Brandenburg: Landtag konstituiert sich: mit Oschmann, Wenzel und AfD-Arrangement

SPD, AfD, BSW und CDU haben Brandenburgs Landtag erfolgreich und geräuschlos konstituiert. Der frühere Intendant der Uckermärkischen Bühnen in Schwedt, Reinhard Simon, hält als Alterspräsident eine Eröffnungsrede, die nicht allen gefällt


„Ich bin hier und in meinem Wikipedia-Eintrag steht jetzt neben Theaterintendant ‚Politiker’“, sagte Alterspräsident Reinhard Simon (BSW) zu Beginn der konstituierenden Sitzung des Brandenburger Landtags

Foto: Sören Stache/dpa/picture alliance


Es geht auch anders als in Thüringen. Drei Wochen nach der chaotischen Eröffnungssitzung des Landtags in Erfurt hat sich Brandenburgs Parlament fast gänzlich geräuschlos konstituiert – ohne von einem Alterspräsidenten provozierten Eklat, ohne Unterbrechung der Sitzung bis zum darauffolgenden Tag und ohne Anrufung des Landesverfassungsgerichts. In Potsdam überschritten die anwesenden 86 der insgesamt 88 Abgeordneten den anvisierten Zeitrahmen von zwei Stunden nur unwesentlich. Hitzig wurde es nur, weil die Heizung im Plenum übertrieben aufgedreht war.

Das alles hatte zuvorderst damit zu tun, dass in Brandenburg nicht wie in Thüringen die AfD den die konstituierende Sitzung eröffnenden Alterspräsidenten stellt, sondern das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW): Reinhard Simon ist mit 73 der älteste der Mandatsträger. Er war von 1990 bis 2019 Intendant der Uckermärkischen Bühnen in Schwedt.

Krieg, Frieden, „westdeutsche Medienblase“

Simon zitierte nicht nur Ödon von Horvaths Kasimir und Karoline, William Shakespeares Hamlet und den Liedermacher Hans-Eckhardt Wenzel (In polarisierten Zeiten ist besonders die soziale Angst eine gute Einstiegsdroge für Opportunismus), er hielt dabei in seiner protokollarischen Rolle eine auffällig politische Eröffnungsrede. So kritisierte er das Bangen vieler Bürger um ihren Arbeitsplatz in der Raffinerie in Schwedt „als Folge undurchdachter Politik, die uns offenkundig schadet“, erinnerte daran, dass die Brandenburger Verfassung das Land zu Frieden und nicht zu Aufrüstung verpflichtet und appellierte „an die Gemeinden in Brandenburg, gerade in Zeiten wie diesen, den Dialog über Städtepartnerschaften etwa mit russischen Gemeinden oder über Kulturaustausch wiederzubeleben. Simon empfahl außerdem Journalisten, die aus einer „leider überproportional häufig westdeutschen Medien-Blase“ heraus sogar die Rückabwicklung der Wiedervereinigung forderten, ebenso wie dem Plenum, Dirk Oschmanns Der Osten. Eine westdeutsche Erfindung: „Wer es noch nicht gelesen hat, bitte nachholen!“

In Reihen der stärksten Fraktion hinterließ die Rede einige gequälte Gesichtsausdrücke – es gab vom möglichen BSW-Koalitionspartner SPD nur zarten, von der AfD hingegen kräftigen und von der CDU gar keinen Applaus. Die BSW-Fraktion bedachte ihr Mitglied Simon indessen mit Standing Ovations.

Ein Indiz für arge Differenzen zwischen den beiden Parteien, die als einzige eine Koalition ohne AfD-Beteiligung bilden können? Eher nicht. Schon Alterspräsident Simon hatte vor allem Sozialdemokraten die Ehre erwiesen, seiner früheren engen Freundin Regine Hildebrandt, dem langjährigen Schwedter Landtagsabgeordneten Lothar Englert, dem „honorigen“ ehemaligen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck auf der Besuchertribüne, „den ich einen Freund nennen darf“ und dessen Vorgänger Manfred Stolpe, der Simon einmal auf der Herrentoilette das „Du“ angeboten habe. Auch das Atmosphärische im Plenum deutete eher auf ein Gelingen denn ein Scheitern der laufenden Sondierungen hin – wenn etwa der ehemals in der SPD beheimatete BSW-Fraktionschef Robert Crumbach SPD-Fraktionschef Daniel Keller beim Gang zu einer Abstimmung sanft den Arm auf den Ellenbogen legt oder Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) eine komplette Auszählungspause ins Gespräch mit zwei BSW-Abgeordneten vertieft verbringt.

Vor allem aber dürfte diese konstituierende Sitzung so verlaufen sein, wie es die Choreographie der Fraktionsverantwortlichen im Hintergrund vorsah: Ulrike Liedtke (SPD) wurde als Landtagspräsidentin wiedergewählt und durfte sodann erfolgreich beantragen, was das BSW im Vorhinein angeregt hatte: die Erweiterung des Landtagspräsidiums um einen Stellvertreterposten, um alle Fraktionen zu repräsentieren. Allen Verfahrensfragen wie diesen gaben die vier Fraktionen eine einstimmige Mehrheit.

Und auch die Wahlen muteten wohlüberlegt austariert an: BSW-Kandidatin Jouleen Gruhn und CDU-Kandidat Rainer Genilke erreichten die nötige Mehrheit locker, AfD-Kandidat Daniel Münschke musste indessen eine Ehrenrunde drehen – nach einem Symbol der Distanzierung ersten Wahlgang, wurde Münschke erst im zweiten zum Landtagsvizepräsidenten gewählt. Das war noch nicht einmal vor fünf Jahren so gewesen – damals hatte der AfD-Kandidat in Potsdam den bundesweit ersten Parlamentspräsidiumsposten auf Anhieb erhalten.

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