in den
vergangenen Tagen. Josephine ist heute für die Absicherung des Areals zuständig. Ihr Auftrag: niemand darf unbeaufsichtigt den Sicherheitsbereich betreten. Josephine erledigt Aufghabe gewissenhaft, der Ausbilder ist zufrieden.
Josephine, 18 Jahre alt, absolviert ihren Freiwilligen Wehrdienst (FWD) bei der Panzerlehrbrigade 9 „Niedersachsen“ in Munster. Hier, mitten im niedersächsischen Heidekreis, befindet sich der deutschlandweit viertgrößte Standort der Bundeswehr. Die junge Frau aus Lübeck wusste nicht genau, was sie nach der Schule mit ihrem Leben anstellen sollte. Sie sagte sich: Warum eigentlich nicht zur Bundeswehr?
Im Sommer 2025 hat sie sich dem Charlie-Zug der 5. Kompanie des Versorgungsbataillons 141 in Munster angeschlossen. Unter den noch vorhandenen 16 Rekruten ist sie die einzige Frau, dazu die Kleinste und Schmalste. Sie
hat gelernt, zu schießen, verwundete Soldaten zu versorgen,
Schützenlöcher zu graben, gegnerische Panzer zu bekämpfen. DIE ZEIT hat
Josephine und ihren Kameraden Robin über mehrere Monate durch die
Basisausbildung begleitet und mehrfach getroffen. Ihre Nachnamen sollen ebenso wenig genannt werden wie zu viele private
Details. Seitdem Russland die Ukraine überfallen hat und gegen die Nato
mit Drohnen und Sabotage vorgeht, schützt die Bundeswehr die Identitäten
ihrer Angehörigen stärker.
Die Zahl der Wehrdienstleistenden soll sich mehr als verdoppeln
Josephine ist eine von 12.286 Soldatinnen und Soldaten, die zwischen sechs und 23 Monaten als freiwillige Wehrdienstleistende in die Truppe hineinschnuppern. Wenn es nach Verteidigungsminister Boris Pistorius geht, wird diese Zahl deutlich steigen. Ab 2029 sollen jährlich 30.000 Freiwillige ausgebildet werden. Sollte es zu wenige Interessenten geben, dann soll es einen verpflichtenden Wehrdienst geben.
Zunächst versuchte Pistorius, junge Leute mit Geld zu ködern. Er hat den monatlichen Sold
auf 2.500 Euro angehoben. Josephine allerdings profitiert davon nicht
mehr. Das Gehalt hat bei ihrer Entscheidung, dem Land wenigstens für kurze Zeit als Soldatin zu dienen, ohnehin keine Rolle gespielt. Für sie ging es auch darum, eine familiäre Tradition fortzuführen. Viele Verwandte von ihr sind oder waren bei der Bundeswehr, auch Cousins sind bei der Truppe gelandet. Josephine wollte endlich mitreden können.
Es ist ein kalter Wintertag, Ende November. Personenkontrolle steht auf dem Plan, als Rollenspiel. Josephine soll eine Frau abtasten, die in den Stützpunkt will. „Haben Sie etwas in den Taschen, an dem ich mich verletzen kann?“, fragt die Rekrutin. Als die Besucherin den Kopf schüttelt, greift sie vorsichtig in deren Hosentaschen und zieht ein eingeklapptes Taschenmesser heraus. Ein Ausbilder nickt erst zufrieden, dann stört ihn aber doch etwas: Die Rekruten seien zu zaghaft. „So nicht“, ruft ein Ausbilder. „So finden Sie nichts“. Die Ausbilder sind kurz angebunden, aber freundlich. Abwertende Kommentare, wie sie lange typisch für die Grundausbildung waren, sind nicht zu hören.