Es geschieht am Vormittag des 23. Mai 1934, sechs Polizisten liegen im Gebüsch am Highway 154 auf der Lauer, unweit des Dorfes Gibsland in Louisiana, umschwärmt von Mücken und Fliegen. Sie warten auf Clyde Barrow und Bonnie Elizabeth Parker – oder, polizeisprachlich, „auf die führenden Figuren der Barrow-Gang“, die jahrelang mehrere Bundesstaaten im Süden und Mittleren Westen der USA terrorisiert haben. Raubüberfälle, Morde, Bankeinbrüche, Autodiebstähle und Todesschüsse auf Polizisten sind ihr Metier. Bonnie und Clyde fahren an jenem 23. Mai 1934 in einem gestohlenen Ford V8 durch die Gegend. Die Polizisten schießen sofort. Mehr als 100 Kugeln durchsieben das Fahrzeug. Die beiden Insassen sind tot.
Bonnie und Clyde haben keine Zeit mehr, ihre Gewehre schussfertig zu machen. Ein Polizist filmt hinterher den Schauplatz. Bonnies Leiche liegt auf dem Vordersitz. Zahlreiche Schaulustige, denen die kriminelle Karriere des Gangsterpaars durch die Presse und Kinowochenschauen bestens bekannt ist, drängen sich ein paar Tage später beim Begräbnis in Dallas. 50.000 Personen hätten die „von Kugeln zerrissenen Leichen besichtigt“, schreibt das texanische Blatt Brownsville Herald. Magazine drucken Tatortfotos. Der zerschossene Ford wird auf Jahrmärkten ausgestellt; heute ist er in einem Casino in Primm im Bundesstaat Nevada zu sehen.
Bonnie und Clyde gegen den Rest der Welt
Die örtliche Polizei von Louisiana und die Handelskammer ließen später eine Gedenktafel am Ort des Hinterhalts aufstellen, zum Lob der „tapferen und wachsamen Friedenshüter“. Natürlich sind die Namen der Polizisten von damals längst vergessen, die Geschichte von Bonnie und Clyde aber, meist heftig romantisiert, bewegt die Popkultur bis heute. Die beiden verkörpern eine tragische Liebe – Bonnie und Clyde gegen den Rest der Welt. Mehrere Spielfilme mit unterschiedlichem Realitätsgehalt wurden produziert, darunter die wohl bekannteste Version von 1967 mit Warren Beatty und Faye Dunaway in den Hauptrollen, zuletzt gab es 2019 eine Netflix-Produktion. Zahlreiche Bücher wurden geschrieben, Musicals und Songs entstanden. Die beiden waren bei ihrem Tod so jung, Bonnie erst 23 Jahre alt – Clyde 25.
Als alles begann, Anfang der 1930er Jahre, steckten die USA tief in einer schweren Wirtschaftskrise, die 1929 mit dem Wall-Street-Kollaps, dem akuten Kursverfall von Anlagen und Wertpapieren, über das Land hereinbrach. Es folgte eine elende Zeit für viele Amerikaner, die eine grassierende Arbeitslosigkeit zermürbte. Sie traf ein Viertel der Bevölkerung, bedeutete Absturz, Hunger und Not. In Gegenden des Südens und den Ebenen des Mittleren Westens verdunkelten Staubstürme den Himmel. Ursachen waren eine Dürre und landwirtschaftliche Expansion, bei der Traktoren das Grasland umpflügten. Der Songwriter Woody Guthrie (1912 – 1967) sang vom „schwarzen Vorhang“ über dem Land und vom Staub, der alles unter sich begraben habe.
Bonnie Parker und Clyde Barrow hatten es stets verstanden, sich selbst in Szene zu setzen und in den Schlagzeilen zu sein. Zeitungen berichteten über Barrow und das „Gun Girl“ sowie wechselnde Mit-Gangster, angereichert mit Fotos von ihr und Clyde, die man in einem nach heftigem Schusswechsel mit der Polizei jäh verlassenen Unterschlupf in Missouri gefunden hatte. Man sah Bonnie und Clyde spielerisch mit einem Gewehr umgehen, Bonnie mit Revolver und einer Zigarre zwischen den Lippen, Bonnie und Clyde sich küssen, dann Clyde mit Gewehr auf der Stoßstange eines Wagens, dummerweise mit einem klar erkennbaren Nummernschild.
Clyde Barrows Brief an Henry Ford
Im Ford-Museum in Dearborn (Michigan) liegt heute ein Brief an den damaligen Konzernchef Henry Ford, handgeschrieben, rund einen Monat vor der Schießerei in Gibsland Ende Mai 1934 mutmaßlich von Clyde Barrow mit viel Lob für Ford verfasst. Der schnelle Wagen aus seiner Fabrik sei die beste Marke. „Auch wenn mein Geschäft nicht unbedingt legal ist, tut es niemandem weh, wenn ich Ihnen sage, dass der V8 ein tolles Auto ist“, so Clyde.
Bonnie war einmal Kellnerin, die auch Gedichte schrieb, als sie Clyde kennenlernte. Der hatte als Teenager mit dem älteren Bruder Buck seine kriminelle Karriere als Hühner- und Autodieb begonnen. Die Barrows lebten in einem Slum in Dallas, ohne große Aussichten auf etwas Besseres, jedoch mit Blick auf Hochhäuser und den Reichtum der prosperierenden Ölstadt. Clyde Barrow wollte raus aus der Misere. Wenn es sein musste, mit Gewalt.
Die 1930er Jahre galten als Gangster-Ära in den USA. Das FBI, damals noch unter dem Namen Bureau of Investigation (BI), stieg groß ein bei Ermittlungen gegen Figuren wie Machine Gun Kelly, „Baby Face“ Nelson – und die Barrow-Gang. Magazine und Zeitungen berichteten intensiv. BI-Direktor J. Edgar Hoover ließ es sich nicht nehmen, eine Komplizin der Barrow-Gang selbst zu befragen. Ein Bureau-of-Investigation-Memo vom November 1933 warnte, Barrow sei „extrem gefährlich“. Er und seine Gefolgschaft hätten mindestens zwei automatische Browning-Gewehre und mehrere automatische Pistolen bei sich.
Die Filmhistorikerin Jeanine Basinger schrieb in einer Dokumention über Bonnie und Clyde: Die Figur des Gangsters habe damals Menschen repräsentiert, „die ganz unten in der sozialen Hierarchie standen und zu einem Leben im Nichts verdammt waren, das nicht als ihr Schicksal akzeptiert und einen Weg gefunden haben, dies zu verändern – und zwar mit Gewalt“. Dass die Barrow-Gang auch Unbeteiligte umbrachte wie den Eigentümer eines Einkaufsladens, wurde hingenommen.
Clyde wurde von einem Mithäftling vergewaltigt
In seinem Buch Go Down Together: The True, Untold Story of Bonnie and Clyde schrieb Autor Jeff Guinn abgeklärt und nüchtern über die Gang. Die Überfälle auf Läden, Tankstellen und die eine oder andere Bank wie die Autodiebstähle seien nicht immer gut geplant gewesen. Die Beute blieb mager. Zuweilen brach Barrow mit einem Komplizen nachts in ein Bankgebäude ein. Am Morgen sollten die zur Arbeit Kommenden das Geld herausrücken. Manchmal sei nur genug Geld geraubt worden, um den Lebensunterhalt zu finanzieren, schreibt Guinn. Die Täter seien ständig unterwegs gewesen, mussten häufig im Freien übernachten oder in billigen Hotels. Bei einem Autounfall habe sich Bonnie schwer verletzt, sodass sie nur mit Mühe gehen konnte, vermerkte ein Bureau-of-Investigation-Memo, das heute auf der FBI-Website zu lesen ist. Doch es habe kein Zurück gegeben. Was auch immer die beiden durchgemacht hätten, „ihnen war es das wert … Sie hatten sich freigekämpft von Bedeutungslosigkeit und Eintönigkeit. Sie waren bedeutend, Menschen haben sie beachtet“, urteilt Jeff Guinn.
Überwachungstechnisch war das eine andere Zeit. Es gab Telefon und Funk, doch Bonnie und Clyde hatten genug Zeit, um gelegentlich unentdeckt ihre Verwandtschaft zu besuchen und Geschenke zu verteilen. Bonnie habe an Ostern 1934 ein weißes Kaninchen namens „Sonny Boy“ zum Fest mitgebracht, schreibt Jeff Guinn. Clyde habe sich mit Waffengewalt widersetzen wollen, sollte eine Festnahme drohen. Er wollte nie wieder in ein Gefängnis kommen. In der Haftanstalt Eastham Prison in Texas, eingesperrt wegen Autodiebstahls und eines Ausbruchs (mit Bonnies Hilfe), hatte er 1930/31 Entsetzliches durchgemacht. Häftlinge wurden dort ausgepeitscht und mussten in den Baumwollfeldern und beim Holzhacken Schwerstarbeit verrichten, unter der Aufsicht berittener Wärter. Clyde wurde von einem Mithäftling vergewaltigt, den er schließlich erschlug, und hackte sich zwei Zehen ab, um als nicht arbeitsfähig eingestuft zu werden.
„The Trail’s End“: Poesie der Vorahnung
Bonnie Parker schrieb, sie habe einen aufrechten und sauberen Clyde kennenlernen können, doch das Gesetz und die Polizei hätten ihn fertiggemacht und er habe sich vorgenommen, „ein paar von denen in der Hölle wiederzusehen“. Clyde Barrow erregte nationales Aufsehen, als er im Januar 1934 fünf Häftlinge aus Eastham befreite. Mit Maschinengewehrfeuer habe er die Wärter in Schach gehalten, berichtete die Agentur Associated Press. Die Polizei war davon überzeugt, dass Barrow von seiner „Gun Woman“ Bonnie Parker unterstützt worden sei. Die Anstalt Eastham hat Clyde Barrow offenbar nie losgelassen.
Bonnie Parker warnte in dem Gedicht The Trail’s End („Das Ende des Weges“) über Clyde und sie selbst, dass sie beide nicht überleben würden: „Sie glauben nicht, dass sie zu schlau oder zu verzweifelt sind. Sie wissen, dass das Gesetz immer gewinnt … Eines Tages werden sie zusammen untergehen. Und man wird sie zusammen begraben. Ein paar werden trauern, für das Gesetz wird es eine Erleichterung sein – für Bonnie und Clyde der Tod.“