Er ist ein Liberale-Mann seit dieser Zeit seiner Jugendzeit, gleichwohl mit einem Blick zu Gunsten von grüne Themen: Michael Theurer, Jahrgang 1967, hat sich schon mit 16 Jahren für die Liberalen interessiert und in seiner Klasse für sie geworben. Die Gründung der Grünen beobachtete er ebenfalls genau, aber die Umweltverschmutzung nur auf den Kapitalismus zurückzuführen, wie er die damalige Argumentation wahrgenommen hat, schien ihm zu einseitig. Schließlich gab es auch in den Ländern des „realen Sozialismus“ Waldsterben und Umweltschmutz, nach seiner Wahrnehmung sogar schlimmer als in den kapitalistischen Ländern. Den „grünen“ Blick hat er behalten. Bis zum Antritt seines Amtes als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr und Digitales war der über die Liste gewählte Abgeordnete von Karlsruhe-Stadt im Rat des Thinktanks „Agora Energiewende“.
Um bei den Jungen Liberalen aktiv werden zu können, musste er mit seinen Freundinnen und Freunden der letzten Babyboomer-Jahrgänge erst mal einen Ortsverband in seiner Heimatstadt Horb am Neckar gründen. Mit viel Erfolg: Mit 23 Jahren saß der VWL-Student im Stadtrat, mit 27 Jahren wurde er Oberbürgermeister in Horb, wohl auch, weil viele in der Bevölkerung der bisher regierenden CDU und ihrer alten Repräsentanten überdrüssig waren, wie er Alice Greschkow in der Reihe „bwg sitzungswoche Sorechstunde“ in der Berliner Ständigen Vertretung (StäV) berichtete.
Schwer getan hat er sich als junge Mensch in der FDP mit den von ihm bewunderten Hans-Dietrich Genscher, Otto Graf Lambsdorff und Gerhart Rudolf Baum bei der Nato-Nachrüstung. Da hat auch er in der Menschenkette um den Raketenstandort Mutlangen gestanden. Er könne verstehen, dass viele Menschen nicht in eine Partei eintreten wollten, weil sie glaubten, dass ihnen beim Denken dann Zügel angelegt würden, aber sein Beispiel zeige, dass man auch mal gegen den Strom schwimmen könne und trotzdem aktiv sein.
Obwohl Mitglied bei „Pax Christi“ hat er es „als politisch tätiger Mensch“ als Pflicht angesehen, den Dienst bei der Bundeswehr zu leisten und nicht auf den Zivildienst auszuweichen. Dort habe er viel für seine spätere Tätigkeit als Oberbürgermeister gelernt, meinte Theurer. Eine seiner ersten Handlungen als OB war 1995 eine Gedenkfeier zum Kriegsende, zu der auch nach Palästina ausgewanderte Juden aus der Gemeinde Rexingen bei Horb, einer einst sehr großen jüdischen Gemeinschaft, eingeladen wurden. Die Besucher aus Israel kommentierten das Ereignis, das endlich „die Schweigespirale der überlebenden Opfer und Täter“, so Theurer, aufbrach: „Wir haben Jahrzehnte auf diese Einladung gewartet.“
Die Politik hat er auf allen Ebenen durchpflügt. Nach der Kommunalpolitik war er von 2001 bis 2009 im baden-württembergischen Landtag, dann bis 2017 im Europaparlament. Europa ist ihm ein besonderes Anliegen und er ist den Gründerväter und -müttern der EU dankbar, dass sie erkannt haben, dass Grenzen keine Rollen spielen müssen, wenn sie offen sind. Als Nachbar der Region Elsaß hat es ihm immer zu denken gegeben, dass sich die Menschen dort über Jahrhunderte „die Schädel eingeschlagen haben um nix und wieder nix“.
Nach dem Europaparlament wechselte Theurer, der seit 2013 auch FDP-Landesvorsitzender ist, in den Bundestag und ist dort seit 2022 auch Beauftragter für den Schienenverkehr. Sicher ein sehr stressiges Amt, kommentierte Moderatorin Greschkow, mit vielen Streiks und Konflikten.
Die Situation sei „wahnsinnig angespannt“, stimmte Theuer zu. Die Regierung habe bei Amtsantritt eine in den Hauptkorridoren völlig überlastete, heruntergefahrene, teils marode Bahn übernommen. Aus 890 Verbesserungsvorschlägen habe sich das Ministerium unter Volker Wissing für 72 entschieden, darunter die Sanierung der Hauptkorridore, weshalb es auch „erst schlimmer werde, bevor es besser werden kann“. Er verstehe allerdings nicht, dass in Medien vom „Sparkurs bei der Bahn“ berichtet werde, schließlich habe das Ministerium für die Sanierung der Strecken 27,2 Milliarden Euro zusätzlich im Haushalt herausgeholt.
Von einer Verschiebung des Deutschlandtakts auf 2070 habe er nie gesprochen, sondern den Journalist*innen nur empfohlen, selbst nachzurechnen, wann das Schienennetz generalsaniert und der Deutschlandtakt überall eingeführt sei, wenn es mit Geld und Baukapazität so weitergehe wie bisher. Außerdem sei der Deutschlandtakt in einigen Regionen schon eingeführt, so durch Wissing in Rheinland-Pfalz: „Er hat es nicht erfunden, das waren wohl die Schweizer, aber eingeführt“. Und die Schweizer hätten über fünf Jahrzehnte viermal so viel Geld für die Bahn wie vorher und eine Extrasteuer gebraucht, um ihr heutiges System umzusetzen. „Geld und Geduld“ sei, es, was man brauche für die Deutsche Bahn. Immerhin habe das Deutschlandticket erstmals „signifikante Verlagerungseffekte auf Bus und Bahn“ gebracht, sicher auch, weil „Kundenfreundlichkeit statt Tarifzonenklauberei“ angesagt war. Ziel sei es, die Personenbeförderung im öffentlichen Verkehr zu verdoppeln.
Geld und Geduld seien auch nötig, um mehr Güter auf die Schiene zu bekommen. Dabei gehe er nach allen Experteneinschätzungen nicht davon aus, dass Güter von der Straße weggelockt werden könnten. Da aber nach der Expertise der Wissenschaftler*innen der Transport von Gütern weiterwachsen werde, hoffe man, zumindest den Aufwuchs auf die Schiene bringen zu können.
Wie hart dürfe der EU-Wahlkampf werden ohne die Gemeinschaft zu beschädigen, fragte Greschkow zum Schluss den leidenschaftlichen Europäer. In seiner Antwort übte Theurer deutliche Kritik an der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die inzwischen von einigen ihrer Prinzipien des „Green Deal“ abrücke, wie etwa dem von der FDP abgelehnten Verbot der Verbrennungsmotoren, dass sie nun noch mal evaluieren wolle. Da die EU-Kommission die einzige ist, die in der EU das Initiativrecht für Gesetzesvorschläge habe, weder der Rat noch das Parlament könnten das, könne sie das doch umsetzen. Auch kritisierte er eine neue Richtlinie für mehr Nachhaltigkeit in mittelständischen Unternehmen, deren Umsetzung in Deutschland einen Aufwand von 1,5 Milliarden Euro bedeute, behauptete Theurer, und mehr Bürokratie bringe als abbaue.
Theurer betonte, die demokratischen Parteien sollten im Wahlkampf ihre Unterschiede deutlich machen, damit die Bürger*innen nicht glaubten, diese Parteien seien alle gleich und dann lieber „was anderes“ wählten. Aber bei aller Auseinandersetzung sollten die Parteien auch die Vorteile der Gemeinschaft darstellen, wie etwa den möglichen Spareffekt bei einer gemeinsamen europäischen Verteidigung.
Was er unbedingt noch verwirklichen wolle bis zum Ende der Legislaturperiode? Das „Moderne-Schiene-Gesetz“, das Elektrifizierung und Digitalisierung bei der Bahn deutlich beschleunigen soll, antwortete Theurer sofort und entschieden.
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Die Veranstaltungsreihe „bwg sitzungswoche – Sprechstunde“ ist eine Kooperation von bwg Berliner Wirtschaftsgespräche, sitzungswoche – Unabhängiges Netzwerk für Politik, Wirtschaft und Medien, StäV Ständige Vertretung Berlin, Wöllhaf Gruppe und OSI Club mit Unterstützung von Studio Schiffbauerdamm Landau Media und berlin bubble.