Boehringer verdrängt Bayer denn größtes deutsches Pharmaunternehmen

Während andere Pharmaunternehmen händeringend Nachschub für ihre Umsatzbringer suchen, verdient Boehringer Ingelheim weiter kräftig an seinen Blockbuster-Medikamenten – jene Präparate, die in einem Jahr mehr als eine Milliarde Dollar Umsatz erzielen. Vor allem das für Diabetes-Typ-2 und Herzinsuffizienz eingesetzte Medikament Jardiance bleibt ein Kassenschlager und trug im vergangenen Jahr einen gehörigen Beitrag dazu bei, dass das Familienunternehmen aus Ingelheim erstmals den Bayer-Konzern als größtes deutsches Pharmaunternehmen ablöste.

Mit einem Jahresumsatz von 20,8 Milliarden Euro im Bereich der Humanmedizin ließ Boehringer den Dax-Riesen aus Leverkusen im Geschäftsjahr 2023 deutlich hinter sich. Selbst ohne die 1 Milliarde Euro, die mit dem Auftragsgeschäft für Dritte gemacht werden, bleibt Boehringer vorne. Bayer war wegen sinkender Umsätze bei seinem langjährigen Umsatzgaranten Xarelto auf rund 18 Milliarden Euro Pharmaumsatz gekommen.

Konzernumsatz von 25,6 Milliarden Euro

Das Top-Produkt der Ingelheimer legte hat im vergangenen Jahr abermals um stolze 31 Prozent auf 7,4 Milliarden Euro zugelegt. Damit stemmt Jardiance mehr als ein Drittel des gesamten Umsatzes in der Humanpharmasparte, die bei Boehringer gut 80 Prozent des Konzernumsatzes ausmacht. Die Sorge vor der Patentklippe hält sich dem Vernehmen nach in Ingelheim jedoch in Grenzen. Der Patentschutz sollte noch bis Ende des Jahrzehnts Bestand haben. Zudem bringt Boehringer seinen Verkaufsschlager für immer neue Indikationen auf den Markt, zuletzt in Europa und Amerika zur Behandlung von chronischen Nierenerkrankungen. Das Wachstum mit Jardiance werde weitergehen, sagt Finanzvorstand Michael Schmelmer im Gespräch mit der F.A.Z.

Aber auch abseits von Jardiance gibt es Umsatzgaranten: Ofev, das zur Behandlung von Lungenerkrankungen eingesetzt wird, legte um weitere 12,8 Prozent auf 3,5 Milliarden Euro zu. Gemeinsam mit Jardiance treibt es seit Jahren die Humanpharma voran, die währungsbereinigt um 10,3 Prozent gewachsen ist. In der Tiermedizin, dem zweiten Standbein der Ingelheimer, ist der Floh- und Zeckenschutz Nexgard für Hunde die Hauptstütze. Der Umsatz ist um 17,2 Prozent auf 1,2 Milliarden Euro geklettert, was zusammen mit vier neu eingeführten Tierpräparaten der kleineren Sparte ein Plus von 6,9 Prozent auf 4,7 Milliarden Euro einbrachte.

Unter dem Strich konnte Boehringer-Chef Hubertus von Baumbach auf der Bilanzpressekonferenz in Ingelheim also ein „sehr starkes Jahr 2023“ mit einem Konzernumsatz von 25,6 Milliarden Euro und knapp 10 Prozent Zuwachs bilanzieren. Etwas überraschend hieß es dort auch, dass man fortan auf Angaben zum Betriebsergebnis verzichten werde. Der Konzern veröffentliche nur noch Umsätze und Investitionen. „Dies sind für uns die wichtigsten Schlüsselindikatoren zur Messung unserer Fortschritte und unseres Erfolgs“, sagte Schmelmer.

Bestenfalls 25 Markteinführungen bis 2030

Bei den Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (F+E) gehört Boehringer zu den führenden Pharmaunternehmen. 5,8 Milliarden Euro flossen im Geschäftsjahr 2023 in Zukunftsprojekte – 14,2 Prozent mehr als im Jahr davor. Der Familienkonzern aus Rheinhessen steckt damit 22,5 Prozent seiner Umsatzerlöse in F+E. Das Gros ging mit 5,2 Milliarden Euro in die Humanmedizin. Das entspricht etwa eines Viertels des Spartenumsatzes. Es wird zudem stärker in Künstliche Intelligenz investiert, um die Medikamente noch schneller an die Patienten zu bekommen.

Der Schwerpunkt der Investitionen liegt aber auf der Entwicklungspipeline, die von Baumbach als „stärkste“ in der Geschichte des fast 140 Jahre alten Familienunternehmens bezeichnete. Gespickt mit Wirkstoffen in der späten Entwicklungsphase in den Bereichen Onkologie, kardiorespiratorische Erkrankungen, Nieren- und Stoffwechselerkrankungen sowie psychische Gesundheit hat Boehringer einen großen Strauß an Medikamentenkandidaten im Angebot. Und mehr sollen hinzukommen.

Zehn neue Phase-2 und -3-Studien sind dafür in den kommenden 12 bis 18 Monaten geplant. Bislang hatte von Baumbach für die folgenden Jahre 20 neue Behandlungen in der Humanmedizin in Aussicht gestellt. Nun sollen es bestenfalls sogar 25 Markteinführungen bis 2030 werden. Hierfür nimmt der Familienkonzern abermals viel Geld in die Hand. 36 Milliarden Euro werden die Rheinhessen zwischen 2024 und 2028 in deren Forschung und Entwicklung stecken. Das sind noch einmal 14 Milliarden Euro mehr, als sie in den vergangenen Jahren. Davon erwarte er sich in der Zukunft einen großen „Return“, deutete Schmelmer in Gespräch an. In der Tiermedizin bleibt es unterdessen bei den bislang angestrebten 20 neue Behandlungen bis zum Jahr 2026.

Erste Markteinführungen aus der üppigen Produktpipeline könnten laut Konzernchef von Baumbach in diesem Jahr, wahrscheinlicher aber Anfang 2025 erfolgen. Als vielversprechend gilt unter anderem das Präparat Survodutide, das jüngst in Phase-2 von drei zulassungsrelevanten klinischen Studien wegweisende Daten zur Behandlung der Fettlebererkrankung MASH erzielte – häufige Begleiterkrankung von krankhaftem Übergewicht. Survodutide ist zudem ein aussichtsreicher Kandidat zur Adipositas-Behandlung und ein womöglich ernstzunehmender Konkurrent für die bislang den lukrativen Diabetes- und Adipositasmarkt beherrschenden Diätpräparate von Eli Lilly und Novo Nordisk. Boehringer hofft, Survodutide bis 2027 auf den Markt bringen zu können. Bis dahin bleiben die Aussichten für das Tagesgeschäft wie gehabt: Schmelmer rechnet auch in diesem Jahr mit einem moderaten Umsatzanstieg.

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