Bree Runway: Geld oder Selbstliebe

Beschäftigt
sind heute so ziemlich alle, so ziemlich immer. Selbst eine globale Pandemie
hat da wenig geändert. Busy, das ist der Zustand der Gegenwart. Bestimmt
hat Byung-Chul Han, schreibfreudiger deutsch-koreanischer Philosoph, darüber
auch schon ein Buch in der Mache, Beschäftigtengesellschaft oder so ähnlich.

Die
relevante Frage heutzutage ist also nicht, ob man beschäftigt ist, sondern womit. Bree Runway gibt die Antwort in ihrer Instagram-Bio: „Busy being hot
and paid
„. Beschäftigt damit, heiß zu sein und bezahlt zu werden. Inwiefern
ein kausaler Zusammenhang zwischen Heißsein einerseits und Geld andererseits besteht, bleibt offen. Die beiden Fixpunkte im Kosmos der
britischen Popkünstlerin sind damit aber gesetzt.

My ass is fat and it’s all mine, and yes, I’m
gorgeous, I’m black at all times
„, rappt Runway im Intro ihrer kürzlich
erschienenen EP Woah, What a Blur. Nicht
mal eine Minute reibt verzerrte Stimme über noch stärker verzerrte Gitarre,
dann rumpelt der Beat des nächsten Songs los: „What’s next? The cheques.“
Was kommt als Nächstes? Na, die Schecks. Heißsein und Geld verdienen, zwei
Vollzeitjobs.

Bree
Runway, die mit bürgerlichem Namen Brenda Wireko Mensah heißt, hat ghanaische
Wurzeln und ist im Londoner Stadtteil Hackney aufgewachsen. In den Zehnerjahren
beginnt sie im DIY-Studio zu Hause ihre eigenen Songs zu schreiben. Sie baut
Beats, rappt. Eine Künstlerin Marke Eigenbau. Einerseits. Andererseits sieht
sie 2001 bei den MTV Video Music Awards Britney Spears zum Song I’m a Slave
4 U
tanzen. Den ikonischen Schlangenbeschwörerinnen-Auftritt macht sie zum
Maßstab für ihre eigenen Popstar-Ambitionen. Ein Popstar, das ist es nämlich,
was Runway sein möchte. Keine R’n’B-Künstlerin, keine Rapperin. Beides sind Schubladen,
in die sie als schwarze Musikerin immer wieder gesteckt wird.

Vor knapp
drei Jahren hat der NME, ein traditionelles Hypeblatt mit bröckelnder Relevanz,
Bree Runway auf seine Newcomer-Liste Class of 2020 gesetzt. Vergangenen
November titelte der britische Rolling Stone: „Das ist dein zukünftiger
Lieblingspopstar.“ Das Magazin Dazed rief gleich eine ganze „Generation Bree“
aus. Mit Lady Gaga hat Runway schon zusammengearbeitet, mit Missy Elliott auch.
Die richtige Haltung, siehe Heißsein und Geld, ist da. Die Aufmerksamkeit auch.
Fehlt nur noch die Kunst.

Ihre EP Woah,
What a Blur
hat Runway im Dezember 2022 veröffentlicht.
Viereinhalb Songs. Unscheinbar. Überhört man leicht, so eine Veröffentlichung in den letzten Tagen des ausklingenden Jahres. Eine
Stimme schraubt sich langsam aus den Tiefen eines gedämpften Loops, ein Motor
heult auf, Runway beginnt zu rappen, eine effektschwere Prog-Gitarre führt die
Melodie. Das Intro Archive Mami zeigt, was von Runways Ansatz „destruktiven
Pops“ übriggeblieben ist, den sie selbst 2020 mit ihrem Mixtape 2020AND4EVA
ausgerufen hatte. Runway, die Bastlerin, die Genres verbiegt, zurechtklöppelt
und wieder zusammenleimt. Auch 2023 gibt es bei ihr von allem ein bisschen.
Aber nicht mehr so oft im selben Song.

Woah,
what a Blu
r ist exakt
das, was der Titel verspricht: Ein kurzer Rausch, in dem alles verschwimmt. Am
Ende fragt man sich, was einen da eigentlich gerade getroffen hat. Kaum mehr
als zehn Minuten vergehen vom Einsatz der King-Crimson-Gitarre in Archive
Mami
bis zur hechelnden Club-Nummer That Girl. Dazwischen schiebt
Runway noch den verspielten R’n’B von Breee!, der immer wieder von einer
dröhnenden Bassdrum erschüttert wird, und den Schlafzimmer-Soul von FWMM ein.
Viereinhalb Songs, in denen sie ganz fix den Klangkosmos Pop durchschreitet. 

Feinstes weibliches Ego-Shooting

Handwerklich
gesehen ist Woah, What a Blur Hyperpop auf absoluter Zeitgeisthöhe. Auch
thematisch. Es geht um schwarze weibliche Selbstermächtigung, ums Bad-Bitch-Sein,
um Statussymbole, gesellschaftlichen Aufstieg und den Kapitalismus, der einem
nie Entspannung gönnt. Der Hintern ist natürlich auch dabei als Marker für
äußerliche Schönheit. Von innerer Schönheit, psychischer Gesundheit und Sex singt
Runway auch: „Fick nicht mit meinem Kopf“, der Körper ist ein Tempel, solche
Sachen.

Man kann Woah,
What a Blur
auf jeden Fall als Emanzipationsplatte lesen. Besonders
deutlich wird das in der einzigen Kollaboration der EP, dem Song Pick Your
Poison
mit dem britischen Rapper Stormzy. Es ist schon wieder ein wundervolles Statement zu Geschlechterrollen
circa 2023, dass nach vier Songs feinsten weiblichen
Ego-Shootings der für seine selbstreflektierte Männlichkeit bekannte Stormzy
zum einzigen Duett antreten darf und damit den softesten und süßesten Song der
EP beisteuert.

Bree
Runway ist so sehr „jetzt“, dass man sich nur schwer vorstellen kann, dass nun
nicht ihr Moment sein sollte. Mehr Gegenwart geht nicht. Aber hat das auch
Zukunft? In den vergangenen Monaten hat Runway immer wieder Zeit in Los Angeles
verbracht, um dort ihr kommendes Debütalbum aufzunehmen. Einige ihrer Songs
sind aufgeräumter geworden, eingängiger, besitzen mehr Pop-Appeal. Andere, wie das
EP-Highlight That Girl, leben noch immer von der manischen
Rekombination von Genres, Stilen und Ideen. Bleibt die Frage, wer oder was sich
am Ende durchsetzen wird: die Bastlerin oder der Popstar, das Heißsein – oder das
Geld.

„Whoah, What a Blur“ von Bree Runway ist bei EMI erschienen.

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