Bosch-Betriebsratschef Sell: „Die EU-Vorschläge zum Verbrenner-Aus sind Augenwischerei“

Herr Sell, was ist der Stand der Verhandlungen über das Sparprogramm?

Wir werden nicht wie geplant alle Verhandlungen vor Weihnachten abschließen. Es gibt ein paar kleinere Bereiche, die Vereinbarungen getroffen haben. Bei größeren Standorten wie Feuerbach, Homburg, Waiblingen oder Bühl sind die Gespräche allerdings schwierig, und wir werden noch zwei, drei Wochen brauchen. Das ist jetzt keine Endlosgeschichte, wir werden wohl im Januar zu Lösungen kommen.

Wird es einen Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen geben?

Eine garantierte Arbeitsplatzsicherung für alle Beschäftigten wird es nach 2027 nicht mehr geben. Wir sprechen gerade über eine Formulierung, dass betriebsbedingte Kündigungen nach 2027 nicht ausgeschlossen sind, dass aber beide Seiten daran kein Interesse haben und dass das nur als Ultima Ratio infrage kommt. Und nicht ohne vorherige Verhandlungen mit dem Betriebsrat über Alternativen.

Bleibt es bei den kommunizierten Abbauzahlen, oder könnten auch mehr Stellen zur Disposition stehen als die angekündigten 22.000 in der Autosparte?

Mir sind aktuell keine weiteren Ankündigungen bekannt.

Wie erleben Sie den Arbeitgeber in den Verhandlungen? Konstruktiv oder kompromisslos?

Das sind die schwierigsten Verhandlungen, die wir jemals hatten. Wir diskutieren darüber, ob irgendwann und unter welchen Bedingungen betriebsbedingte Kündigungen möglich sind. Dann sind die Abbauzahlen schon extrem. Die Frage ist, ob das mit freiwilligen Programmen und Abfindungen alles zu schaffen ist. Im Hinblick auf diese Schwierigkeiten sind sich beide Seiten bewusst, dass wir Lösungen brauchen.

Wie nimmt die Belegschaft die aktuellen Gespräche wahr?

Wir können nicht ohne Ergebnis vor die Mannschaft treten und die Situation eskalieren lassen. Vergangene Woche haben wir bei einer Betriebsversammlung in Feuerbach über die Zwischenstände informiert. Die Kollegen haben honoriert, dass wir transparent die Knackpunkte vorgestellt haben, aber sie haben eben auch die Erwartung, dass wir jetzt Lösungen finden. Dabei ist allen klar, dass es nicht einfach wird.

Ist Bosch wirklich in einer so schwierigen und dramatischen Situation, dass solche Maßnahmen nötig sind?

Es gibt zwei Effekte. Zum einen gibt es Abbauprogramme in Bereichen, die Zukunftsprodukte herstellen. Da soll nicht gespart werden, weil man nicht in die Zukunft investieren will, sondern weil es wie in der Elektromobilität oder im automatisierten Fahren weniger Aufträge gibt. Auch die Wasserstofftechnik ist so ein Feld, bei dem nüchtern festzustellen ist, dass die Produkte nicht bestellt werden und deswegen keine Arbeit da ist.

Und der zweite Effekt?

Den sieht man im Verbrennerbereich, der noch Geld verdient. Da geht es zum Teil um Verlagerungen, vor allem in der Fertigung. Aber weil wir keine neuen Plattformen für Verbrenner entwickeln, geht den Entwicklern eben auch die Arbeit aus. Das ist für uns ein Spagat. Dort, wo keine Arbeit mehr da ist, müssen wir den Stellenabbau zum Großteil hinnehmen. Und da, wo noch Geschäft ist, versuchen wir mit allen Mitteln, die Arbeitsplätze in Deutschland zu halten.

Hilft die Entscheidung der EU-Kommission, das Verbrenner-Aus 2035 aufzuweichen?

Ich muss ehrlich sagen, die präsentierten Vorschläge helfen der Zuliefererindustrie, die immerhin für 75 Prozent der Wertschöpfung verantwortlich ist, nicht. Das ist Augenwischerei. Da haben am Ende so viele verschiedene Interessengruppen mitgeredet und ihre Position in das Papier eingebracht, dass die neuen Regeln praktisch keinem helfen. Es ist von allem ein bisschen drin, aber nichts, was man wirklich braucht. Aus Sicht der Beschäftigten haben wir die Hoffnung, dass da noch nachgearbeitet wird.

Was brauchen Sie denn ganz konkret?

Wir brauchen mehr Zeit, um diesen Wandel aus Sicht der Beschäftigten hinzubekommen. Und wir brauchen ein größeres Feld an technischen Möglichkeiten. In China gibt es mehr Elektrifizierung auf den Straßen ohne Verbote.

Sie würden also alle Techniken – Diesel, Benzin, Elektroantrieb, Plug-in-Hybrid, Range Extender – erlauben und dann alles über den CO2-Preis regeln?

Zum Beispiel. Ich bin da einfach gestrickt, wir wollen CO2-Neutralität. Dann lasst doch den Kunden entscheiden, welches Produkt er am Ende des Tages fahren will. Über den Kunden und über das, was er will, wird viel zu wenig gesprochen. Wir haben einfach ein gewisses Problem, was die Akzeptanz der Elektromobilität angeht.

Würde das nicht die Elektromobilität zurückwerfen?

Nein, die Elektromobilität wird klar der Hauptpfad bleiben. Aber warum gibt man uns für die Nebenstraßen nicht einfach ein wenig mehr Zeit, um das Problem mit der Beschäftigung zu lösen? Ganz abgesehen davon, dass völlig unklar ist, wie das Kleinteilige der neuen Lösung zu behandeln ist. Ich öffne das Verbot um zehn Prozent und muss dann sieben Prozent grünen Stahl verwenden. Das ist irrsinnig und wird nicht funktionieren.

Haben aus Ihrer Sicht Managementfehler zur Lage geführt, in der Bosch steckt?

Im Nachhinein ist es einfach, Fehler zu benennen. Am Montag weiß ich immer die Lottozahlen vom Samstag. Sicher gab es Fehler, da will ich nichts schönreden. Bosch ist allerdings noch der einzige Zulieferer, der in allen Antrieben mitspielt. Die Investitionen in den Wasserstoff sind richtig gewesen, zahlen sich aber noch nicht aus. In Feuerbach stehen fertige Produktionslinien, aber der Markt, die Kunden und vor allem der Wasserstoff fehlen. Hier fehlt der politische Wille. Das liegt auch an dem Riss zwischen Politik und Autoindustrie.

Was meinen Sie damit?

Meine These ist, dass beim Dieselskandal viel Vertrauen kaputtgegangen ist zwischen Politik und dem Management der Autokonzerne. Und auf der Basis von Misstrauen ist es schwer, in der jetzigen Transformation gemeinsame Positionen zu finden. Hinzu kommt, dass die Autoindustrie zu selten mit einer Stimme spricht. Die Konzerne verfolgen unterschiedliche Ziele, und da kann ich die Politik wieder verstehen, die dann fragt, was wir eigentlich wollen.

Warum hat der Konzern zuerst eine Salamitaktik gewählt und immer wieder neue Abbauprogramme verkündet?

Anfangs hat die Geschäftsführung die Sparprogramme Standort für Standort verkündet, auch deswegen, weil die Softwareentwicklung in Leonberg sich schon stark von der Dieselfertigung in Homburg unterscheidet. Aber dann, als der Konzern bekannt gegeben hat, dass die Kosten im Mobility-Bereich pro Jahr um 2,5 Milliarden Euro gesenkt werden müssen, war der Druck einfach zu groß – und man ist mit der Gesamtzahl von zusätzlichen 13.000 Stellen rausgegangen.

Frank Sell im GesprächAnjou Vartmann

Welche Alternativen zum Stellenabbau sehen Sie, um die Wettbewerbsfähigkeit von Bosch in Deutschland zu sichern?

In den Zukunftsfeldern, in denen es keine Arbeit gibt, ist das sehr schwierig. Dort haben wir in bereits abgeschlossenen Vereinbarungen einen großen Personalabbau akzeptiert und hoffen jetzt darauf, dass neue Aufträge hereinkommen. Und auch in den Verbrennerbereichen, in denen wir fordern, die Produkte hier bei uns länger laufen zu lassen, sind wir unter Druck, weil wir mit günstigeren Standorten in Osteuropa verglichen werden. Was wir beigetragen haben, ist, dass wir in allen Bereichen von der 40- auf die 35-Stunden-Woche gegangen sind. Das war schon ein großer Hebel.

Gibt es eine Region, in der die sozialen Folgen der Bosch-Krise für die Menschen besonders spürbar sind?

Bühl ist eine ziemlich gebeutelte Region, weil dort viele Zulieferer ansässig sind. Auch in Homburg sind die Folgen besonders spürbar, weil Bosch dort ein großer Arbeitgeber ist und das Saarland generell wirtschaftlich vor großen Herausforderungen steht.

Sie haben die geplanten Kürzungen als „sozialen Kahlschlag“ bezeichnet.

Wir reden über einen Abbau von 22.000 Stellen, das ist mehr als ein Viertel unserer Autosparte. Und was an Produktionsarbeitsplätzen weg ist, ist weg. Da bricht für die Menschen eine Welt zusammen. Und dann noch die Einschnitte wie beim Jubiläumsgeld – das sind Dinge, die man nicht mit dem Taschenrechner berechnen kann. Die Leute haben Angst, Angst um ihre Existenz. Das ist man beim Bosch nicht gewohnt, sondern zum Bosch gehst du hin und gehst in Rente. Das ist jetzt alles andere als Kinderfasching. Das ist für die Leute extrem schwierig, weil einfach ein Höllendruck im Kessel ist.

Wie ist denn die Stimmung in den Verhandlungen mit dem Management?

Wir hatten einen schwierigen Start, als das Ganze hochkam. Da war es sicherlich nicht einfach. Wie haben jetzt in einen Arbeitsmodus gefunden, in dem wir uns gegenseitig zuhören und respektvoll miteinander umgehen. Das klingt vielleicht für den einzelnen Beschäftigten erst einmal komisch. Für mich ist aber der Punkt, dass man am Ende des Tages alles nur mit Kompromissen gelöst bekommt. Und Kompromisse heißt, aufeinander zugehen, miteinander reden. Und da habe ich schon das Gefühl, dass beide Seiten daran interessiert sind, Kompromisse zu finden.

Wie verhält sich die Geschäftsleitung konkret?

Ich habe nicht den Eindruck, dass das Unternehmen auf Teufel komm raus durchzieht und sagt, es gibt keinen Morgen mehr. Die könnten auch anders reagieren. In Deutschland wurde 2025 wieder am meisten von allen Ländern investiert. Über das Thema betriebsbedingte Kündigungen haben wir tagelang gerungen, eine Lösung zu finden. Das ist kein Kaffeekränzchen. Da wird mit harten Bandagen gerungen.

Welche Wirkung hatten die Proteste auf das Management?

Die Protestaktion vor der Konzernzentrale auf der Schillerhöhe mit 10.000 Beschäftigten hat schon gesessen. Auch weil an anderen Standorten noch einmal 15.000 Menschen demonstriert haben.

Wird es so eine Aktion noch mal geben?

Dadurch, dass wir jetzt dezentral verhandeln, haben wir schon gesagt, es macht nun keinen Sinn, noch mal auf die Schillerhöhe zu fahren, weil auch die Verhandlungssituation an den Standorten unterschiedlich ist. Deswegen wurde ganz bewusst kürzlich noch einmal zu Aktionen in Waiblingen, in Reutlingen, in Homburg und in Stuttgart-Feuerbach aufgerufen. Damit war auch immer ein bisschen Unruhe vor Ort, was jetzt auch nicht schlecht für uns ist.

Welche Bedeutung hat der Standort Deutschland?

In der Autosparte beschäftigt Bosch die meisten Mitarbeitenden in Deutschland. Das Management weiß schon auch, was sie an dem Standort haben. Was sich geändert hat, ist, dass die Transformation das komplette Geschäftsmodell Autoindustrie aufgebrochen hat. Vorher war irgendwie klar, da gibt es bekannte Zulieferer, die kämpfen um Aufträge. Und wenn der eine mal etwas gewinnt, gewinnt der andere beim nächsten Mal. Und das hat jetzt 30 Jahre funktioniert, und alle haben gut damit gelebt.

Wie ist die Lage heute?

Das Geschäftsmodell ist auf den Kopf gestellt. Chinesische Zulieferer bringen alle in Bedrängnis, weil sie ihre Teile 20 bis 30 Prozent günstiger anbieten. Wenn der Autohersteller selbst Probleme hat, dann fragt er nicht danach, ob das Teil aus China oder Deutschland kommt, sondern er blickt nur auf die 20 oder 30 Prozent.

Um welche Komponenten geht es da?

Am Standort in Bühl werden kleine Elek­tromotoren für Wischer, Fensterheber oder Sitzversteller produziert. Davon hat Bühl viele Jahre gut gelebt, das hat vielen Menschen Arbeit gegeben. Diese Teile kommen jetzt oft aus China. Auch beim Thema Elektromobilität gibt es die ersten Fälle, bei denen Autohersteller die Antriebe im Reich der Mitte bestellen. Dasselbe gilt für Steuergeräte.

Was fordern Sie konkret von der Politik?

Europa ist jetzt noch der einzige Kontinent, der sich nicht selbst schützt, bei dem das Scheunentor noch offen ist. Die Amerikaner haben einen Weg gefunden, die Chinesen haben einen Weg gefunden. Also jeder schützt seinen Markt und seine Technologien und damit seine Arbeitsplätze, nur Europa bislang nicht.

Aber wie soll die Politik die Arbeitsplätze schützen?

Natürlich gibt es Sorgen, dass es Deutschland als Exportnation besonders trifft, wenn wir uns abriegeln. Deshalb sagen wir, dass Schlüsseltechnologien – also nicht Autositze und Lenkräder, sondern Steuergeräte, Halbleiter, Batterien und Elektroantriebe – geschützt werden müssen. Wenn jemand solche Teile in Europa verkaufen will, muss er sie auch hier vor Ort produzieren. Das ist natürlich einfacher gesagt als später umgesetzt.

Bedeutet das für Bosch nicht eine Verschärfung des Wettbewerbs in Europa?

Das wird sicherlich hammerhart werden. Denn wenn die chinesischen Zulieferer kommen, werden sie sich nicht alle in Deutschland, sondern eher an günstigeren Standorten wie in Osteuropa ansiedeln. Bosch hat aber den Vorteil, dass das Unternehmen in Europa überall ansässig ist. Da kommt es dann auf den Produktmix an. Produktion im Niedriglohnland, Entwicklung hier, wir kennen den Markt und können die Technologien treiben.

Was erwarten Sie vom Management für das Jahr 2026?

Das Jahr 2025 ist für alle hart gewesen. Man merkt, dass die Nerven bei allen blank lagen. Wir müssen aber nun schauen, wo Licht am Ende des Tunnels ist. Und wo die Themen sind, um die es sich zu kämpfen lohnt. Wir dürfen jetzt nicht nur die ganze Zeit über Personalabbau reden, sondern brauchen jetzt dringend auch wieder positive Impulse.

Und welche Wünsche gibt es vom Bosch-Betriebsrat an die Politik?

Wenn wir im Unternehmen solche Krisen haben, gründen wir eine Taskforce. Diese Taskforce darf vorbei an Spielregeln die notwendigen Maßnahmen vorantreiben. Ich wünsche mir, dass wir so etwas in der Politik hätten, Entscheider, die das Mandat bekommen, Lösungen schnell und unmittelbar umzusetzen. Vor allem müssen wir insgesamt aus der Verbotslogik raus.

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