„Bombenlöcher aufwärts Straßen noch zu sehen, wie am Schnürchen toll“

Am 26. April 1937 bombardierten deutsche Flugzeuge die baskische Kleinstadt Guernica. Der Bundespräsident reist jetzt als erstes deutsches Staatsoberhaupt dorthin. Die Sachlage ist allerdings ziemlich komplex.

Die Flammen wüteten die ganze Nacht. Ein unbekannter Fotograf hielt in der Nacht vom 26. auf den 27. April 1937 fest, wie sie durch die leeren Fenster der Fassaden von Häusern mit zwei oder sogar vier Obergeschossen leuchteten. Diese Bilder aus dem Zentrum der baskischen Kleinstadt erschütterten damals und tun das noch immer. Die in den Tagen danach aufgenommenen Ruinen, nackte Wände, zeigten die nun aus der Luft mögliche Gewalt der Zerstörung.

Am 28. November 2025 besucht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als erstes deutsches Staatsoberhaupt die durch den Luftangriff vorwiegend der deutschen Legion Condor weitgehend zerstörte Stadt Guernica (auf baskisch: Gernica) in Nordostspanien. Zwar hatte der damalige Bundespräsident Roman Herzog zum 60. Jahrestag 1997 den damals noch lebenden Augenzeugen des Angriffs eine „Botschaft des Gedenkens, des Mitgefühls und der Trauer“ geschickt, jedoch nicht selbst die wiederaufgebaute Stadt besucht. Steinmeier wird einen Kranz niederlegen und das Friedensmuseum besichtigen.

Guernica gilt in Deutschland und international als frühestes Symbol für den verbrecherischen Krieg des Dritten Reiches – vor dem 1. September 1939. Ab diesem Freitag überzogen Wehrmacht, SS und Polizei bekanntlich zuerst Polen und in den folgenden Jahren zehn weitere (damalige) Staaten mit beispielloser Zerstörung, bevor (im Wesentlichen ab Ende März 1942) ebendiese Gewalt nach Deutschland zurückkehrte und eine Stadt nach der anderen verwüstete.

Lässt man die (höchst volatile) moralische Sphäre außen vor, so bleibt nüchtern historisch die Notwendigkeit, den Angriff auf Guernica mit späteren Bombardements zu vergleichen und hinsichtlich ihres kriegsvölkerrechtlichen Charakters einzuordnen. Wenn man das strikt quellenorientiert tut, kommt man zu interessanten Einsichten.

Erstens war allein das Eingreifen der deutschen Expeditionsstreitmacht namens Legion Condor aufseiten der Putschisten um General Francisco Franco selbstverständlich unzulässig – allerdings genauso wie der entsprechende Einsatz der Internationalen Brigaden mit massiver sowjetischer Unterstützung. Kriegsvölkerrechtlich handelte es sich um einen innerstaatlichen Konflikt, der zum Stellvertreterkrieg des nationalsozialistischen Deutschlands und des faschistischen Italiens gegen die kommunistische Sowjetunion wurde. Beide Seiten verübten dabei eindeutig Kriegsverbrechen; dies festzustellen bedeutet allerdings nicht, die einen Untaten gegen die anderen aufzurechnen.

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Zweitens war der Angriff auf Guernica in seiner Konzeption kein bewusster Terrorangriff; das zeigen die Quellen eindeutig. Zwar ist der eigentliche Angriffsbefehl von deutscher Seite nur indirekt als Zitat in einer Meldung vom 30. April 1937: „Angriff auf Brücke und Straßengabel ostwärts Guernica“ überliefert. Doch er entspricht der überlieferten Weisung der italienischen Verbündeten: „Das Dorf darf aus offensichtlichen politischen Gründen nicht bombardiert werden. Ziel: Die Straße und Brücke ostwärts von Guernica müssen so bombardiert werden, dass der Rückzug des Feindes behindert wird.“

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Das bestätigt eine Notiz im privaten Tagebuch des Stabschefs der Legion Condor, Wolfram von Richthofen: „Versuchsbomberstaffel 88 und Italiener auf Straßen und Brücke (einschließlich Vorstadt) hart ostwärts Guernica. Dort muss zugemacht werden, soll endlich ein Erfolg gegen Personal und Material des Gegners herausspringen.“

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Die Brücke in Guernica war gerade einmal 25 Meter lang und zehn Meter breit. Ein kleines Ziel, aber als Rückzugsweg für feindliche Truppen kriegsrechtlich im Prinzip ein legitimes Ziel. Vier Stunden nach Beginn des Angriffs gegen 16.45 Uhr meldete der Kommandeur der Expeditionsstreitmacht, Hugo Sperrle, nach Berlin: „Sämtliche fliegende Verbände der Legion Condor in mehrmaligem Einsatz. Angriff auf zurückgehenden Gegner auf Straßen nördlich Monte Oiz und auf Brücke und Straßen ostwärts Guernica.“

Zweieinhalb Tage später, am 29. April gegen elf Uhr, nahmen Franco-Truppen die Kleinstadt ein; am folgenden Tag kam Richthofen hierher. „Was er dort vorfand, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, was am Nachmittag des 26. April in Guernica passiert war“, schreibt der Militärhistoriker Hans-Henning Abendroth in seinem Aufsatz „Guernica – Ein fragwürdiges Symbol“ von 1987. Die Stadt sei „buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht“, zitiert er das Richthofen-Tagebuch: „Die Bauart der Häuser – Ziegeldächer, Holzgalerien und Holzfachwerkhäuser – führte zur völligen Vernichtung.“ Mit professionellem Interesse notierte Richthofen weiter: „Bombenlöcher auf Straßen noch zu sehen, einfach toll.“

Drittens zeigt der Fall Guernica ein zentrales Problem jeder Forschung über Luftangriffe: die Zahl der Opfer. Abgeworfen hatte die 21 deutschen und drei italienischen Maschinen eine Mischung aus 250 und 50 Kilogramm schweren Sprengbomben sowie Ein-Kilo-Brandsätze – insgesamt nach unterschiedlichen Angaben 26 bis 31 Tonnen. Die ganze Stadt war niedergebrannt, nach offiziellen Angaben starben knapp 1700 Menschen

Doch diese hohe Zahl ist unrealistisch, wenn man sie – eine schwer erträgliche, weil zynische, aber unvermeidliche Überlegung – mit den Opferzahlen alliierter Luftangriffe auf deutsche Städte vergleicht. Der Luftkriegshistoriker Helmut Schnatz hat das aufgelistet. Bei 238 untersuchten, weil gut dokumentierten Luftangriffen auf deutsche Städte gab es in neun von zehn Fällen weniger als einen Toten pro Tonne abgeworfener Bomben, bei weiteren 8,4 Prozent waren es bis zu 5,5 Tote pro Tonne. Lediglich die besonders verheerenden Luftangriffe auf Darmstadt, Pforzheim und Hamburg erreichten ein Verhältnis zwischen 11,3 bis 14,5 Opfer pro Tonne Spreng- oder Brandbomben. Für Dresden und den Feuersturm am 13./14. Februar 1945 beträgt das Ergebnis dieser Rechnung bei insgesamt 2,7 Millionen Kilogramm abgeworfenen Bomben etwa 9,3 Tote pro Tonne.

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Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass es in Guernica 1937 anders als in deutschen Städten 1944/45 weder Luftschutzkeller mit verstärkten Decken noch gar Bunker gab, würde eine Zahl von knapp 1700 Toten bei 26 bis 31 Tonnen eingesetzter Bomben 55 bis 65 Opfer pro Tonne entsprechen. So ein Wert ist nicht plausibel.

Aufklären lässt sich die tatsächliche Zahl der Opfer allerdings nicht mehr, weil es in Spanien hinsichtlich der Folgen des Bürgerkrieges bis heute kaum seriöse Forschung gibt. Anders als in (West-)Deutschland, wo jeder Mensch irgendwelche Spuren hinterlässt, und sei es in Form von Vermisstenmeldungen bei Suchdiensten oder Erbanträgen, wurden die Toten der Jahre 1936 bis 1939 während der anschließenden Franco-Diktatur verschwiegen. Und vielfach auch weiterhin.

Bleibt viertens die Frage, wie der Angriff auf Guernica kriegsvölkerrechtlich einzuschätzen ist – jenseits des grundsätzlichen Unrechts, das der Einsatz der Legion Condor in Spanien natürlich darstellt. Entscheidend ist, ob primär die Brücke als militärisches Ziel attackiert wurde oder die Kleinstadt als ziviles Ziel.

Guernica verfügte (anders als die oft mit Flakbatterien umstellten deutschen Städte im Zweiten Weltkrieg) über keine militärische Verteidigung. Jedoch machte sie das nach den für den Luftkrieg ungeeigneten, aber seinerzeit einzig gültigen Regeln der Haager Landkriegsordnung von 1899/1907 trotzdem nicht zur geschützten „unverteidigten Stadt“. Das hat der Kriegsvölkerrechtler Marcus Hanke zu Recht festgestellt.

Als „unverteidigt“ galt nämlich nur eine Siedlung, die einem näher kommenden Gegner aktiv ihre Kapitulation demonstrierte, etwa durch die Entsendung von Parlamentären oder durch deutlich sichtbare weiße Fahnen. Fehlte derlei, brauchte es überhaupt keine Truppen in einer Siedlung oder irgendwelche Vorbereitungen für eine Abwehr, um den Status einer „unverteidigten Stadt“ zu verlieren – und damit ein legitimes Ziel zu werden. Im April 1941 hatte übrigens die jugoslawische Hauptstadt Belgrad hinreichend lange vor dem deutschen Luftangriff genau diesen Zustand formal erklärt; deshalb ist dieser Luftangriff auch der einzige, der nach 1945 juristisch geahndet wurde.

Wie man es auch dreht und wendet: Wer Guernica für einen „Terrorangriff“ halten will, muss dasselbe auch für Angriffe auf deutsche Städte 1942 bis 1945 sagen. Wer umgekehrt Guernica als gerade noch zulässige Kriegshandlung einstuft, kann das bei den späteren Bombardements nicht anders sehen. Entgegengesetzte Bewertungen sind unlogisch, weil die Rechtsgrundlagen dieselben waren.

Man sollte daher den vor und im Zweiten Weltkrieg gültigen Stand des Kriegsvölkerrechts ernst nehmen, wie es beispielsweise die Kriegsverbrecher-Verfahren ab 1945 taten. Telford Taylor, Chefankläger bei den Nürnberger Nachfolgeprozessen, brachte es auf die Formel: Die Bombardierung von Städten und Fabriken aus der Luft sei „inzwischen ein anerkannter Bestandteil moderner Kriegführung geworden“, der „von allen Ländern praktiziert“ werde.

Erst mit der vierten Genfer Konvention von 1949 und deren Präzisierung im zweiten Zusatzprotokoll von 1977 ist der Schutz von Zivilisten vor unterschiedslosen Bombardements kriegsvölkerrechtlich festgeschrieben worden. Darauf hinzuweisen, hat nichts mit Relativierung des einen oder des anderen Geschehens zu tun.

Sven Felix Kellerhoff ist Leitender Redakteur bei WELTGeschichte. Zu seinen Hauptthemen zählen neben Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg auch allgemein Kriegsverbrechen in historischer Perspektive.

Source: welt.de

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