BSW ringt um Ausrichtung: Lieber vorurteilslos oder sinister?

„Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunftalso, dafür sollen die Buchstaben BSW künftig stehen. Anfang Dezember will der Bundesvorstand diese Namensänderung dem Bundesparteitag vorschlagen.

Dass das „S“ das Soziale anzeigen würde, war absehbar, die Wahl des Wortes für das „W“ schon weniger. Doch „Weltfrieden“ wäre wohl etwas zu großspurig geraten, die Rede war im BSW zuletzt ohnehin eher von „Wohlstand“. Jetzt doch lieber die „Wirtschaft“. Das Thema Frieden jedenfalls wird im neuen Parteinamen nicht auftauchen.

Dabei ist das Ziel Frieden das, was alle eint im BSW. Man wird dort niemanden finden, der deutsche Waffen in einen Krieg liefern oder das israelische Vorgehen in Gaza verteidigen würde. Bei der Wirtschaft ist das anders. Im BSW lodert eine Auseinandersetzung, gewissermaßen zwischen Kapital und Arbeit. Ihretwegen ist gerade ein Landesvorsitzender zurückgetreten.

Der Unternehmer Oliver Jeschonnek, bis dahin einer von zwei BSW-Chefs in Hessen sowie Vorsitzender des Kreisverbands Frankfurt am Main, begründete seinen Rückzug vor allem mit dem Gastbeitrag „Das BSW muss links bleiben“, veröffentlicht im Freitag von Ralf Krämer und 16 weiteren BSW-Mitgliedern in Reaktion auf einen Gastbeitrag Sahra Wagenknechts in der Welt. Jeschonnek stört, dass Wagenknechts Text, der „unseren Kurs der politischen Vernunft und des für uns nicht verhandelbaren Anspruchs sozialer Gerechtigkeit betont, postwendend mit einem von Parteifreunden öffentlich platzierten Beitrag konterkariert wird, die Partei müsse links bleiben“. Er wolle keine Linke 2.0“.

Der hessische BSW-Landesvorsitzende Oliver Jeschonnek ist zurückgetreten

Tatsächlich haben die meisten der 17 BSW-Mitglieder hinter dem Text Krämers wie dieser selbst eine Vergangenheit in der Linkspartei – anders als Oliver Jeschonnek. Der ist Geschäftsführer und Gesellschafter eines Beratungsunternehmens für Marketing und Personalmanagement. Er firmiert als Experte für Werbung und Marketingstrategien, die neurowissenschaftliche Erkenntnisse nutzen. Jeschonnek, der BSW-Mitglied bleibt, ist einer der Gemeinten, wenn es im Entwurf für den Leitantrag des Parteivorstands zum BSW-Parteitag im Dezember heißt: „Das BSW ist der Verbündete kreativer Unternehmer und die einzige Partei, bei der erfolgreiche Unternehmer in der Parteiführung maßgeblich beim Aufbau der Partei mitgestalten.“ Doch nach seinem Rücktritt ist bis auf Weiteres Ali Al-Dailami einziger BSW-Landeschef in Hessen; er war früher Mitglied und Bundestagsabgeordneter der Linken.

Selbiges gilt für den heutigen BSW-Europaabgeordneten Fabio De Masi, der als Favorit für die Nachfolge Sahra Wagenknechts an der Bundesparteispitze gehandelt wird. Am kommenden Montag wird das BSW bekanntgeben, wie es sich künftig personell aufstellt. Von einer Konfliktlinie Ex-Linke gegen Unternehmer innerhalb der Partei will De Masi nichts wissen: Es sei kein Widerspruch, wenn Unternehmer sich für eine Besteuerung riesiger Erbschaften, die Abschaffung von Privilegien superreicher Firmenerben, für eine Vermögensbesteuerung, Tariftreue und einen Mindestlohn von 15 Euro einsetzen und im BSW mitwirken, sagte er jüngst im Gespräch mit dem Freitag: Denn wir brauchen auch einen innovativen Mittelstand.

Der Landtagsabgeordnete Oliver Skopec will Unternehmer dem BSW näherbringen

Zu dem ist wohl auch Oliver Skopec zu rechnen, Unternehmer und Landtagsabgeordneter des BSW in Brandenburg ohne Linkspartei-Vergangenheit. Zu den von De Masi aufgeführten Punkten von Erbschaftsbesteuerung bis Mindestlohn sagt er dem Freitag: „Das unterstütze ich alles vorbehaltlos.“ Skopec hat 2007/08 schülerVZ aufgebaut, einen Ableger der damals populären Internet-Plattform studiVZ, und seither vor allem für Digitalunternehmen gearbeitet oder solche mitgegründet, von einem Webshop für ansonsten entsorgte „End-of-Season“-Mode über die Holtzbrink Publishing Group bis zu Tesla.

Mitgründer und Vorsitzender ist er ebenso beim eingetragenen Verein „Zukunftsbündnis Wirtschaft“, über den Skopec sagt: „Wir sind ein vom BSW unabhängiger Unternehmerverband, der den Dialog zwischen dem BSW und der Wirtschaft in ihrer ganzen Breite unterstützen möchte, vom kleinen Selbstständigen bis zum großen, familiengeführten mittelständischen Unternehmen.“ Skopecs Stellvertreter im Vereinsvorstand ist der in Hessen zurückgetretene Oliver Jeschonnek. Als Beirat fungiert BSW-Bundesschatzmeister und IT-Unternehmer Ralph Suikat.

Es gibt in der Partei Stimmen, die befürchten, das BSW würde durch eine zunehmende Fixierung auf Unternehmer eine „FDP 2.0“. Sie betrachten den Satz vom BSW als Verbündetem kreativer Unternehmer im Leitantragsentwurf mit Sorge, „da eine ordoliberale Orientierung die Wahlchancen für das BSW weiter schmälern würde“. Vielmehr brauche es „eine Fokussierung auf soziale Gerechtigkeit und die Interessen von Millionen abhängig Beschäftigten, Arbeitern und Gewerkschaftern“.

Sahra Wagenknecht und der Ordoliberalismus

Die Hinwendung zum Ordoliberalismus, demnach der Staat nicht in den Markt eingreifen, sondern ihm vernünftige Grenzen setzen soll, wird Sahra Wagenknecht von links schon lange vorgeworfen, vor allem nach ihren Büchern Freiheit statt Kapitalismus (2011), in dem sie sich positiv auf die Wirtschaft der frühen Bundesrepublik unter Ludwig Erhard als „sozial gezähmten Kapitalismus“ bezog, und Reichtum ohne Gier (2016).

Der Zukunftsbündnis-Wirtschaft-Chef Skopec erlebte seine heutige BSW-Parteifreundin Wagenknecht erstmals während seines Wirtschaftswissenschaftsstudiums zwischen 2009 und 2012 an der Universität Witten/Herdecke, wohin die damalige Linken-Politikerin für einen Vortrag gekommen war. Damals gewann Wagenknecht nicht nur Studierende wie den heute 40-jährigen Brandenburger Landtagsabgeordneten als Anhänger oder zumindest Sympathisanten, sondern auch politisch weitab der Linken Stehende wie den Ökonomen Hans-Werner Sinn oder den CSU-Politiker Peter Gauweiler.

Die beiden sind zwar nicht Mitglieder des BSW geworden, dafür aber eine Reihe von Unternehmern und Managern wie der Ingenieur und Chef des Landesverbands Sachsen, Jörg Scheibe, der als Chef einer Firma für Klima-, Sanitär-, Heizungs- und Lüftungsanlagen für große Bauprojekte zur Partei stieß. Oder BSW-Bundesvorstandsmitglied Shervin Haghsheno, der früher für den Baukonzern Bilfinger arbeitete.

Eine ganzseitige BSW-Anzeige im Handelsblatt“

Sie sind nicht unbedingt anderer Meinung, aber wählen andere Worte als etwa der Das BSW muss links bleiben“-Gastbeitrag Ralf Krämers: Linke stünden, heißt es dort, auch heute auf der Seite der Arbeitenden und der sozial Benachteiligten und kämpfen für deren Interessen, gegen kapitalistische Ausbeutung und gegen die Herrschaft der großen Konzerne und des Finanzkapitals. Sie stehen in diesen Kämpfen an der Seite der Gewerkschaften, die die unmittelbaren Organisationen der arbeitenden Klasse für ihre wirtschaftlichen und sozialen Interessen sind – unabhängig davon, wie ihre Führungen sich zu anderen politischen Fragen stellen.

In jenen Reihen stößt es auf Argwohn, wenn das BSW-nahe Zukunftsbündnis Wirtschaft (ZBWI) wie vor der Bundestagswahl eine ganzseitige Anzeige im Handelsblatt schaltet, mit Foto Sahra Wagenknechts in Rednerpose und dem Text: „Das Zukunftsbündnis Wirtschaft e.V. – ein Zusammenschluss von Gründern, Mittelständlern und Führungskräften – hat sich gegründet, um BSW in seinen wirtschaftlichen Positionen zu unterstützen. Wir ermutigen Unternehmer und Bürger, dem BSW am 23.02. ihre Zweitstimme zu geben.“

Denn: „Deutschland braucht eine neue politische Kraft, die Wirtschaftskompetenz mit sozialer Verantwortung verbindet.“ Der ZBWI-Vorsitzende und BSW-Landtagsabgeordnete Oliver Skopec sagte dem Freitag zu der Anzeige: „Uns blutete das Herz, dass das BSW in Wirtschaftskreisen so einseitig wahrgenommen und ihm nicht die Wirtschaftskompetenz zugeschrieben wird, die es verdient.“

Thomas Geisels Kandidatur für den NRW-Landesvorstand scheiterte

Er versteht die ganze Aufregung nicht: „Es ist überhaupt nicht mein Wunsch, dass das BSW eine Unternehmerpartei ist. Aber wir haben uns schon im Gründungsmanifest zum Ziel gesetzt, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft in diesem Land wiederherzustellen“, sagt er. Beide Themen seien eng miteinander verschränkt, es werde aber eine künstliche Gegenüberstellung herbeidiskutiert. „Es gibt da überhaupt keinen Konflikt. Gerade im Mittelstand, in familien- und inhabergeführten Unternehmen, haben Arbeitnehmer und Arbeitgeber viele gemeinsame Interessen – vor allem gegenwärtig: die Arbeitsplätze, den Betrieb und den Standort stabil zu halten. Und indem wir soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Vernunft verschränken, füllen wir eine große Repräsentationslücke im Parteiensystem.“

Der Konflikt aber flackert weiter, erst kürzlich musste der BSW-Landesverband Nordrhein-Westfalen ein neues Vorstandsmitglied wählen, weil der Anwalt Jan Ristau „aus beruflichen Gründen“ von diesem Amt zurückgetreten war. Thomas Geisel trat an, der ehemalige Düsseldorfer SPD-Oberbürgermeister, der früher für die Treuhandanstalt und dann für den Energiekonzern Eon Ruhrgas gearbeitet hatte. Doch Geisel scheiterte mit 22 Prozent – zum neuen NRW-Landeschef wurde mit 55 Prozent Andrej Hunko gewählt, früher langjähriges Mitglied der Linkspartei und Bundestagsabgeordneter.

Wirtschaftstalk“ mit De Masi, Wagenknecht und Steffen Schütz

Oliver Skopec versucht indessen, den Dialog zu vertiefen, innerhalb des BSW und zwischen dessen Mitgliedern und Unternehmern. Zu einem „ZBWI-Wirtschaftstalk für Mitglieder des Unternehmerverbands hat er gerade drei prominente Mitglieder geladen: Fabio De Masi, Sahra Wagenknecht und Steffen Schütz, Minister für Digitales und Infrastruktur in Thüringen – sowie Unternehmer, Schütz hat eine Werbeagentur gegründet. Womöglich bietet der „Wirtschaftstalk“ zumindest zwischen ihm und Wagenknecht Möglichkeiten zur Versöhnung: Neben Katja Wolf traf der Vorwurf, die Thüringer BSW-Spitze würde sich zu wenig gegenüber ihrem Koalitionspartner CDU profilieren, insbesondere Schütz. Im April war er aus dem Amt des Landesvorsitzenden gedrängt worden.

Indessen könnte der Konflikt zwischen linken Kapitalismus-Gegnern und Unternehmern im BSW ausgerechnet durch dessen Antrag auf Neuauszählung der Bundestagswahl tangiert werden: Würde demnächst der Wahlprüfungsausschuss des Bundestags oder später das Bundesverfassungsgericht diesem Antrag stattgeben und das BSW in Folge einer Neuauszählung ins Parlament einziehen, würde Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) seine Mehrheit dort verlieren. Dass die schwarz-rote Bundesregierung dies überlebt und einfach mit Unterstützung von Bündnis 90/Die Grünen an der Macht bleibt, ist möglich, aber alles andere als sicher. Neuwahlen stünden im Raum. Für das so junge wie klamme BSW wäre ein neuerlicher vorgezogener Wahlkampf ein Kraftakt – und die finanziellen Möglichkeiten von Unternehmern mit Parteibuch und Kontakten zu potenziellen Spendern wohl allseits willkommen. Und sei es, um ganzseitige Zeitungsanzeigen für das BSW zu schalten.

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