Boris Pistorius: Stabiler Mann

Er kennt sich aus mit Sicherheit, hat gedient: Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius wird neuer Verteidigungsminister. Wie hält er es mit Russland?

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Boris Pistorius

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Boris Pistorius soll neuer Verteidigungsminister werden.

Stabiler Mann – Seite 1

Die Personalie wirkt überraschend, aber sie ist es zugleich auch nicht: Boris Pistorius (SPD), bisher Innenminister in Niedersachsen, wird auf Wunsch von Kanzler Olaf Scholz in den Bendlerblock wechseln und nach dem Rücktritt von Christine Lambrecht neuer Verteidigungsminister werden.

Zwar wurde sein Name in der SPD weniger öffentlich gehandelt als andere. Doch, wer mit Politikerinnen und Journalisten über die Lambrecht-Nachfolge sprach, hörte immer mal wieder auch die Frage: „Was ist eigentlich mit Pistorius?“

Schließlich gehört der 62-Jährige zu den wenigen jahrelangen Konstanten der erweiterten SPD-Führung. Als Stephan Weil im Jahr 2013 Ministerpräsident von Niedersachsen wurde, übernahm Pistorius, bis dato Oberbürgermeister von Osnabrück, das Innenressort – und er blieb. Auch zehn Jahre später, nach zwei weiteren Landtagswahlen, ist er weiterhin im Amt, zudem seit acht Jahren Mitglied im Parteivorstand in Berlin. So viel zum Thema Konstante.

„Verwaltungserprobt“ und „äußerst erfahren“

Pistorius hat in Hannover skandalfrei ein Ministerium geführt, das kein einfaches ist. Er kennt sich aus mit den Befindlichkeiten und Indiskretionen, die es in jedem Sicherheitsapparat gibt, mit der Geheimdienstarbeit, den Klagen der Polizisten und terroristischen Bedrohungen. Als der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière 2015 ein Fußballländerspiel in Hannover wegen Anschlagsgefahr absagen ließ („Teile der Antwort würden Sie verunsichern“), war Pistorius als Landesinnenminister an der Entscheidung beteiligt. Zuletzt widersprach er seiner eigenen Parteichefin Saskia Esken, als diese der Polizei strukturellen Rassismus vorwarf.

Was Pistorius also hat: langjährige Regierungserfahrung und die Expertise im Umgang mit einem „riesigen Personalapparat“, wie es aus der SPD heißt.

Was er nicht hat: dezidierte Kenntnisse über die Befindlichkeiten der Militärs und die Beschaffungsprobleme bei der Bundeswehr. Zwar habe Pistorius am großen Bundeswehrstandort Niedersachsens einen „sehr guten und engen Draht“ zum Militär und den Soldaten aufgebaut, wie sein bisheriger Chef, Ministerpräsident Stephan Weil, sogleich betonte. Zu militärischen Fragen, auch zur Diskussion um Panzer-Hilfe für die Ukraine, hat Pistorius sich bisher aber kaum geäußert. Und wenn, dann blieb er auf regionaler Ebene. Im September vergangenen Jahres setzte sich Pistorius für die Stationierung eines neuen Heimatschutzregiments in Niedersachsen ein. „Wir brauchen neue Ansätze in der Landes- und Bündnisverteidigung“, sagte Pistorius damals. Die Soldaten sollen nun ab 2024 in Nienburg unterkommen. 

Kanzler Olaf Scholz (SPD) lobte ihn am Dienstag denn auch eher in Bezug auf allgemeine Primärtugenden – Pistorius sei ein „herausragender Politiker“, „äußerst erfahren“, „verwaltungserprobt“ und jemand, der „mit seiner Durchsetzungsfähigkeit und seinem großen Herz genau die richtige Person ist, um die Bundeswehr durch diese Zeitenwende zu führen“.

Tatsächlich wird Pistorius schon lange für Höheres gehandelt: 2017 war er Teil des Schattenkabinetts des damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz. Auch in der Regierung Scholz wurde er 2021 als Kandidat für das Innenministerium genannt. Dass er auch selbst nach mehr strebt, daraus machte Pistorius keinen Hehl: 2019 bewarb er sich beim Mitgliederentscheid zur Suche eines neuen SPD-Chefs. Gemeinsam mit Mitkandidatin Petra Köpping belegte er bei der internen Abstimmung allerdings nur den zweitletzten Platz und holte magere 14 Prozent der Stimmen der SPD-Mitglieder.

Während Pistorius’ Ministerambitionen 2021 womöglich noch an der Quote scheiterten – damals war neben Scholz, Arbeitsminister Hubertus Heil und Gesundheitsminister Karl Lauterbach schlicht kein Männerplatz im Kabinett mehr frei – hat der Kanzler diesmal in Kauf genommen, die Parität zu brechen, um seinen favorisierten Kandidaten für den wichtigen Posten durchzubringen.

Handfest im Auftreten und kann gut mit großen Männer-Egos

Die ersten Urteile über Pistorius fielen am Dienstag positiv aus. Joachim Stamp, FDP-Innenpolitiker, bezeichnete Pistorius als „einen der kompetentesten und charakterlich integersten Kollegen“. Der Niedersachse sei jemand, „der sicher bei der Truppe gut ankommt“, hieß es zudem in der SPD. Will heißen: Pistorius gehört zur alten Schule der Sozialdemokratie, er ist eher handfest im Auftreten und kann sicher gut mit großen Männer-Egos.

Die unausgesprochene Hoffnung: Pistorius könnte so eine Art Peter Struck 2.0 werden. Struck, ebenfalls Sozialdemokrat aus Niedersachsen, hatte 2002 das Verteidigungsministerium vom glücklosen Parteifreund Rudolf Scharping übernommen und war mit seiner hemdsärmeligen Art bei den Soldaten, aber auch bei der Bevölkerung sehr beliebt. „Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt“, dieser Satz blieb wie auch das Gefühl der Deutschen, in schwierigen Zeiten gut bei ihrem Verteidigungsminister aufgehoben zu sein.

Er hat nicht viel zu verlieren

Diesen Idealzustand würde die SPD nach dem Lambrecht-Debakel nun gerne möglichst schnell mit Pistorius erreichen. Seine eigene Militärerfahrung liegt viele Jahre zurück: 1980 leistete er seinen Wehrdienst in der Steuben-Kaserne in Achim. Danach absolvierte er erst eine Lehre zum Groß- und Außenhandelsfachmann und studierte dann Jura. Er ist verwitwet, Vater zweier erwachsener Töchter. 

Dass der Neue im Verteidigungsministerium bereits auf ein volles Berufsleben zurückblicken kann, bringt ihm dabei einen strategischen Vorteil: Mit 62 Jahren kann er sich mit einer gewissen Seelenruhe der neuen Herausforderung stellen. Wenn es gut läuft, kann er sein Berufsleben als geachteter Krisenmanager in Kriegszeiten beenden. Sollte sich das Verteidigungsministerium auch für ihn als der berühmte Schleudersitz erweisen, dann hat er sich jedenfalls seine politische Zukunft nicht zerstört. Die Mitte 40-jährigen Anwärter auf den Job, zum Beispiel SPD-Chef Lars Klingbeil, wären persönlich ein höheres Risiko eingegangen. Auch das gehört sicher zu den politischen Überlegungen, die der ein oder andere potenzielle Kandidat in den vergangenen Tagen angestellt hat.

Jetzt wird es schnell gehen: Schon Donnerstag soll Pistorius vom Bundespräsidenten ernannt werden und im Bundestag seinen Amtseid leisten. Bereits am Freitag wird er auf dem US-Militärstützpunkt in Ramstein erwartet, wo die westlichen Staaten über die mögliche Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine beraten.

Er warnte vor einer „Destabilisierung Russlands“

Das wird Pistorius’ erste Bewährungsprobe, Zeit zur Einarbeitung gibt es de facto keine. Spannend wird, wie Pistorius einen anderen Teil seiner Jobbeschreibung ausfüllen wird: Die Ukraine-Politik der Bundesregierung gilt vielen Kritikern als wankelmütig, Pistorius muss nun um neues Vertrauen werben. Zumal gerade die niedersächsische SPD um Stephan Weil, Sigmar Gabriel und natürlich Altkanzler Gerhard Schröder, mit dessen Ex-Frau Doris Schröder-Köpf Pistorius lange liiert war, als eher Russland-verstehend gilt.

2018 setzte Pistorius sich für eine Aufhebung der Russland-Sanktionen ein, die die EU vier Jahre zuvor wegen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim ausgesprochen hatte. Die deutsche Wirtschaft habe wegen der Strafmaßnahmen Schäden in Milliardenhöhe erlitten, zugleich schienen sie Präsident Wladimir Putin innenpolitisch gestärkt zu haben, sagte Pistorius damals. Damit stellte er sich indirekt gegen den damaligen SPD-Außenminister Heiko Maas, der aus Sicht vieler Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen eine zu harte Gangart gegenüber Russland einlegte. 

Im Mai 2022 sagte der designierte Verteidigungsminister in der Sendung Beisenherz, Deutschland müsse die Ukraine bei der Rückeroberung besetzter Gebiete unterstützen, das sei ganz klar: „Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen.“ Zugleich warnte er vor einer „Destabilisierung Russlands“: „Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, was nach dem Krieg passiert.“

Wie er zu den aktuellen Herausforderungen in der Ukraine steht, dürfte Gegenstand von Gesprächen mit Scholz gewesen sein. Offenbar hatte der Kanzler keine Bedenken.

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