Cem Özdemir hat kürzlich mit der Bundeswaldinventur die Performance des deutschen Waldes getadelt. Der kränkelt nämlich und stößt mehr Kohlenstoff aus als er aufnimmt. Welch eine Unverschämtheit
Poetisch-metaphorisch-dystopisch hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) jüngst verkündet: „Das grüne Herz unseres Landes gerät aus dem Takt.“ Er meinte damit nicht seine Partei (bei der man angesichts des aktuellen Umfragetiefs mindestens von Herzrhythmusstörungen sprechen kann), sondern den deutschen Wald. Der war seiner vierten Inventur unterzogen worden, Özdemir stellte die Resultate vor – Spoiler: nicht so dolle –, als handle es sich bei diesem Wald um einen leistungsschwachen Subunternehmer des großen Joint Ventures „Klimarettung“, nicht um lebendige Bäume, Moose, Farne, Pilze, Häschen, Rehe und all das.
„Der deutsche Wald hilft uns nicht mehr in dem Maße, wie wir es bislang gewohnt waren, bei der Erreichung unserer Klimaziele“, tadelte der Minister die Underperformance des Waldes. Klar, da müssen auch mal klare Worte her, das weiß jede gute Führungsperson. Man kann sagen, der deutsche Wald hat es ein bisschen schleifen lassen in den vergangenen Jahren, dafür bekommt er nun – zu Recht, keine Frage – öffentliches Shaming, das kann ja auch anspornend wirken.
Die Inventur besteht in allererster Linie aus Zahlen und fügt so die Bäume, Farne, Moose, Pilze, Häschen, Rehe und all das fachgerecht in das marktwirtschaftliche Raster ein. 15.000 Hektar Zuwachs, 11,5 Hektar Gesamtfläche, darauf 100,4 Milliarden Bäume größer als 20 Zentimeter mit einem „Holzvorrat“ von rund 3,6 Milliarden Kubikmetern. Und da muss man auch mal Worte des Lobes sprechen: „Damit ist Deutschland immer noch das vorratsreichste Land Europas in absoluten Zahlen gesehen“, sagte Thomas Riedel, der Leiter der Bundeswaldinventur vom Thünen-Institut, und man stellt sich unweigerlich eine Lagerhalle mit normgerechten und durchnummerierten Holzlatten in deckenhohen Regalen vor.
So, jetzt kommt’s aber: Es gibt Vorratsverlust. Und das bedeutet, dass im deutschen Wald seit der letzten Kohlenstoffinventur 2017 – das ist so eine Art Mini-Zwischeninventur – der Kohlenstoffvorrat um 41,5 Millionen Tonnen abgenommen hat. In einem animierten Video zur Inventur fliegen hoffnungsfroh kleine orangene CO2-Zeichen in grüne Bäume. Aber die Richtung ist falsch, sie müssten rausfliegen, denn der deutsche Wald ist damit von einer Kohlenstoffsenke zu einer Kohlenstoffquelle geworden. Es geht mehr CO2 raus als rein! Dem eitlen deutschen Wald kann man da ruhig mal drohen, dass wir uns sonst eben andere (und billigere!) Subunternehmer im Ausland suchen. Und auf keinen Fall den Führungsstil ändern, daran liegt es sicher nicht.
Forst und Wüste
Svenja Beller ist freie Journalistin und Buchautorin. Für den Freitag schreibt sie die Kolumne „Forst und Wüste“ über Klimapolitik, Umweltschutz und was sonst noch alles schief geht. Seit einem Jahr berichtet sie im Team „Blue New Deal“ darüber, wie der Ozean noch zu retten ist. Im Sommer erscheint der dazugehörige Podcast