Bundesfinanzhof verhandelt: Ist der Soli eine verfassungswidrige Reichensteuer?

Ein einsamer Finanzbeamter unterstützt von einer Sachbearbeiterin des Finanzgerichts Aschaffenburg wird an diesem Dienstag vor dem Bundesfinanzhof (BFH) für den Solidaritätszuschlag kämpfen. Ursprünglich sollte der Mann prominente Unterstützung aus Berlin erhalten. Das Bundesfinanzministerium, damals noch geführt von Olaf Scholz (SPD), war dem Rechtsstreit um den „Soli“ auf Seiten des Finanzamtes beigetreten. Doch vergangene Woche revidierte der jetzige Bundesfinanzminister, der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, die Entscheidung des heutigen Bundeskanzlers: Das Bundesfinanzministerium werde keine Abordnung zur Revisionsverhandlung nach München schicken, um den Solidaritätszuschlag zu verteidigen – den die Koalitionspartner SPD und Grüne beibehalten möchten.

Das Bundesfinanzministerium tritt zwar ohnehin nur rund 10 Prozent der Revisionsverfahren bei, wie der Bundesfinanzhof mitteilte. Aber indem Lindner nun demonstrativ auf Distanz zum „Soli“ ging, bekam politisch gesehen die Klägerseite Rückenwind – ein Ehepaar aus Bayern, das vom Bund der Steuerzahler unterstützt wird. Für die rechtliche Bewertung der umstrittenen Zuschlags spielt es allerdings keine Rolle, dass das Finanzministerium dem Aschaffenburger Finanzbeamten nun nicht beistehen wird.

FDP-Verfassungsbeschwerde aus Oppositionszeiten

Bislang hat der Bundesfinanzhof den „Soli“ für verfassungsgemäß gehalten, zuletzt in einem Beschluss von 2018 zur Körperschaftsteuer. Mahnend wies der BFH jedoch in einer Entscheidung von 2011 darauf hin, der Zuschlag dürfe als Ergänzungsabgabe nur einen „temporären Finanzbedarf“ abdecken. Folgern die obersten Finanzrichter dieses Mal, der Zuschlag sei nunmehr verfassungswidrig, müsste der Bundesfinanzhof, wie von den Klägern angeregt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einholen. Dort ist unter anderem eine Verfassungsbeschwerde des Parlamentarischen Finanzstaatssekretärs Florian Toncar (FDP) und des FDP-Fraktionsvorsitzenden Christian Dürr anhängig, die die beiden FDP-Politiker noch zu Oppositionszeiten eingelegt hatten.

Der Solidaritätszuschlag war 1991 eingeführt worden, um die finanziellen Herausforderungen der Wiedervereinigung zu bewältigen. Ursprünglich war die Ergänzungsabgabe auf ein Jahr befristet, aber dabei blieb es bekanntlich nicht. Der Bundesfinanzhof hat nun unter anderem über die Verfassungsmäßigkeit des sogenannten Abschmelzungsmodells im Solidaritätszuschlagsgesetz von 1995 zu entscheiden: Seit dem Veranlagungszeitraum 2021 müssen demnach nur noch rund 10 Prozent der Steuerpflichtigen den Zuschlag zahlen. Bis zu einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 61.717 Euro werden die Steuerzahler vollständig von der Ergänzungsabgabe verschont. In der sogenannten Milderungszone bis zu einem versteuernden Einkommen von 96.409 Euro profitieren 6,5 Prozent der Einkommensteuerpflichtigen von einer Minderung des „Soli“.

Ein kleiner Teil der sogenannten Besserverdiener soll den Soli aber unbefristet in voller Höhe weiterzahlen. Dazu gehören auch die Kläger. Auch auf die Körperschaftsteuer und die Abgeltungsteuer wird der „Soli“ weiterhin erhoben. Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums belaufen sich die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag für 2020 auf mehr als 18 Milliarden Euro, für 2021 seien es rund 11 Milliarden Euro und für 2022 bis Ende November knapp 10 Milliarden Euro. Der Bundesrechnungshof warnte deshalb schon vor Jahren, der Rechtstreit berge finanzielle Risiken, „die nicht von der Hand zu weisen sind“: Dem Bund drohten milliardenschweren Steuerrückzahlungen.

Viele Milliarden Euro für den Staat

Die Eheleute, über deren Fall der Bundesfinanzhof am Dienstag verhandeln wird, wehren sich dagegen, für das Jahr 2020 einen Solidaritätszuschlag von rund 2000 Euro zahlen zu müssen. Dafür gebe es keine verfassungsrechtliche Grundlage mehr, da die Aufbauhilfen für die Bundesländer im Osten (Solidarpakt II) Ende 2019 ausgelaufen seien. Auf einen Solidarpakt III habe der Gesetzgeber ausdrücklich verzichtet. Eine Abschmelzung sei erst von 2021 an vorgesehen. Auch diese Regelung sei verfassungswidrig, rügen die klagenden Eheleute.

Dass nach dem Abschmelzungsmodell nicht alle Steuerzahler in gleichem Maße von der Zahlung des Soli verschont würden, verstoße unter anderem gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Mit der Beschränkung auf wenige Steuerpflichtige werde eine „Reichensteuer“ eingeführt. Anders als vom Gesetzgeber damals vorgesehen, gehe es mittlerweile auch nicht mehr darum, mit dem Solidaritätszuschlag „Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt“ zu decken.

Die fortbestehende Belastung sogenannter Besserverdiener ziele vielmehr auf eine sozialpolitische Korrektur des Einkommensteuertarifs. Das dürfe aber nicht über das Ausnahmeinstitut der Ergänzungsabgabe geschehen; ein solcher Formenmissbrauch höhle die Verteilung der Bund und Ländern gemeinschaftlich zustehenden Steuern in verfassungswidriger Weise aus, so der Vorwurf der Klägerseite.

Vor dem Finanzgericht Nürnberg hatte das Ehepaar jedoch keinen Erfolg. Das Gericht folgte vielmehr der Rechtsauffassung des Finanzamts: Für die behauptete Aushöhung der gemeinschaftlichen Steuern von Bund und Ländern wäre eine „schwerwiegende“ Belastung der Soli-Pflichtigen erforderlich. Diese habe der Bundesfinanzhof aber schon 2011 verneint. Auch widersprach das Finanzgericht der Ansicht der Kläger, der Bund könne sich nicht mehr auf „Sonderbedarf“ berufen. Der Solidaritätszuschlag sei nicht nur eingeführt worden, um den Aufholprozess in den neuen Bundesländern zu finanzieren.

„Umwidmung“ nur mit Bundestagsbeschluss?

Er diene auch dazu, den vermehrten Ausgabenbedarf des Bundes im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung zu decken. Der Gesetzgeber hatte damals unter anderem auf die einigungsbedingten Lasten in der Rentenversicherung verwiesen. Diese Lasten bestünden weiterhin, befand das Finanzgericht. Nur weil der Solidarpakt II ausgelaufen sei, könnten die Steuerpflichtigen nicht darauf vertrauen, dass der Solidaritätszuschlag für alle aufgehoben werde. Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liege nicht vor. Die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte sei bei der Einkommensteuer nicht nur zulässig, sondern sogar geboten, heißt es unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das gleiche müsse dann auch für die Ergänzungsabgabe in Form des Solidaritätszuschlags gelten.

Der Bundesfinanzhof erinnert in seinen Erläuterungen zu dem Rechtsstreit daran, dass die Wiedervereinigung ein „historisches Großereignis“ gewesen sei, dass „immensen Finanzbedarf des Bundes auslöste“. Nun aber stelle sich die Frage, ob „die Wiedervereinigung noch 30 Jahre nach der Wende einen besonderen Finanzbedarf begründet“. Sollte die ursprüngliche verfassungsrechtliche Rechtfertigung weggefallen sein, stelle sich weiter die Frage, ob andere Gründe die fortgesetzte Erhebung des Rest-Soli seit 2021 rechtfertigten.

Die obersten Finanzrichter erwähnen etwa die kostspieligen Folgen der Corona-Pandemie, des Ukrainekrieges oder des Kampfs gegen den Klimawandel. In diesem Fall könne auch zu entscheiden sein, ob eine solche „Umwidmung“ des verbliebenen Solidaritätszuschlags einer ausdrücklichen Entscheidung des Bundestags bedürfe. Wie der Bundesfinanzhof diese Fragen beantwortet, wird man voraussichtlich Ende Januar wissen. Am 30. Januar, so hieß es, werde das Urteil verkündet.

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